Plattform des freundschaftlichen Dialogs

Sechste Ausgabe von „Brücken der Toleranz“: Minderheiten stellen ihren Beitrag zur Entwicklung Rumäniens vor

Jose Iacobescu, Präsident des rumänischen Zweigs der jüdischen Loge B’nai B’rith, Organisator der Konferenz

Staatssekretärin Enikö Lacziko (DRI) monitorisiert die Rechte der Minderheiten

Frage an Radio Eriwan: „Mit welchem Ergebnis kann ein Gerichtsstreit zwischen einem Armenier und einem Juden ausgehen?“ Antwort: „Mit zehn Jahren Gefängnis für den Richter.“ Mit diesem Scherz endet Dr. Arsen Arzumanyan seine akademische Präsentation über den Beitrag der armenischen Minderheit zur Entwicklung Rumäniens. Wie solche Witze entstehen, ist klar: Wo mehrere Völker zusammenleben, gibt es immer auch Konkurrenz, wie dies zwischen den armenischen und jüdischen Händlern auf dem historischen Gebiet der Moldau der Fall war. Erzählt man sie sich augenzwinkernd auch untereinander – wie der armenische Vortragende auf einer von der jüdischen Freimaurerloge „Forum B‘nai B‘rith Dr. Moses Rosen, Rumänien“ organisierten Veranstaltung – ist ebenso klar, dass es keine ernsten Differenzen gibt und man freundschaftlich miteinander kommuniziert. Genau darum geht es in der sechsten Ausgabe von „Brücken der Toleranz“ („Podurile Toleranței“). Um Brücken, die die nationalen Minderheiten Rumäniens begehen, um den freundschaftlichen Dialog zu pflegen. 


Das EU-Projekt „Brücken der Toleranz“ war 2012 auf Vorschlag der später zur Präsidentin von B‘nai B‘rith Europa gewählten, 2015 verstorbenen rumänischen Jüdin Dr. Erika von Gelder entstanden. Als Aufklärungsprojekt gegen Antisemitismus, Diskriminierung und Fremdenhass eigentlich für sieben Länder in Zentral- und Osteuropa geplant, fand 2013 die erste Ausgabe in Rumänien, Bulgarien und der Slowakei statt. Weitere Ausgaben gab es dann nur noch in Rumänien.

Die ersten beiden befassten sich mit dem Beitrag der jüdischen Minderheit zur Landesentwicklung und Diplomatie, Holocaust-Erinnerungen und dem Image der Juden in der rumänischen Gesellschaft. Zur dritten Ausgabe waren erstmals auch Roma und Tataren als Beispiele für Minderheiten mit schwerer Vergangenheit dazu eingeladen worden. Die vierte Ausgabe befasste sich mit dem Zusammenleben aller nationalen Minderheiten mit der rumänischen Mehrheit. Ab der fünften Ausgabe, darin ging es um den Beitrag der Minderheiten in Rumänien zur Entwicklung einer lebendigen europäischen Kultur, übernahm Staatspräsident Klaus Johannis die Schirmherrschaft.

Das Thema der sechsten Ausgabe, einer Konferenz in der Rumänischen Akademie am 19. Juni, lautete: „Der Beitrag der nationalen Minderheiten zur wirtschaftlichen Entwicklung Rumäniens“. Die Moderation der Vortrags- und Diskussionsgruppen hatten Jose Iacobescu, Präsident von B‘nai B‘rith Rumänien, Akademiemitglied Prof. Dr. Paul Niedermaier und Prof. Dr. Horvath István, Präsident des Instituts für das Studium der Probleme Nationaler Minderheiten, inne. Zur Eröffnung sprachen Akademiepräsident Ioan Aurel Pop, Präsidentenberater Sergiu Nistor, der Botschafter Israels, David Saranga, die Minderheiten-Abgeordneten Varujan Pambuccian (Armenier), Dragoș Zisopol (Griechen), Silviu Vexler (Juden), Staatssekretärin Enikö Lacziko vom Departement für Interethnische Beziehungen an der Rumänischen Regierung (DRI), finanzieller Unterstützer der Veranstaltung, und der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), Dr. Paul-Jürgen Porr.

