Politische Korrektheit

Baustein einer inklusiven Gesellschaft oder Degen zur Bekämpfung der Redefreiheit

Die transnationale Bewegung „Black Lives Matter” begann 2013 mit der Benutzung des Hashtags #BlackLivesMatter. Nachdem der Afroamerikaner George Floyd im Verlauf einer gewaltsamen Festnahme am 25. Mai 2020 in Minneapolis getötet worden war, wurden weltweit Demonstrationen gegen Polizeigewalt und Rassismus wieder aufgenommen. | Fotos: Marco Allasio

Rassismus in Rumänien: „Zigeuner” ist ein beliebtes Schimpfwort in Rumänien. Oft wird das Wort mit einem unmoralischen Verhalten gleichgesetzt. | Foto: Caroline Hernandez

Gleichgeschlechtliche Ehen sind in Rumänien noch ein Tabu-Thema. Weiterhin werden Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung weltweit diskriminiert. | Foto: Karolina Grabowska

Ist die Art und Weise, wie wir reden, ausschlaggebend für unser Handeln? In der Literatur versucht man, Tabu-Worte aus alten Klassikern zu beseitigen. Sollte man das? | Foto: Jimmy Chan

Politische Korrektheit als Lösung für die Kluft zwischen den Menschen? Das Augenmerk fällt besonders auf die Sprache und auf eine gewisse Form von Zensur, was zu vielen Kritikern der Bewegung geführt hat. | Foto: Meo

Inklusion in der Sprache: Bürgerrechtsbewegungen finden, dass zu lange sprachlich diskriminiert wurde, ob bewusst oder unbewusst. In den Vereinigten Staaten, dem Ursprungsland von „PC”, also „Political Correctness”, gehen Politiker beider  Spektren auf die Barrikaden, wenn es um die Frage nach politischer Korrektheit geht. Die Liberalen sind für eine geschlechtsneutrale und für die Verwendung einer nichtdiskriminierenden Sprache. Konservative finden dagegen, dass dieses Vorhaben zur Einschränkung der Redefreiheit führt. Beide haben Recht. 
Denn tatsächlich klingen beispielsweise Bezeichnungen wie „Negerkönig” aus heutiger Sicht rassistisch, aufgrund der Konnotationen des Wortes „Neger”, auch wenn es von der schwedischen Autorin Astrid Lindgren unschuldig in einem Kinderbuch verwendet wurde. Seit 2009 wurde der Begriff in „Südseekönig“ abgeändert. 


Im Deutschen ist der Umstieg auf eine geschlechtsneutrale Sprache besonders schwierig. Wie adressiert man jeden und jede, wie kann man die Segregation in der Sprache aufgrund von „der, die, das“ aufhalten? Und reicht die Einbeziehung des traditionellen Verständnisses von Männlich und Weiblich aus? Wie schaut es um Personen aus, deren sexuelle Orientierung von der Norm abweicht? Und was bedeutet überhaupt „von der Norm abweichen”? Ist diese Aussage allein nicht schon politisch unkorrekt? 

Eine Debatte darüber kann schnell ausufern und schnell extrem werden. Und Sprache wird dann zum Minenfeld. Wie kann man dann noch ans Schreiben denken, wenn jeder Satz darauf überprüft werden muss, ob niemand beleidigt wird. Ein  schier unmögliches Unterfangen, schließlich wird man immer jemanden finden, der sich an etwas stört. 

Hier liegt das Dilemma einer Bewegung, die wohl gut gemeint ist, in der Praxis allerdings schwer umsetzbar. Dafür müssen und werden Regeln erarbeitet. Doch je mehr Regeln aufgestellt werden, desto eingeschränkter wird die Sprache und der Mensch, der sie benutzt. Das führt dann wiederum zu einer fast absurden Zensur, die zu einer Sprache führt, die an etwas wie „Neusprech” aus George Orwells Roman „1984” erinnert. In diesem Buch wird der Wortschatz der englischen Sprache systematisch reduziert und gegensätzliche Begriffe zu einem einzigen Begriff zusammengeführt, der beides bedeuten kann. Die Intention der Machthaber in Orwells Dystopie ist eben die bewusste Einschränkung der Freiheit: Es kann keinen Dissens geben, wenn man sich nicht mehr länger entsprechend ausdrücken kann. 

