Minderheitendiskriminierung als kollateraler Effekt des Ukraine-Kriegs

Ein Konferenzbeitrag aus deutscher Sicht bei ProEtnica – und weiterführende Gedanken

Flagge der sorbischen Minderheit in Deutschland

Flagge Russlands | Quelle und Fotos: Wikiwand

Seit Jahren ist Meto Nowak, der Referent des Minderheitenbeauftragten im deutschen Bundesland Brandenburg, Gast und aktiver Vortragender auf dem interkulturellen Festival ProEtnica, das dieses Jahr nach zweijähriger Corona-Pause erneut in Schäßburg/Sighișoara stattfand (siehe ADZ vom 2. September: „Eigentlich sind wir doch alle ein großes ,Wir‘“). Nowak zählt sich selbst zur Minderheit der Sorben und entstammt einer gemischten deutsch-sorbischen Familie. Das Thema Minderheiten ist ihm also quasi auf den Leib geschrieben – sowohl mit Innen- als auch Außenblick, aus Sicht der Minder- und der Mehrheit. Des Weiteren wirkt er seit fünf Jahren im Rahmen der von ProEtnica veranstalteten Jugendakademie mit, an der dieses Jahr sieben Einheimische sowie ein US-Amerikaner, ein Marokkaner und ein Syrer teilnahmen. Die Akademieteilnehmer befassen sich eine Woche lang intensiv mit den Grundlagen von Minderheitenschutz und -rechten, aber auch mit aktuellen Problemen und führen Interviews mit den anwesenden Minderheitengruppen. In diesem Jahr standen der Ukraine-Krieg und seine Folgen im Fokus des akademischen Konferenzprogramms.

In Rumänien betrifft uns der Krieg durch seine Nähe: Flüchtlingsströme an der gemeinsamen Grenze, verirrte Seeminen und Drohnen, die Angst, die Front könnte näher rücken… Insofern erstaunt der Vortragstitel von Meto Nowak, „Minderheitendiskriminierung als kollateraler Effekt des Ukraine-Kriegs“, ausgearbeitet aus Brandenburger Sicht: Wie könnte das Geschehen in der entfernten Ukraine die Minderheiten in Deutschland beeinflussen?

„Noch gibt es hierzu keine belastbaren Daten“, sagt Nowak und räumt ein, dass die Erhebung über Daten zu Minderheiten in Deutschland ohnehin schwierig sei, weil es bei den Volkszählungen keine Fragen nach Ethnie und Muttersprache gibt – aus bekannten historischen Gründen. Aus denselben Gründen gibt es Minderheiten, die sich strikt weigern, dem Staat Informationen zu liefern. Als Beispiel nennt er die Sinti und Roma, die sich ausschließlich in eigenen Kreisen um die Pflege ihrer Sprache, Romanes, kümmern. Staatliche Unterstützung, etwa durch Sprachunterricht in den öffentlichen Schulen, wird abgelehnt. Der Hintergrund: Im Zweiten Weltkrieg habe man Sinti und Roma durch ihre Sprache identifiziert und in Konzentrationslager deportiert. Hinzu kommt, dass Minderheitenschutz in der Bundesrepublik Ländersache ist. In der Verfassung ist er also gar nicht erwähnt und der Bund hat auch keinerlei Zuständigkeit für Bildung und Kultur der Minderheiten. Insofern ist es nur natürlich, dass Nowak sich aus Brandenburger Sicht mit dem Thema befasst – wenn auch mit Blick über den Tellerrand des eigenen Bundeslandes hinaus.

Diese – in Deutschland inzwi-schen kontrovers diskutierte – Situation hat auch zur Folge, dass die meisten Deutschen kaum etwas über ihre Minderheiten wissen, erklärt Nowak. Damit sei Vorurteilen Tür und Tor geöffnet.

