Neue Töne, ein neuer Wind...

... zum 33. Sachsentreffen in Keisd vom 29. September bis 1. Oktober

Die Kirchenburg von Keisd | Fotos: George Dumitriu

Selten so volle Kirchenbänke...

Warten auf den Einzug der Würdenträger...

Trachtenaufmarsch vor der Kirchenburg – Keisd ist UNESCO-Weltkulturerbe

In Keisd steht eine der über 20 Prause-Orgeln Siebenbürgens – bald soll sie restauriert werden.

Interessiert lauscht man dem Vortrag von Thomas Șindilariu in der Ausstellung über historische Epidemien.

Martin Bottesch und Bischof Reinhart Guib überreichten Dr. Paul Niedermaier die Honterusmedaille.

Tanzen mit der Natur, mitten in der Natur, in einzigartiger Kulturlandschaft

Ein stolzer, restaurierter Kirchturm ragt aus der Mitte des geschotterten Platzes auf, wo heute Tänzer in Trachten wirbeln. Volles Gotteshaus, Blasmusik, Freilichtbühne und Stände, Ball, Theater, Wandern und Picknick - alles, was ein gelungenes Fest braucht... Mutig war die Entscheidung der Keisder Gemeinschaft, allen voran des Vorsitzenden des Zentrumsforums Muresch, Rudolf Poledna - „Rudi der V.“, wie er scherzhaft genannt wird -, zum 33. Sachsentreffen nach Keisd/Saschiz einzuladen. Mutig auch das Motto, das diesmal aus der Reihe der üblichen Themen tanzt: „Mensch und Natur. Kulturlandschaft Siebenbürgen.“ Ein Blick in die Grünlandschaft ringsum bestätigt: zurecht.

Das kleine Dörfchen Keisd liegt in einer einzigartigen Kulturlandschaft und gehört mit seiner Kirchenburg nicht nur zum UNESCO-Weltkulturerbe Rumäniens, sondern verfügt auch noch über eine eigenständige evangelische Kirchengemeinschaft mit Pfarrer, Kurator und Presbyterium. Vor einiger Zeit zeichnete sich ein Generationswechsel ab, der die jungen Kirchenglieder vor die Frage stellte: Entweder wir übernehmen das jetzt - oder alles geht an das Bezirkskonsistorium und die Kirchenburg wird vielleicht verkauft, erzählt Poledna. Den jungen Keisdern vor Ort schloss sich eine ebenso junge Heimatortsgemeinschaft (HOG) in Deutschland an, die sich auch an der Organisation des Sachsentreffens vom 29. September bis zum 1. Oktober beteiligt hat. 

Neu, aber nicht ganz neu ist diese Form der Zusammenarbeit, erinnert Martin Bottesch, Vorsitzender des Siebenbürgenforums, bei der Eröffnung an die vorangegangenen Veranstaltungen in Bistritz 2019, Großau 2021 und Meschen 2022. Wächst endlich zusammen, was zusammen gehört? Trotz auseinanderstrebender Sprachsituationen, denn viele in Deutschland Geborene können kein Rumänisch, viele Hiergebliebene leben in gemischten Familien einen zunehmend rumänischen Alltag. Doch die Liebe zur Heimat verbindet: „Es wäre an der Zeit, Siebenbürgen wieder aufbauen“, meint Kurator Johann Schaaser. Auch HOG-Vorsitzender Patrick Kraus will das, was die Urgroßeltern „in der schönsten Gemeinde Siebenbürgens“ geschaffen haben, nicht einfach hinten lassen. In Anbetracht dieser Nachwuchskräfte darf Pfarrer Johannes Halmen auf die Erfüllung seines Herzenswunsches hoffen: nicht der letzte Seelsorger seiner Gemeinde zu bleiben. 

