Online-Belästigung und Bedrohung von Journalisten

Ein weltweit zunehmendes Problem – und wie man sich schützen kann

Symbolbild: Yan Krukov/Pexels

Improvisiertes Denkmal für Journalistin Daphne Caruana Galizia vor dem Justizpalast in der maltesischen Hauptstadt La Valetta | Foto: Wikimedia Commons

Wussten Sie, dass Journalistinnen, die einst für Frauen tabuisierte Themen wie Politik, Wirtschaft behandeln oder investigativen Journalismus betreiben, deutlich häufiger und schlimmeren Online-Belästigungen als Journalisten männlichen Geschlechts ausgesetzt sind? Online-Angriffe auf Journalisten – einschließlich Drohungen, Beleidigung und Hetzkampagnen – werden zunehmend als Mittel eingesetzt, um sie zum Schweigen zu bringen oder ihre Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit in Frage zu stellen. Im schlimmsten Fall sogar durch Morddrohungen! Diese Art der Beeinflussung der Pressefreiheit ist nicht nur in Staaten mit totalitärem Regime üblich, sondern auch im demokratischen Westen. Die Pressefreiheit hat allerdings auch einen globalen Wächter: das Internationale Presseinstitut (IPI) mit Hauptsitz in Wien.

Es ist die älteste grenz-überschreitende Organisation, die seit 1950 Pressefreiheit fördert und schützt. Sie  genießt Beratungsstatus für die EU, UNO und den Europarat und hat Mitglieder in über 115 Ländern. Als weltweit wichtigster Wächter der Pressefreiheit hat das IPI ein Protokoll zur Bekämpfung der Belästigung von Journalisten verfasst. Darüber haben im Rahmen eines internationalen Masterkurses Anfang März Javier Luque-Martínez, Leiter des Departements für digitale Kommunikation am IPI, Becky Gardiner, Professorin für Journalismus an der Goldsmiths Universität in London und Caroline Muscat, Journalistin bei „The Shift News“ in Malta, diskutiert. Sie geben einen Überblick über die Formen von On-line-Belästigung sowie über mögliche Unterstützung für deren Opfer.

Großangelegte Studie

Das IPI hat für seine großangelegte Studie im Jahr 2018 Arbeitsbesuche bei 45 Redaktionen und journalistischen Vereinen in Finnland, Deutschland, Polen, Spanien und Großbritannien unternommen. Mehr als  110 Redaktionsleiter, Verlagschefs, Social Media Manager, Rechtsexperten, Vertreter der Zivilgesellschaft und Wissenschaftler wurden befragt. Im Rahmen der Expertentreffen in Österreich wurden vier Gesprächsgruppen mit Journalistinnen und weitere vier mit Freiberuflern organisiert, um die Auswirkungen von Online-Belästigung in diesen Kategorien zu besprechen.
Weil Nachrichtenredaktionen eine Schlüsselrolle beim Schutz ihrer Journalisten vor beruflichen und persönlichen Schäden spielen, hat IPU 2020 ein Protokoll mit Maßnahmen, die Redaktionen ergreifen können, veröffentlicht.

Wie sehen Online-Angriffe aus?

Luque-Martínez hält es für wichtig, zwischen Angriffen durch Einzelpersonen und koordinierten Angriffen oder Verleumdungskampagnen zu unterscheiden. Einzelne Angreifer werden eher Androhungen von körperlicher Gewalt oder Vergewaltigung gegen die betreffende Person oder ihre Familie bis hin zu Morddrohungen äußern. 70 Prozent aller Drohungen machen Doxing (Suche nach und Veröffentlichung persönlicher Informationen mit negativer Absicht), feindselige Kommentare zu Artikeln, Einschüchterungs-E-Mails usw. aus. Dies hat sowohl berufliche Selbstzensur zur Folge als auch emotionale Auswirkungen. Wenn man solchen Angriffen lange ausgesetzt ist, kann dies zu posttraumatischen Belastungsstörungen führen.

Das Hochladen von manipulierten  Grafiken (Memes), Bildern der Journalisten und Kommentare auf öffentlichen Internetseiten und Propagandaseiten, die auf die Diskreditierung ihrer Arbeit abzielen, können Redakteure auch beruflich beeinträchtigen.