Der Endzweck einer politisch korrekten Sprache ist eine inklusive Gesellschaft: Man möchte Wände einreißen, die zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, unterschiedlicher sexueller Orientierung, unterschiedlicher sozialer Hintergründe bestehen. Dabei wird aber, ironischerweise, der Unterschied zwischen Menschen nicht mehr länger gefeiert, sondern gebrandmarkt. Ohne es wirklich zu wollen. Unweigerlich entsteht erneut eine Kluft zwischen den Menschen. Statt eine offene Diskussion über Unterschiede anzuregen, wird man darauf konditioniert, heikle Tabu-Themen zu umgehen. 

Empowerment statt Diskriminierung

Das berüchtigte „N-Wort” ist ein Beispiel dafür, wie viel positive Kraft ein Wort haben kann. In den Vereinigten Staaten gibt es kein größeres Tabu-Wort als „Nigger”. Denn es steht für die rassistische Vergangenheit Amerikas, die niemals aufgearbeitet wurde. Afro-Amerikanische Komiker, Künstler und Musiker verwenden das Wort allerdings exzessiv und mit gutem Grund: Sie haben sich das Tabu-Wort angeeignet und durch eine positive Verwendung entwaffnet. Für einen Afro-Amerikaner bedeutet das „N-Wort” nicht mehr nur „Rassismus”, es bedeutet auch „Empowerment” (Stärkung, Machtgewinn, Aktivierung). Und es ist ein gutes Beispiel dafür, wie man mit Tabu-Wörtern am geschicktesten umgehen soll: Nicht in der Sprache vergraben, so nach dem Prinzip „Aus den Augen, aus dem Sinn”, sondern konfrontieren und aneignen. Dadurch wurde ein Diskurs angeregt, der seit Jahrzehnten herrscht. Über das „N-Wort” wird weiterhin rege debattiert und somit auch über die schändliche Vergangenheit Amerikas, über Sklaverei und Rassismus. 

Nicht anders verhält es sich mit dem Wort „Țigan” – der als abwertend geltenden Bezeichnung für einen Angehörigen der Roma-Minderheit. 

Rumänien ist noch weit von einem gesunden Diskurs zum Thema „politische Korrektheit” entfernt. Das Wort „Zigeuner” wird oft abwertend verwendet und gilt als Streit- und Schimpfwort, selten unter Berücksichtigung seines rassistischen Untertons. Man beleidigt jemanden indem man ihn als „Zigeuner” beschimpft, was natürlich andeutet, dass es schlecht oder falsch wäre, ein „Zigeuner” zu sein. Man tut es unbewusst und es fehlt eine moralisch autoritäre Stimme, die jedes Mal das Problem anspricht und verurteilt. Rumänien kann sich kaum mit westlichen Ländern bzw. den Vereinigten Staaten vergleichen, wo Menschen daran gewöhnt sind, Streitgespräche zu führen und eine Meinung zu haben. Hier lastet noch das Erbe der sozialistischen Jahre schwer auf den Schultern des Landes. Weiterhin suchen Menschen nach einer Vater- oder Mutterfigur, die ihnen sagen soll, was sie machen sollen. Korruption, mangelhafte Bildung und Armut sind Hindernisse auf dem Weg zu einer Gesellschaft, die es sich leisten kann, über politische Korrektheit zu sprechen. 

Überhaupt geschieht Diskriminierung in Rumänien oft unbewusst. Lange Jahre gab es keine relevante rechtsextreme Partei. Erst mit der Pandemie scheint auch eine neue rechtsextreme Bewegung entstanden zu sein, die politisch einflussreich sein kann. 
Doch selbst der herrschende Hass gegen bestimmte Minderheiten wie etwa „die Roma” oder in gewissen Ausmaßen „die Ungarn” erreicht keine mit der Lage in Deutschland, Frankreich oder den USA vergleichbare gravierende Höhe. 