Sorben mit Russen verwechselt

Beeinflusst also der Ukraine-Krieg die sorbische Minderheit in Brandenburg? Die Sorben sind eine kleine slawische Minderheit ohne Mutterland. Sorbisch als Muttersprache wird nur noch selten gesprochen, allerdings gibt es einen Kreis, der am Erhalt und Erlernen dieser Sprache sowie an der Pflege der sorbischen Kultur mehr oder weniger großes Interesse zeigt. Zahlen kann Nowak hierzu nicht liefern, aus bereits genannten Gründen, was durchaus nicht immer ein Vorteil sei, räumt er ein. Statt einer Antwort auf die eingangs gestellte Frage zeigt Nowak dann das Foto eines ukrainischen Jungen in der „Bild“-Zeitung, der ein selbstgemaltes Bild vom Krieg in die Höhe hält. Über der Feindfigur schwebt eine Flagge in Blau-Rot-Weiß. Die russische? Nein, die wäre Weiß-Blau-Rot! Aber wer kennt schon den feinen Unterschied? Absicht oder Verwechslung?  Nowak will damit nichts suggerieren, aber zeigt sich doch erstaunt darüber, dass ein ukrainisches Kind die russische Flagge nicht kennt. Es ist die täuschend ähnliche Flagge der Sorben!

Die „Bild“-Zeitung gehört zu den meistgelesenen Blättern in Deutschland. Und die sorbische Flagge, die selbst in den beiden Bundesländern, wo Sorben leben (Brandenburg und Sachsen) kaum jemand kennt, wird von der Masse jetzt als russisch wahrgenommen. Wer vor diesem Kontext nun die Flagge der Sorben trotzdem als solche wahrnimmt – früher hat sie kaum jemanden interessiert – mag sich fragen: Stehen die Sorben den Russen nahe? Oder werden die Sorben jetzt gar von manchen Deutschen für Russen gehalten?

Noch sind in Brandenburg keine Zwischenfälle von Diskrimierung von Sorben bekannt, sagt Nowak. Und, obwohl man es befürchtet hatte, gibt es derzeit auch kaum Belege für eine Diskriminierung von Russen.

Allerdings lässt sich in ganz Deutschland eine Meidung von russischen Geschäften beobachten, was diskriminierende Rückwirkungen auf eingewanderte Russen hat (in Deutschland lebt laut Nowak eine große Zahl russischer Juden) – und damit vielleicht auch auf Sorben.

Ethno-nationale Stempel wiederbelebt

Eine weitere Gefahr ist die Reaktivierung von ethno-nationalen Konzepten, nach dem Motto „in der Ukraine wohnen Ukrainer und sie sprechen Ukrainisch“, was natürlich so nicht stimmt. In der Ukraine gibt es eine große ethnische und sprachliche Diversität, allein die russophonen Gruppen als feindlich oder freundlich zu kategorisieren wäre unmöglich.

Für manchen Sorben, der mit der Idee einer „großen slawischen Familie“ aufgewachsen ist, mag der Gedanke, dass der „Bruder Russland“ nun die Ukraine überfallen hat, schmerzhaft und verwirrend sein. Doch den Sorben kann man nicht sagen, „geh doch zurück nach Sorbien“, denn einen Mutterstaat gibt es nicht. Aber ihre Loyalität zu Deutschland könnte man in Frage stellen, was im Zweiten Weltkrieg durchaus geschah, als man darüber diskutierte, ob sie als Slawen eher zu den Tschechen oder den Polen halten würden.

Sind Sorben denn nun „richtige Deutsche“? Was Deutschsein oder deutsche Kultur ausmacht, können selbst Deutsche nicht eindeutig definieren, warnt Nowak, der in allen Lehrgängen mit Studierenden das Exempel immer wieder aufs Neue statuiert: „Noch nie kam es zu einem Konsens!“

Konflikte unter Flüchtlingen und Hilfsbedürftigen?

Ukrainische Flüchtlinge haben in Deutschland keine großen Probleme. Die Solidarität und Hilfsbereitschaft der Bevölkerung – es gibt zahlreiche Spendenaktionen und Gratisprogramme – ist sowohl qualitativ als auch quantitativ mit Ukrainern deutlich höher als mit Flüchtlingen anderer Herkunft, etwa Syrern oder Afghanen. Dies könnte zu Konflikten zwischen den Flüchtlingsgruppen oder auch anderen Hilfsbedürftigen führen, meint Nowak.

Ein Beispiel aus einem anderen ProEtnica-Vortrag bestätigt: Marius Dumitrescu, der Leiter der NGO „Suryam“, die im Rahmen des Projekts „Mureș Hub“ Ukraine-Flüchtlinge im Kreis Neumarkt/Târgu Mureș unterstützt, beobachtete besorgt die Entstehung einer lokalen Hassgruppe. Und dies, obwohl sich die NGO ausschließlich aus Mitteln aus dem Ausland finanziert und keine lokalen Gelder beansprucht.

