Nicht cocktailtauglich!

Vor einiger Zeit erhielt mein Mann eine Einladung zum Jubiläumsempfang des „Traveller Magazins“ der Zeitschrift „National Geographic“, mit der er jahrelang zusammengearbeitet hatte. Ich sollte ihn begleiten – ausnahmsweise „nur“ als Ehefrau. Es würde einfach ein festlicher Abend sein und wir freuten uns beide darauf. „Druck doch bitte die Einladung aus“, rief mich mein Göttergatte am Tag davor in der Redaktion an.
Aber – oh Schreck! Was stand da in großen Lettern? Dress Code: Cocktail.

„Was zum Geier ist das?“ George muss es unbedingt wissen! Hektisches Googeln enthüllt die Regeln – für Herren ganz einfach: Anzug mit Hemd und Krawatte. Für Damen: transparente Seidenstrümpfe – Stop! Sowas hab ich nicht. Würgegalgen für sich durchbohrende große Zehen sind bei mir seit Jahrzehnten ausgemustert. Ein elegantes Kleid, etwa knielang, keinesfalls darf es ein einfaches Sommerkleid sein und nichts aus Strick oder dickem Stoff. Pah! Es war Ende November, draußen lag Schnee. Zu Schuhen äußerte der Online-Ratgeber: Pumps, zwingend mit Absatz, doch nicht höher als acht Zentimeter. Verpönt ist laut Google alles, was ich so trage: flache Treter, Stiefel, Sportschuhe. „Wie wär’s mit einer Hose und einer hübschen Bluse?“ flötet mein Göttergatte versöhnlich. Ich belehre mit meinem brandneuen Wissen: „Hosen sind ein No-Go!“ Hilfe! Nach dem Online-Knigge bin ich einfach nicht cocktailtauglich!

Spontan muss ich an die alten Damen denken, die auf solchen Veranstaltungen stets zuerst das Kuchenbuffet stürmen: Wer würde von denen wohl im kniekurzen Cocktailkleid erscheinen? Die rumänischen Mädchen hingegen würden wie Prinzessinnen gedresst leichtfüßig über das Parkett schweben. Nur beim Stöckel würden sie kräftig schummeln, denn acht Zentimeter gilt hierzulande als bequemer flacher Schuh und ist eher was fürs Gebirge.

Frustriert begutachte ich meinen Kleiderschrank. Schon jahrelang nichts mehr Neues gekauft... Wozu auch, wenn mich Verwandte und Freundinnen liebevoll versorgen? Notgedrungen entschied ich mich für ein Outfit aus meiner Patchwork-Sammlung: der Samtrock von Birgit, die schwarze Jacke von Rosi, die flachen Stiefel und die Tasche von Martina, das rosa T-Shirt von Maria, der schwarze Glitzerschal von Silvana (von dem ich dachte, den kann ich doch im Leben nie tragen!), die zeh-freundlichen, blickdichten Leggings und das wollene Stirnband von Mutti, darüber Schwägerin Margots Winterjacke. Ich ging sozusagen als Birgitrosimartinamariasilvanamuttimargot. Mein Mann ging einfach nur als er selbst. Er hat keinen, der ihm Klamotten schenkt.

Unseren wenig salonfähigen, dafür geländegängigen Lada-Niva versteckten wir in der Parallelstraße zum Fünfsternehotel – man muss ja nicht gleich mit dem Traktor vorfahren. Dann schwebten wir durch den Nieselregen Arm in Arm selbstbewusst zum Empfang. Ich gab die Margot und die Mutti an der Garderobe ab, steckte die Nummer in die Martina, strich die Rosi glatt und zupfte die Silvana im Form - und fühlte mich bereit, der rumänischen Cocktailgesellschaft den Kampf anzusagen!

Nunja... Die alten Damen fehlten. Vermutlich, weil es kein Kuchenbüffet gab. Oder hatten sie auch in ihren Schränken vergeblich nach einem Cocktailkleid gesucht?

Der Rest der Damenwelt trug streng Verbotenes: Cordhosen! Derbe Lederstiefel! Bolero über Sommerkleid! Jeans mit Glitzerbluse! Schlauchkleider aus dickem Strick! Und – wie erwartet – waffengrädiges Schuhwerk. Oder sind acht Zentimeter in Rumänien einfach länger als überall anderswo auf der Welt, genauso wie acht Minuten? Auf einmal fühlte ich mich herrlich entspannt in meinem Outfit. Kein Dress Code – kein Stress Code in Rumänien.