Kirchenburgen erhalten – und mit Leben füllen

Neue Töne – ein neuer Wind. Und der weht nicht nur in Keisd: Ringsum wachsen immer mehr Initiativen aus dem Boden, die sich mit Erhalt und Nutzung dörflicher Kirchenburgen befassen. Denn diese in aufwendigen EU-Projekten zu restaurieren macht nur Sinn, wenn sie anschließend mit Leben erfüllt werden. Sei es als Kirche oder als Zentrum für ein soziales, kulturelles oder Bildungsprojekt. Siebenbürgen ist dabei, sich neu zu definieren. Viele Projekte sind eine „One-Man-Show“, bemerkt Rudolf Poledna - und gibt den Akteuren die „Bühne“ frei:

Benjamin Schaaser, 1995 ausgewandert, kam 2007 zurück nach Siebenbürgen und begann, sich um die Kirchenburg in Arkeden zu kümmern, damals in katastrophalem Zustand. Dank eines EU-Projekts wurde sie 2012-2014 restauriert und wiedergeweiht. Doch sie soll kein Museum werden, hatte sich Schaaser vorgenommen, der selbst als Kind „im Pfarrhaus aufgewachsen ist, in der Burg gespielt und die Glocken geläutet hat“. Er fand, dies alles müsse Kindern und Jugendlichen offenstehen und begann dort ein Projekt mit dem internationalen überkonfessionalen Jugendverband CVJM. Seit 2017 gibt es die „Jugendscheune Betlehem“ mit 14 Gästebetten und allem, was man braucht, um mit Gruppen aus dem In- und Ausland jedes Jahr 15 Jugendfreizeiten auszurichten. Einmal im Monat findet wieder ein Gottesdienst, einmal die Woche eine Andacht statt, obwohl die letzten Sachsen ausgewandert  sind. „Doch es gibt Leute, die mögen diese neue Gemeinschaft“ –15 Mitglieder zählt die  Kirchgemeinde wieder. Eine Winterkirche und Kinder-Gemeinschaftsräume wurden geschaffen, die Burghüterwohnung instand gesetzt. „Die Kirche steht in der Mitte des Dorfs, doch im Mittelpunkt der Kirche stehen immer Menschen“, findet Schaaser.

Aus Holzmengen/Hosman erzählt Hans Georg Junesch, der dort 2003 als Pfarrer begann: Die deutsche Botschaft hatte 1993-1995 eine Stiftung zur Sanierung der Kirchenburg gegründet, und sie ist „bis heute schön“. Nachdem der alte Pfarrer 1993 ausgewandert war, war das Pfarrhaus an das Jugendbegegnungszentrum Kirchenburg Holzmengen (CEPIT) übergeben worden, um dort Bildungsprojekte durchzuführen. Sachsen leben keine mehr in Holzmengen, doch haben rund 70 Familien – „Sommersachsen“ – ihre Häuser behalten. Die HOG hat Interesse am Erhalt der Kirchenburg und impliziert sich gemeinsam mit der Stiftung Kirchenburgen, der Evangelischen Kirche und dem Jugendzentrum. Im Projekt „Offene Kirchenburg“ kümmern sich Freiwillige, die dort wohnen, vier Monate lang um Kirche, Hof und Besucher, niemand muss den Schlüssel mehr im Dorf suchen. Über den Hermannstädter Marathon wurden Gelder für die Dachreparatur gesammelt. Seit 2014 gibt es das Holzstock-Festival, das sich an die regionale deutschsprachige Jugend richtet, die Musikgruppen, die sich dort treffen, werden von Ira Boian betreut. 2017 wurde erstmals ein lokales Sachsentreffen von der HOG organisiert, 2019 zusammen mit der rumänischen Gemeinde das 700. Jubiläum gefeiert. Seit 2018 gibt es einen Weihnachtsmarkt. 2018 bis 2021 wurde das Predigerhaus mit Berufsschule, angeleitet von einem Banater Berufsschullehrer, instandgesetzt und heuer wurde der Aufgang zur Orgel saniert. 