Dass andere Hilfsbedürftige in den Ukraine-Flüchtlingen eine Konkurrenz sehen könnten, ist sicher nicht ganz aus der Luft gegriffen. Auf dem ProEtnica Festival gab es einen Stand, an dem geflüchete Ukrainerinnen selbstgebackenen Kuchen und Ukraine-Symbole verkauften. Sie erzählten (bewundernd), dass der freikirchliche christliche Verein, der einer größeren Zahl von ihnen längerfristig Unterkunft, Verpflegung und Hilfe bietet, sich früher ausschließlich um Roma gekümmert habe (allerdings auch weiterhin).

Diskriminierung ukrainischer Roma

Sowohl Nowak wie auch verschiedene Medien erwähnen eine angebliche Diskriminierung ukrainischer Roma als Flüchtlinge: Sie würden im Gastland seltener von Familien beherbergt und häufiger in Massenunterkünften mit deutlich schlechteren Bedingungen untergebracht. Den NGOs wird vorgeworfen, für ihre Unterstützungsprogramme gezielt „weiße Christen“ herauszupicken.

Nicht immer handelt es sich jedoch um beabsichtigte Diskriminierung, zeigt Nowak auf. Ein Problem sei zum Beispiel, dass Roma aus der Ukraine häufig keine Papiere hätten. Andere hätten die ungarische Staatsbürgerschaft, weil Ungarn diese bereitwillig an ungarische Roma vergab, an diesen nun aber kein Interesse zeigt. Deutschland hingegen vertritt den Standpunkt, Ungarn sei ein EU-Land, man sei für dessen Bürger daher nicht zuständig.

Ein weiteres Problem ist, dass Roma meist in größeren Familienverbänden reisen und von daher kaum in deutsche Familie zu integrieren sind. Eine Mutter mit ein-zwei Kindern findet eben leichter einen Platz als eine Großfamilie mit drei Generationen.

Eine interessante Frage wäre, inwiefern Sinti und Roma in Deutschland bereit wären, Roma aus der Ukraine aufzunehmen, oder dies tatsächlich tun. Die angesprochenen Punkte werfen aber auch Fragen für das eigene Land auf: Inwiefern engagiert sich die ukrainische Minderheit in Rumänien bei der Unterstützung geflüchteter Ukrainer? Wird dabei ein Unterschied gemacht zwischen russophilen und anderen Ukrainern? Und wie behandelt man seit dem Krieg die russische Minderheit, die Lipowaner, hierzulande? Auffallend ist, dass anders als in früheren Jahren bei ProEtnica die Lipowaner heuer nicht auf dem Bühnenprogramm stehen. Doch die Befürchtung, dies könne etwas mit dem Krieg zu tun haben, bestätigt sich nicht: Der Organisator, Volker Reiter, erklärt auf Nachfrage, sie seien schon anwesend, doch als Volontäre im Organisationsteam. Es sei nämlich gerade ihre Fastenzeit, da dürften sie aus religiösen Gründen nicht tanzen.


Verwechlungsgefahr: Sorbenflagge – Russlandflagge

Die Flagge der Sorben, einer slawischen Minderheit in Deutschland, darf in ihrem Siedlungsgebiet, das sich über Brandenburg und Sachsen erstreckt, gleichberechtigt mit den jeweiligen Landesflaggen verwendet werden. Die Verfassung des Freistaates Sachsen regelt: Im Siedlungsgebiet der Sorben können neben den Landesfarben und dem Landeswappen Farben und Wappen der Sorben, im schlesischen Teil des Landes die Farben und das Wappen Niederschlesiens, gleichberechtigt geführt werden. Im Land Brandenburg sieht die Landesverfassung zunächst nur vor: Im Siedlungsgebiet der Sorben ist die sorbische Sprache in die öffentliche Beschriftung einzubeziehen. Die sorbische Fahne hat die Farben Blau, Rot, Weiß. Das Sorben/Wenden-Gesetz regelt dann aber die Verwendungsmöglichkeiten: Die sorbische/wendische Fahne hat die Farben Blau, Rot, Weiß. Sie kann gleichberechtigt mit staatlichen Symbolen verwendet werden.