Gezielt geplante Angriffe

Geplante Online-Angriffe sind meist politisch gesponserte Angriffe von mehreren echten Internetbenutzern oder Bots, die eine Hetzkampagne gegen einen bestimmten Journalisten führen. Die erste Hetz-Welle dauert norma-lerweise 24 bis 48 Stunden. Danach können sich die Angriffe intensivieren und sich allmählich zu körperlichen oder Todesdrohungen steigern. Dadurch wird der Eindruck erweckt, dass das verbreitete Gerücht nicht nur wenige, wie es meist tatsächlich ist, sondern die Mehrheit der Leser glauben. Dies ist eigentlich eine Taktik zur Kontrolle des Narrativs: Online-Missbrauch, speziell organisierte Kampagnen, sind Teil einer umfassenderen Propagandabemühung, um hochwertigen, unabhängigen Journalismus in die Enge zu treiben.

Belästigung meist geschlechterbezogen

Eine 2016 veröffentlichte interne Studie der britischen Tageszeitung „The Guardian“, die aus einer Analyse von 70 Millionen, seit 2006 geposteten Leserkommentaren und einer Meinungsumfrage unter Mitarbeitern besteht, verschaffte weitere Einblicke, so Becky Gardiner. So war es bei manchen Themen wahrscheinlicher, dass die Redakteure beschimpft würden, als bei anderen. Deutlich weniger Frauen als Männer schreiben für die Zeitung (ca. 30  Prozent), bei klassischen Männerthemen wie „harten Nachrichten“, Politik oder Wirtschaft ist die Kluft jedoch größer. Artikel von Frauen erhalten unabhängig vom Themenbereich insgesamt deutlich mehr blockierte Kommentare. Je stärker jedoch eine Sparte von männlichen Journalisten dominiert ist, desto mehr blockierte Kommentare entfallen auf weibliche, die zum selben Thema berichten.

Frauen, die für die Rubrik  „Weltnachrichten“ schrieben, wurden häufiger beschimpft als Frauen in „weicheren“ Bereichen wie Lifestyle.

Obwohl 2016 etwa 70 Prozent der regelmäßigen Meinungsschreiber des Guardian weiße Männer waren, zeigte die Untersuchung, dass die von Online-Missbrauch betroffenen Journalisten in der Mehrzahl anderen Rassen angehörten. Unter den zehn am meisten missbrauchten Autoren waren acht Frauen (vier weiße und vier nicht-weiße) und zwei dunkelhäutige Männer. Zwei der Frauen und einer der Männer waren schwul. Und von den acht Frauen in den „Top 10“ war eine Muslimin und eine jüdisch.

Die zehn Autoren, die hingegen am wenigsten beschimpft wurden, waren alle Männer. Bei der Mitarbeiterbefragung gaben 80 Prozent der Teilnehmer an, dass sie Kommentare erhalten hatten, die ihrer Meinung nach „über eine akzeptable Kritik ihrer Arbeit hinausgingen“. Im Durchschnitt sei dies mehr als 50 Mal geschehen und der Missbrauch von Frauen wurde viel häufiger sexualisiert als im Fall von Männern. Die befragten Journalistinnen erhielten immer wieder Kommentare über ihren Körper, ihr Privatleben oder ihre Geschlechtsorientierung.

Mögliche Maßnahmen 

Jede Nachrichtenredaktion sollte eine Sicherheitskultur rund um Online-Belästigung pflegen. Dazu gehören auch die Aufklärung der Leserschaft oder das Erarbeiten von Richtlinien zum Posten von Kommentaren. Eine Möglichkeit besteht auch darin, weniger Artikel zum Kommentieren freizugeben.

Äußerst wichtig ist ein starkes  Moderationsteam, das über fortgeschrittene digitale Filtertechnik verfügt. Nicht zu empfehlen ist die Selbstmoderation der Diskussion durch den Artikelverfasser. 

Der Autor eines Beitrags soll sichere Kanäle für seine Berichterstattung verwenden und mit persönlichen Informationen vorsichtig sein, vor allem in sozialen Medien.  Die Angabe von Aufenthaltsort oder die Veröffentlichung von Fotos, wo das Nummernschild des PKWs sichtbar ist, ist zu vermeiden. Der Verfasser soll Datum und Uhrzeit der Veröffentlichung seines Textes im Voraus erfahren, um für eventuelle Angriffe vorbereitet zu sein.