Alexander Kloos und sein Verein Kulturerbe Siebenbürgen haben sich vorgenommen, die eher unscheinbare gotische Saalkirche von Schmiegen/Șmig zu erhalten. Kloos setzt dafür auf Workshops mit jungen Restaurateuren, die die Fresken auf 260 Quadratmetern Wandfläche zu neuem Leben erwecken. Im vergangenen August waren 25 Studenten aus vier Nationen vor Ort, angeleitet von fünf Restaurateuren und zwei Professoren. „Die Studenten sind so begeistert, dass man sie kaum von den Gerüsten zum Essen runterbringt“, schwärmt Kloos. Lehrgänge und Workshops zur archäologischen Erforschung der Kirche leitet Prof. Marian }iplic von der Lucian Blaga Universität. Die Grabungen dienen dazu, Aufschluss über den Zustand der Kirche zu erhalten, aber auch über Kohabitationen vor Ort. Man findet menschliche Schädel und Gebeine von Bestattungen und Nachbestattungen. Eine Gruppe entdeckte eine über 3000 Jahre alte intakte Urne aus der Hallstadt-Kultur, die im Brukenthal-Museum ausgestellt werden soll. Im nächsten Jahr hofft Kloos auf Verträge für eine offizielle Sommerschule in Kooperation mit den Unis in Bukarest und Klausenburg.

Aus Trappold/Apold berichtet Sebastian Bethge vom „Apold Heritage Lab“. Der Denkmalpfleger der Stiftung Kirchenburgen, gelernte Zimmermann und Vorsitzende des Vereins Casa Apold, kümmert sich seit 2003 um die Kirchenburg. Begonnen hat alles mit Notrettungsmaßnahmen, bis die Anlage 2013-14 mit EU-Geldern saniert wurde. Inzwischen gehören Restaurationen, Kulturprojekte und Bildungsprogramme zum Repertoire des Vereins. Außerdem fanden in den letzten Jahren zahlreiche Sommerschulen für Architekten und Bauingenieure sowie Handwerksworkshops für Maurer, Zimmerleute, Steinmetze und Schmiede statt. Die Projekte kommen der Kirchenburg und dem Erhalt traditionellen Handwerks zugute. Neben Gottesdiensten finden auch kulturelle Aktivitäten statt: „Noctambuli“ – die lange Nacht der Museen in Dörfern, Konzerte, baugeschichtliche Ausstellungen, Installationen zur Kulturlandschaft und deren Gefährdung. „Dies alles geht nur mit einer Gemeinschaft – die man notfalls umdefinieren muss“, betont Bethge. Wichtig sei aber auch Verbindungen zu Universitäten und anderen Vereinen. Nach 15 Jahren will sich der Verein Casa Apold nun schwerpunktmäßig auf Dokumentation, Forschung und Bildung, Kunst und Kultur stützen. 

Zukunftsprojekt Keisd

Über Aktivitäten und Pläne in Keisd berichtet Rudolf Poledna: Neben einer bezahlten Person für den Verkauf von Tickets in der Kirchenburg gibt es nur Ehrenämter; ein Kurator und fünf Presbyter kümmern sich um Kirche und Hof, eine Presbyterin fährt den Kleinbus mit sieben Kindern und zwei Lehrerinnen nach Schäßburg zur deutschen Schule. Das Rathaus half, das enteignete sächsische Schulhaus rückerstattet zu bekommen und kaufte es, mit dem Geld konnte der Turm saniert werden, so Poledna, der zum Sachsentreffen drei Ausstellungen beherbergte: „Samuel von Brukenthal - ein früher Europäer“, „Reformation im östlichen Europa“ und „ Pandemien und Epidemien in der Vergangenheit“.

Nächster Plan sei die Renovierung des Pfarrhauses als Treffzentrum, „denn wir wollen, dass auch unsere Kinder ihre Zeit mit Ehrenamt verplempern“, scherzt Poledna. Weil Organist Bruno Roth während der Pandemie den Kindern das Orgelspielen beibrachte, wird nun auch die Orgel restauriert.

Glück haben die Keisder Sachsen nicht nur mit dem Rathaus, sondern auch mit der vorwiegend aus Rumäninnen bestehenden Frauennachbarschaft, die alle mit an einem Strang ziehen. Auch die nicht evangelischen rumänischen Ehefrauen unterstützen ihre Männer und müssten „mehr Zugang zur Kirche bekommen“, meint Poledna. Schade, dass trotzdem die Gelegenheit versäumt wurde, die Reden auch auf Rumänisch zu übersetzen.