Bedeutende jüdische Banker

Nationalbank-Vizegouverneur Prof. Dr. Liviu Voinea hielt einen Fachvortrag über die Rolle der jüdischen Gemeinschaft bei der Etablierung des Bankensystems in Rumänien durch Einführung moderner Bankinstrumente bereits vor 1850 (die vollständige Rede ist auf der Webseite der BNR veröffentlicht). Zu den wichtigsten jüdischen Bankern gehörten: Hillel Manoach, zwischen 1825 und 1850 einer der wichtigsten Kreditoren des Landes, und dessen Sohn, einer der respektiertesten Banker Bukarests; Israel Chaim Daniel aus der bekannten Bankerfamilie Daniel im Jassy/Iași des 19. Jh. als Mitglied der Führung der BNR-Filiale Jassy; Jacob Marmarosch und Mauriciu Blank, die Gründer der Marmarosch Bank (1874), involviert in die Finanzierung der Eisenbahn, Industrie, öffentlicher Projekte, in Kreditvergaben an Gemeinden und Versicherungen. Blank modernisierte zudem das Zahlungssystem in Rumänien. Emanuel Fanchy, Schwiegersohn von Hillel Manoach, war der erste, der mangels offizieller Börse täglich den Kurs veröffentlichte. Am heutigen Sitz der BNR befand sich früher die von Solomon Halfon 1829 eröffnete Bank Halfon&Fils. Dessen Sohn Abraham Halfon war im Verwaltungsrat der Bank Rumäniens, die 1865 aus Filialen der Osmanischen Bank von Konstantinopel hervorging. Erster Direktor war Jacob Loebel, der Schwager von Jacob Marmarosch, ebenfalls Mitbegründer der Marmarosch Bank. Die Bank Leon Manoach & Co., gegründet von einem Neffen von Hillel Manoach, galt 1870 bis 1885 neben der Bank der Brüder A. H. Elias als eines der bedeutendsten Geldhäuser.

Jüdische Händler und Industrielle

Dr. Aurel Vainer, Präsident der Föderation der jüdischen Gemeinschaften in Rumänien, FCER, verwies auf ein weltweit einzigartiges Phänomen – Juden, die im Ersten Weltkrieg freiwillig an der Seite Rumäniens gekämpft hatten, obwohl sie nicht einmal die Staatsbürgerschaft besaßen. Ca. 20 Jahre später seien die Helden des Ersten Weltkrieges von den Legionären in Bukarest auf der Straße getötet worden... Der Jude Jacques Elias hatte sein Vermögen der Rumänischen Akademie hinterlassen. In jeder größeren Stadt gab es eine Haupthandelsstraße mit Namen Lipscani mit jüdischen Groß- und Kleinhändlern. Der Markt landwirtschaftlicher Produkte aus Bessarabien war fest in jüdischer Hand. Als Beispiel nennt Vainer seinen Vater, der einen Handel mit Rindern aus Bessarabien von Null aufbaute, ebenso wie dessen Brüder, die in Bukarest Schlachthäuser und Metzgereien gründeten. Auch am Wechsel der Mode von osmanischem Einfluss zu den sogenannten „deutschen“ Kleidern waren jüdische Händler wesentlich beteiligt. Zur Entwicklung der Industrie und Militärtechnik hatte Max Auschnitt entscheidend beigetragen. Der letzte Nachfolger der Familie Auschnitt begründete nach der Wende in Lugosch ein Speditionszentrum, „er hatte den Mut, in Rumänien zu investieren“. Juden gründeten die Textilindustrie in Arad, die erste industrielle Schuhfabrik in Klausenburg/Cluj-Napoca, eine Draht- und Nägelfabrik in Turda, eine Brotfabrik, eine Farbenproduktion und Metzgereien in Bukarest; zur kommunistischen Zeit legte ein Jude die Basis für das Stromnetz Rumäniens.
Eine ausführliche Studie über die Aktivitäten der jüdischen Gemeinschaft in Hârl˛u im 18.-20. Jh. präsentierte Prof. Dr. Carol Iancu von der Univ. „Paul Valery“, Montpellier; sie wird in einem separaten Artikel vorgestellt. Diese waren – wie auch an anderen Orten - beeinflusst von der Tatsache, dass Juden als „Ausländer“ keine öffentlichen Ämter bekleiden durften und ihnen Landbesitz sowie landwirtschaftliche Arbeit verwehrt war. So etablierten sich die meisten Juden als Händler und Handwerker, später als Begründer der Industrie.