Vor Veröffentlichung eines Artikels über ein umstrittenes Thema kann die Redaktion eine Risikobewertung unternehmen, um festzustellen, ob dem Verfasser Gefahr droht. Dann kann man zusammen mit dem Verfasser beschließen, die Nachricht im Namen der Redaktion zu signieren.

Wenn Journalisten belästigt werden, sollten alle Angriffe dokumentiert werden. Je nach Land kann die Redaktion zum Rechtsbeistand, psychologischer Unterstützung und digitaler Sicherheit verpflichtet sein. In manchen Fällen sind vorübergehende Beurlaubung, Umzug oder Versetzung an einen sicheren Ort eine Lösung.

Social-Media-Plattformen hingegen sind notorisch nicht ansprechbar und von den Benutzerzahlen her überfordert. Zudem gibt es kaum erfolgreiche Rechtsinstrumente, es herrscht weltweiter Mangel an Ausbildung in Polizei- und Justiz zum Thema, erschwerend wirkt, dass der Internetraum nationale Grenzen überschreitet. So wurde eine Zunahme staatlich geförderter und international vernetzter Angriffe beobachtet. 

Fallstudie: Journalistin stirbt in Autobombenanschlag

Dass Online-Drohungen oft in die Wirklichkeit umgesetzt werden, zeigt der Fall der Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia aus Malta, die 2017 in einem Autobomben-Anschlag ums Leben kam. Ihren Fall und die Untersuchung der örtlichen Redaktion der Zeitung „The Shift News“ – dies in einer Zeit, wo die Ermittlungen der Justiz fehlten oder absichtlich nachlässig waren – hat Caroline Muscat, Journalistin bei „The Shift News“ einprägsam präsentiert.

Für die Untersuchung hatte man sich Zugang zu geschlossenen geheimen Facebook-Gruppen mit mehr als 60.000 Mitgliedern, über die Daphne Caruana Galizia wegen ihres investigativen Journalismus beleidigt, belästigt und diskreditiert wurde, geschaffen. Sechs Monate lang waren Mitarbeiter der Redaktion inkognito Zeugen des he-rabwürdigenden Benehmens der Gruppenmitglieder gegenüber der Journalistin und der Verbreitung von falschen Gerüchten und Desinformation über sie. Die Ergebnisse des Untersuchungsberichts wurden anschließend veröffentlicht. Darin heißt es: Eine „staatlich geförderte Belästigungskampagne“ gegen Daphne Caruana Galizia „bereitete den Boden für das Attentat“.

Die geheimen Facebook-Gruppen wurden verwendet, um die Wähler in einem überparteilichen Umfeld, das offen aufrührerische Sprache sowie Hassreden belohnte und gegensätzliche Ansichten entfernte, zu radikalisieren, zur Herstellung und Verbreitung toxischer Narrative, zur Mitbestellung manipulierter Online-Umfragen, Wahlmanipulation und zum Koordinieren von Hetzkampagnen, einschließlich gegen Journalisten und Aktivisten der Zivilgesellschaft.

Es stellte sich heraus, dass viele Beamte, Minister und Abgeordnete Mitglieder dieser Facebook-Gruppen waren, diese aktiv nutzten und sich über die Ermordung der Journalistin freuten, ja, sich gegenseitig gratulierten! Wegen der ausgeprägten Regierungsbeteiligung erwies sich, dass die Hetzkampagne durch zentralisierte Steuerung koordiniert wurde.

Auswirkungen der Recherchen der Redaktion

Auswirkungen der Investigation der Redaktion waren die Beschämung der Regierungspolitiker (einschließlich des Präsidenten), die unter Druck gesetzt wurden, überparteiliche Facebook-Gruppen zu verurteilen oder sich von ihnen zu distanzieren. Die Regierung hat Zwangsmaßnahmen wie die hastige Einrichtung einer „Hate Speech Unit“ getroffen. Die Polizei hat strafrechtliche Verfolgungen aufgrund von Beleidigungen, Drohungen sowie Hassrede eingeleitet. Die Untersuchung schuf unter anderem auch ein internationales Bewusstsein in Bezug auf Journalistenbelästigung. Und Malta, ein zuvor ruhiger Staat, befindet sich jetzt auf den Radarschirmen staatlich geförderter Belästigungs-Forscher, darunter die Oxford University, das IFTF Digital Intelligence Lab und Bloomberg.