„Das lokale, inter-ethnische, trans-kulturelle neue Wir“

Von der Bewahrung der Schöpfung, die auch Aufgabe der Kirche sei, schlägt der evangelische Bischof Reinhart Guib im samstäglichen Gottesdienst den Bogen zwischen dem Motto des Sachsentreffens und der „kleinen selbstbewussten Gemeinschaft“, die es gewagt hat, dazu nach Keisd einzuladen. Hoffnung für die Zukunft machen auch zehn in diesem Jahr wieder eingeweihte Kirchen, „um sie in die Hände der nächsten Generation zu legen. Ein Wunder in einer Zeit“ so Guib, „in der man den Eindruck hat, dass alles weniger wird.“

Der Posaunenchor Schäßburg unter Theo Halmen spielt „Jauchzt dem Herrn alle Welt“. Vor dem Altar eröffnet Pfarrer Johannes Halmen die Predigt von Bruno Fröhlich, Dechant und Stadtpfarrer in Schäßburg/Sighișoara. Beim Stichwort „Gottes Anwesenheit“ fänden viele auch in der Natur, maunzt passend lautstark eine verirrte Katze; durch die Reihen huscht ein verhaltenes Schmunzeln. 

Grußworte sprechen der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), Dr. Paul-Jürgen Porr, der Abgeordnete der deutschen Minderheit, Ovidiu Gan], Unterstaatseekretär Thomas Șindilariu vom Departement für interethnische Beziehungen an der Regierung Rumäniens (DRI), die österreichische Botschafterin Adelheid Folie, die Vorsitzende des HOG-Verbandes Ilse Welther, der Bundesvorsitzende des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Rainer Lehni und der Bundesobmann des Bundesverbandes der Siebenbürger Sachsen in Österreich, Konsulent Manfred Schuller. Dr. Porr mahnt mit Bezug auf die noch intakte Kulturlandschaft im „Land des Segens“, Siebenbürgen, nicht die „Fehler des Westens zu wiederholen“, mit zubetonierten Alpentälern, die Landschaft durchschneidenden Liftanlagen und saurem Regen. „Schön wie im Paradies“ sei Keisd, findet Ilse Welther, und „hier guckt man noch aus einem Bauernhof in die Natur und nicht aus einem Spa-Ressort“, bemerkt Șindilariu und lobt das „lokale, interethnische, transkulturelle neue Wir“ der Keisder. Ovidiu Ganț empfand die Kirchenburgenprojekte vom Vortag als „Inspirationen“ – „jeder Leu, den wir für solche Projekte erkämpfen, ist Gold wert – aber nichts wert ohne euch!“, sagte er den Initiatoren.

Kulturlandschaft intakt, aber gefährdet

Zum Motto „Mensch und Natur. Kulturlandschaft Siebenbürgen“ tragen Prof. Dr. Rudolf Poledna (IV.), Soziologe an der UBB Klausenburg, und Dietmar Gross, ehemaliger Forstdirektor und Naturschützer in Deutschland, heute Deutsch-Weißkirch/Viscri, vor. Eine Kulturlandschaft, erklärt Poledna, setzt Bearbeitung durch den Menschen und damit eine soziale Ordnung voraus, die früher in den Statuten der  Nachbarsschaft verankert war. Für die aktuelle Biodiversität ist die traditionelle landwirtschaftliche Bewirtschaftung essenziell. 

Geprägt ist die siebenbürgische Kulturlandschaft noch von kleinen Mosaikstrukturen, Verzahnung von Offenland und Wald,  undurchschnittener Landschaft - kaum Zäune, Windräder, Großgebäude, die Straßen dem Bodenrelief angepasst - und keine geraden Linien, erklärt Gross. „Die Gerade ist der Tod der Landschaft“, zitiert er Friedensreich Hundertwasser. „Hier nicht!“ betont Gross, denn zwischen Nutzflächen sorgt Brachland für pflanzlichen Artenreichtum und tierischen Lebensraum. Büffel schaffen Wasserlöcher und halten die Landschaft feucht. Hutweiden, auch Hutewälder genannt - locker stehende, einzelne Eichen - spenden Kühen und Büffeln Schatten. Tiere helfen, die Landschaft offen zu halten. Früher hatte jedes Dorf einen Hutewald, heute sind sie selten geworden, auch weil sie für die inzwischen vermehrt eingeführten Schafherden nicht nötig sind; Schafe brauchen keinen Schatten. Aus Deutschland und den meisten EU-Ländern sind Kulturlandschaften wie diese weitgehend verschwunden. 

