Mit 130 km/h durch das Land

Oder wie man mit dem Wahlkampagne-Asphalt Sand in die Augen streut

Symbolfoto: sxc.hu

„Dein Wort in Gottes Ohr“, sagt der Volksmund. Daran dachte  ich, als ich am Donnerstag, dem 20. Oktober, wie gebannt der Transportministerin Anca Boagiu lauschte. Sie versprach feierlich, die weiteren 434 Kilometer Autobahn im Jahre 2013 für den Verkehr freizugeben. Da kamen mir die Tränen und ich träumte.

Ach wie schön es ist, zwar mit Tempolimit 130, aber doch viel schneller und auf guten Straßen, von einem Ende des Landes zum anderen zu zischen. Der Weg durch das Alt-Tal/Valea Oltului dauert nicht mehr zwei Stunden, bis zur Grenze ist auch nur ein Katzensprung und das ewige Schleichen durch die Dörfer eine Erinnerung aus der dunklen Vergangenheit. Die Städte mit ihren Ampeln und Staus kann man umgehen und fliegt mit seinem Vierrad-Freund über die Berge und Täler. Traumhaft, nicht wahr? Nur irgendwelche bösen Vorahnungen störten meinen Traum.

Und da wachte ich auf. Der Großraumbus, in dem ich saß, steckte gerade zwischen zwei Lastkraftwagen und kroch mit 30 km/h auf einer Europastraße durch die unendlichen Dörfer. Der Busfahrer fluchte. Bis zur nächsten Umgehungsstraße war es noch sehr weit und die Autobahn Bukarest – Piteşti haben wir schon längst hinter uns gelassen.

Am selben Tag, an dem Frau Ministerin ihr Versprechen gab, wurden auch die 24 Kilometer der Umgehungsstraße von Klausenburg/Cluj mit großem Tamtam eingeweiht. Mindestens kostete diese Straße nicht viel – nur 6 Millionen Euro pro Kilometer. Der Bau wurde auch in Rekordzeit fertiggestellt: 6 Jahre brauchten die Baufirmen, um dieses Werk zu verwirklichen. Wenn man auch die versprochenen 434 Kilometer mit derselben Geschwindigkeit bauen wird, müssen wir alle noch etwas warten. Rechnen Sie doch selbst nach, wann Sie, Ihre Kinder oder Enkel auf dieser Autobahn fahren werden.

Eine weitere Befürchtung kroch in meine rosa Traumwelt, als wir die Umgehungsstraße von Hermannstadt/Sibiu erreicht haben. Was wäre, wenn Frau Boagiu keine durchgehende Strecke, sondern Straßenabschnitte gemeint hat? Wenn man so rechnet, haben wir viele Autobahnen in Rumänien: Rund 320 Kilometer kann man sogar durchgehend auf der Autobahn fahren. Man sollte aber nicht vergessen, dass der größte Teil der jetzigen A1 ein Erbstück aus den 1960-70er-Jahren ist. Dazu besitzen manche Städte schon seit einigen Jahren Umgehungsstraßen. Legt man alle vorhandenen Strecken zusammen, könnten wir sogar Bulgarien toppen. Das Nachbarland, dessen Gesamtfläche rund die Hälfte Rumäniens ausmacht, besitzt bereits 517 Kilometer Autobahn. Geplant sind 1350. Und von besonders leichten Baubedingungen kann man auch in Bulgarien nicht sprechen.

Und dann erinnerte ich mich noch an die gute rumänische Tradition, vor den Wahlen Straßen zu teeren. Kann es sein, dass die jetzigen Machthaber in Bukarest versuchen, die vielen Autofahrer auf ihre Seite zu ziehen? Wahrscheinlich werden wir bis zu den Lokal- und Parlamentswahlen im kommenden Jahr vielen pompösen Eröffnungen der weiteren fünf, zehn oder gar 20 Kilometer beiwohnen dürfen. Gerne schmücken sich der Premierminister und die Transportministerin mit solchen Lorbeeren, zerschneiden die Bänder und fahren mit einem einheimischen Auto auf der neuen Autobahn. Danach steigen sie in den Hubschrauber und entfliegen der Realität, zurück zu ihrer Welt der Zahlen, Statistiken und Prognosen. Letztendlich werden diese Autobahnen nicht für die hohen Amtsträger, sondern für das Volk gemacht. Das soll sich damit auch abquälen.