Gendern

Problematisch wird es bei der Frage nach der sexuellen Orientierung. Gleichgeschlechtliche Ehe wird politisch nicht diskutiert. Gleichgeschlechtliche Beziehungen werden öffentlich nicht geduldet. Somit dürften Debatten zum Thema Inklusion von Transsexuellen besonders für Menschen aus dem ruralen Rumänien seltsam sein. Anders verhält es sich für junge Rumänen, die in ausländischen Unternehmen arbeiten, wo das politische Klima zuhause auch die Politik im Konzern beeinflusst. Nolens volens werden somit auch die ausländischen Kollegen in den Diskurs mit eingespannt, wenn auch weiterhin zwischen ihnen kulturelle Welten liegen. 

Und gerade das bleibt das Problem: PC wird forciert durchgeboxt. Es gilt „so machen wir es ab jetzt”. Es ist eine klare Kampfansage der Diskriminierung, allerdings nach Art der mittelalterlichen Kriegsführung: Jeder nimmt Axt und Speer in die Hand und auf in den Kampf, weil es der Herr so gesagt hat. Eine überspitzte Darstellung sicherlich, aber nicht fern von der Realität. Gerade darum fühlen sich auch fast die Hälfte der Deutschen (laut einer Umfrage des Markt- und Sozialforschungsinstituts INSA-Consulere 45 Prozent der Deutschen) in ihrer Redefreiheit eingeschränkt. 

Das „Gendern” stört oft nicht die Männer, sondern die Frauen. Eben weil es neue Probleme schafft: Wie spricht man nun alle an? Indem man zum Beispiel beide Geschlechter erwähnt? Also: Mitarbeiter und Mitarbeiterin. Oder indem man das Gendersternchen einbaut: Mitarbeiter*in. Fühlen sich Frauen tatsächlich ausgegrenzt, wenn nicht das weibliche Pendant im Satz auftaucht? Muss hier der Kampf um Gleichberechtigung ausgefochten werden? 

Es ist nicht so, dass in allen anderen Bereichen des Lebens der Kampf gefochten und gewonnen wurde. Ungleichheit herrscht weiter-hin. Und es gibt Probleme die deutlich schwieriger zu beheben sind. Davon kann ein Land wie Rumänien zum Beispiel ein Liedchen singen. Die Integration der Roma in die Gesellschaft ist ein anhaltender und anscheinend ständig zum Scheitern verurteilter Prozess. Natürlich würde es helfen, wenn man Menschen darauf hinweisen würde, ob und wie sie das Wort „Zigeuner” verwenden. Würde es aber im Endeffekt auch die herrschenden Vorurteile aus der Welt schaffen? Hört ein Kind damit auf, ein gewisses Schimpfwort zu verwenden, nur weil man es ihm verbietet? Oder wird es im Endeffekt nur darauf achten, es nicht in Gegenwart derer zu sagen, die es ihm untersagt haben? 

PC als Waffe

Und schließlich wird politische Korrektheit auch schon jetzt oft und gezielt als Waffe verwendet. Besonders im Ursprungsland Amerika. Ein falsches Wort und man wird abgeschafft. Der diabolische Sprössling der politischen Korrektheit ist die „Abbruchkultur” oder „Cancel Culture”. Prominente, Politiker und Künstler sind normalerweise diejenigen, die aufgrund einer Aussage in der Presse oder auf den Sozialen Kanälen von Menschen in Kommentaren angegriffen werden. Zwar handelt es sich oft um eine lautstarke Minderheit im Internet, doch es zeigt auf jeden Fall die negativen Auswirkungen von PC. 