Einflüsse anderer Minderheiten

Dr. Porr erinnerte an die Rolle der Siebenbürger Sachsen als Mitbegründer Großrumäniens (1919) und hob exemplarisch Errungenschaften Deutscher in Rumänien hervor – die erste Straßenbahn, das erste Spital, das erste Wasserkraftwerk, die erste Apotheke, die erste Zeitung, die erste Schule, das erste Museum, das erste Theater, die erste Druckerei. Er erinnerte daran, dass die europäische Idee in Siebenbürgen, im Banat und in der Bukowina seit Jahrhunderten bereits gelebt wird.
Prof. Dr. Konrad Gündisch referierte über den Beitrag der deutschen Minderheit, beginnend mit der Kolonisierung durch die Siebenbürger Sachsen, ihrem mitgebrachten Wissen und der Technik in der Landwirtschaft, der Begründung des Zunftwesens, über die gezielte Kolonisierung mit Bergbau- und Forstexperten (Banater Berglanddeutsche, Banater Schwaben, Zipser) und ihre nachhaltigen Einflüsse auf die Entwicklung des Landes, über Kolonien und Tochterkolonien Deutscher zur gezielten Entwicklung einer modernen Landwirtschaft in Bessarabien und in der Folge ihre Niederlassung in der Dobrudscha (auch dieses Thema wird separat behandelt). Ebenfalls Gegenstand eines eigenen Beitrags wird der Vortrag von Dr. Arsen Arzumanyan (Uni Bukarest) über den Einfluss der Armenier auf die Entwicklung der Moldau, Siebenbürgens, der Walachei und der Dobrudscha sein.

Europarlamentarier Iuliu Winkler zeigte auf, wie verschiedene Ethnien die Regionalentwicklung beeinflussten: Juden die Moldau; Polen die Bukowina; Russen, Türken, Tataren und Albaner die Dobrudscha; Italiener Muntenien; Ungarn und Deutsche die Maramuresch, das Kreischgebiet, das Banat und Siebenbürgen.
Staatssekretär (ICR) Krizbai Béla Dan verwies auf den Beitrag ausländischer Bergleute in der Blütezeit des Schiltals/Valea Jiului. Im Banat leisteten Deutsche, Tschechen, Slowaken und Polen ihren Beitrag im Bergbau.

Zisopol erinnerte an griechisch-dakische Beziehungen, die sich in geto-dakischen Münzfunden bestätigen, an die Präsenz griechischer Händler seit dem 6. Jh., den Einfluss der Fanarioten, die griechische Prägung des Justizsystems. Nach der Großen Vereinigung 1918 seien Griechen unter den ersten fünf Investoren in Rumänien gewesen. Eine bedeutende Rolle bei der Begründung und Finanzierung der Rumänischen Akademie spielte der griechische Geschäftsmann Evanghelie Zappa (1800-1965), Pionier der Landwirtschaft, einer der reichsten Bauern des Balkans, zudem Mäzen für Linguistik und Literatur, auch als „Vater der Olympischen Spiele“ bekannt. Demnächst soll vor der Akademie wieder seine Büste aufgestellt werden - die erste, realisiert von Karl Storck, war in den 50er Jahren verschwunden.
„Die Liebe zu der eigenen Gemeinschaft oder zum Vaterland wurde in der Geschichte oft als Kriegsgrund inszeniert“, gibt Akademiepräsident Pop zu bedenken. „Zu Unrecht“, fährt er fort. Denn wenn wir die eigene Gemeinschaft nicht lieben, wie können wir dann lernen, die anderen zu lieben?

Anerkennung beginnt mit dem Schritt, den anderen kennenlernen zu wollen. Ihn zu kennen, zu kommunizieren und die Brücke der Toleranz zu begehen - als Plattform für einen freundschaftlichen Dialog.