Als Gefahren für die siebenbürgische Kulturlandschaft nennt Gross: mehr Privatflächen, weniger gemeinschaftliche Bearbeitung, Fremdkapital mit großen Bearbeitungseinheiten, Monokulturen (Luzerne statt Blumenwiesen), Intensivierung und Mechanisierung der Landwirtschaft, Zerstückelung durch Zäune, die Aufgabe des täglichen Viehtriebs, das Abbrennen von Restvegetation, Förderprogramme über APIA zu Lasten der ökologischen Vielfalt, die Aufgabe einer rund 800 Jahre alten Kreislaufwirtschaft. Doch wenn Weidetiere die Landschaft nicht mehr offenhalten, werden sich wie in Deutschland Landschaftspflegeverbände darum kümmern müssen... 

In Deutsch-Weißkirch hat daher der Verein Agro-Eco Viscri-Weißkirch die Gemeinde-Weideflächen gepachtet und erprobt dort verschiedene Maßnahmen zum Erhalt der Kulturlandschaft. Neben der Beweidung, Bewirtschaftung und Brunnensäuberung wurden auch gezielt Bepflanzungen von Hutweiden durchgeführt. Nachdem die ersten Eichen trotz Zäunchen von Ziegen gefressen wurden, pflanzte man beim nächsten Mal Dornenbüsche als Schutz. Nur, dass dann die Behörden diese Flächen von den Förderungen ausschlossen, weil sie „nicht gesäubert“ waren, lacht Gross. Auf der Suche nach den besten Methoden, wie kleine Gemeinschaften traditionelle Landschaften bewahren können, werden auch Experten eingebunden, etwa die Uni Klausenburg. Außerdem hält der Verein Workshops ab, um junge Leute aufzuklären, warum der Strukturreichtum erhalten werden sollte. 

Honterusmedaille für interdisziplinären Forscher

Die Honterusmedaille ging in diesem Jahr an Dr. Paul Niedermaier – als „herausragenden Wissenschaftler“, der „grundlegende Werke geschaffen hat“, als „glaubensfesten Mann der Kirche“ in wichtigen Funktionen und als „geradliniges Mitglied der Gemeinschaft“ mit gesellschaftlichem und politischem Verantwortungssinn, so Laudator Dr. Harald Roth. Als Architekt und Angestellter des Brukenthalmuseums beteiligt an der Erstellung des Freilichtmuseums im Jungen Wald, forschte Niedermaier später im damaligen Zentrum der Sozialwissenschaften der Rumänischen Akademie in Hermannstadt/Sibiu zum siebenbürgischen Städtebau. Als Landeskirchenkurator bewies er die Vereinbarkeit von Forschung und Kirche. Seine interdisziplinäre Herangehensweise an die Erforschung des Städtebaus - mit Klimadaten, Vegetationswandel, Bodenbeschaffenheit, demographischen und bauhistorischen Daten und sogar Sprachforschung - machte ihn auch über die Landesgrenzen bekannt. Mit seiner ganzheitlichen Betrachtungsweise zeichnete er die komplexe Siedlungsgeschichte unzähliger Völkerschaften ab dem 9. Jahrhundert bis in die Blütezeit siebenbürgischer Städte im Spätmittelalter nach - und stellte fest, dass die Vorfahren der Sachsen „keinesfalls in ein unbekanntes oder unbewohntes Land kamen“. Neue Töne, neuer Wind - auch von den „alten“ Landsleuten.

Seine Karriere gipfelte 2018 in der Ernennung zum Vollmitglied der Rumänischen Akademie. Vier Orden, 15 Ehrendiplome, das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschlands und die Ehrenbürgerschaft Hermannstadts ergänzen nun die Honterusmedaille als höchste Auszeichnung des Siebenbürgenforums und der evangelischen Kirche. Und über all den festlichen Highlights strahlt die Sonne im herbstlich-sommerlichen Keisd. Blasmusik, Zöpfe, Bänder, Kreuzstich auf weißem Leinen, und der betörende Duft frischer Äpfel in der Luft.