Doch besonders Künstler sollten die Freiheit genießen, offen Tabu-Themen anzusprechen und zu provozieren. Schriftsteller brechen sprachliche Regeln und formen in ihrer Suche nach dem Neuen die Allgemeinsprache. Für Komiker und Kabarettisten ist es ein Seilakt. In den USA ist es geradezu Tradition: Der Komödiant und Schauspieler Pete Davidson reißt Witze über seinen Vater, der beim Anschlag auf das World Trade Center getötet wurde. Dave Chapelle reißt Witze über Transsexuelle, der Brite Ricky Gervais über Pädophilie. Sie suchen bewusst Themen, die schockieren. Es kann durchaus geschmacklos sein. Besonders für einen Menschen, der sein Leben lang für seine sexuelle Orientierung diskriminiert wurde. Verständlicherweise fordert er das gleiche Recht auf Freiheit wie jeder andere auch. 

Und wenn, dann hat der Diskurs um politische Korrektheit zumindest die Frage nach den Grenzen der persönlichen Freiheit aufgeworfen. Wo hört die persönliche Freiheit auf? Darf man einem anderen Menschen verbieten, bestimmte Wörter zu verwenden, nur weil sie einen beleidigen? Das betrifft aber auch umgekehrt den anderen. Ist man frei, alles zu machen, selbst auf Kosten des Wohlergehens seines Nächsten? 

Die Grenzen der Freiheit

Je freier eine Gesellschaft wird, je mehr man das Individuum definiert, desto schwieriger wird es, eine Norm zu definieren. Was ist normal? Was ist richtig und was ist falsch?

Es ist klar falsch, einen Menschen nicht anzustellen, weil seine Hautfarbe schwarz ist oder weil er in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung lebt. Denn dies sind keine ausschlaggebenden Faktoren, die seine Arbeit in irgendeiner Weise beeinflussen. Doch das Bild vom „Schwarzen” oder vom „Homosexuellen” ist mit so vielen Vorurteilen behaftet, die über Generationen gepflegt wurden, dass es schwer ist, gegen seine eigene Natur zu kämpfen. Die „eigene Natur”, die konditioniert wurde. 

Sprache spiegelt genau das wider: Gesellschaften befinden sich in einem konstanten Wandel und jede Veränderung bringt Widerstand mit sich. Das Wort „Nigger” war zu Mark Twains Zeiten kein Tabu-Wort. Ein Grund, weshalb das Wort in dem Buch „Huckleberry Finn“ 219 Mal auftaucht. Trotz der freien Verwendung des Wortes ist das Buch alles andere als rassistisch. Trotzdem wurde mehrmals besprochen, Twains Buch zu zensieren. 

Genau wie es auch bei der Übersetzung von Astrid Lindgrens „Pippi Lang-strumpf” der Fall gewesen ist. 

Zweifellos gab und gibt es genug Kritiker dieser Vorgehensweise. Literatur gewährt einen Einblick in eine gewisse Zeit. Sie kann entsprechend auch ein historisches Dokument sein. Wenn man hundert Jahre später ein Werk umschreibt, nur damit es den Ansprüchen von heute gerecht wird, ist das so, als würde man die Geschichte umschreiben. Im Prozess könnten wir auch auch den Zweiten Weltkrieg umschreiben oder zumindest die Literatur dazu. Die Gefahr ist groß, dass wir vom Wesentlichen abweichen. Zensur wird niemals die Antwort sein. Wörter verlieren an Kraft, wenn man sie sich aneignet, wenn man sie für seine Zwecke verwendet. Wie im Beispiel des „N-Wortes”. 

Viel zu sensibel ist der moderne Mensch geworden und gleichzeitig viel zu oberflächlich. Man spinnt gerne Probleme und man ist gerne unzufrieden. Doch nicht jeder Kreuzzug ist nobel, wenn überhaupt. Nicht die Sprache ist das Problem, sondern der, der sie spricht. Persönliche Verantwortung kann man nicht abwälzen. Denn umsonst schreibt man vor, wie man zu sprechen hat. Wenn es nicht aus eigener Überzeugung geschieht, wird es keinen Bestand haben. Außer vielleicht, und darauf zielt man vermutlich ab, durch Konditionierung. Aber es wird immer jemanden geben, der sich dagegen stellt. Es ist wichtig, dass man als Menschheit zusammenwächst. Dass man Grenzen abschafft, wenn überhaupt möglich. Das Ziel rechtfertigt allerdings nicht den Zweck.