Randbemekrungen: Antizipationsdenken

Kriege sind praktisch unvorhersehbar. Das meint Carl von Clausewitz, der preußische Kriegsphilosoph. Er spricht von „wenigen, nur die Ausnahmen“, die fähig seien, „über den Augenblick hinweg“ zu denken und zu fühlen. Die Unvorhersehbarkeit von Kriegen betreffe sowohl die Kriegsschauplätze an sich, als auch ihre (Begleit-)Umstände und deren Auswirkungen auf mittlere und lange Sicht. Erfolge und Misserfolge von Schlachten und Kriegen hängen von so vielen Faktoren ab, sagt Clausewitz in „Vom Kriege“, dass – abgesehen vom Fall einer überwältigenden Übermacht auf der einen Seite – der Ausgang kriegerischer Auseinandersetzungen quasi nie voraussehbar sei.

Daran sollte man auch beim Aggressionskrieg Russlands gegen die Ukraine denken. Trotzdem gehört es zum Verantwortungsbereich jeder Regierung – ob impliziert oder nicht –, sich um die Antizipation des Nachkriegsgeschehens zu bemühen. Idealerweise: Um die Vorbereitung der politischen Nachkriegs-Plattform. Wenn der Krieg eine „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ ist, dann ist die Nachkriegszeit das dramatische politische Zurechtfinden unter neuen Verhältnissen. Deswegen ist Antizipation, das frühzeitige Durchspielen von Varianten und Alternativen, für jede verantwortungsbewusste Regierung vital.

Im Augenblick dürfte es – selbst gestützt auf die Erkenntnisse der Geheimdienste aus der ganzen Welt – verfrüht sein, sich gestützt auf Sicheres mit der neuen Kontinental- und Weltordnung zu beschäftigen, die sich konturieren. Einiges aber ist bereits klar. Dass auf diesen Krieg – egal, wer schließlich als „Sieger“ der Tragödie gilt – eine Neuordnung folgen muss, darüber sind sich die Analysten einig. Auch, dass gerade eine neue Bruchlinie zwischen den politischen Welten entsteht. Sich verfestigt. 

Dass die Wirtschaft Deutschlands, bisher aus den billigen Energielieferungen Russlands schöpfend und als „Motor“ der EU wirkend, unter Zeitdruck steht, sich Versorgungsalternativen zu schaffen (Deutschlands Kampf um die Durchsetzung „grüner Energien“, auch eine „Zeitenwende“) und bedroht ist, seine althergebrachte und anerkannte Führungsrolle abgeben zu müssen. (An wen?) Dass die EU bedroht ist, dramatische Verluste an Wettbewerbsfähigkeit hinzunehmen. 

Dass der Euro als Weltwährung akut bedroht ist. Dass das Vereinigte Königreich dabei ist, aus dem Ukrainekrieg als einer der Sieger hervorzugehen und endlich das Brexit-Trauma verwinden könnte. (Oder glaubt jemand, dass die Effizienz der englischen Geheimdienste bei der Unterstützung der Ukraine einfach der Menschlichkeit und des Guten wegen sind?) – All das sind noch unzureichend untersuchte und im Jetzt noch unbestätigte, aber ausmachbare Neuordnungstendenzen – wobei die USA, da 2024 wieder mal vor einer Schicksalswahl stehend, im politischen Zukunftsdenken noch gar nicht in Betracht gezogen werden (können).

In einem solchen Kontext sollte niemand die Drei-Meeres-Initiative (I3M) Polens (und Rumäniens) außer Acht lassen (nicht identisch mit dem alten polnischen – jagellonischen – Prinzip des Intermarium). Diese ist potenziell zunehmend eine Chance, akutisiert durch den Ukrainekrieg. Die Aggressivität Russlands zwingt die I3M-Staaten zum Frontdenken (siehe die Aufrüstungstendenzen, das nähere Zusammenrücken). Man denkt ernsthafter an die Stärkung der eigenen Sicherheit und sichert sich Partner und Alliierte. Man überdenkt die Kooperationen, vertieft sie (auch in der Rüstungsindustrie) – parallel zu den Bemühungen um die sogenannte Wohlstandskooperation (I3M als Entwicklungspool). Die angedachte Nord-Süd-Achse in der EU liegt noch in der integrationistischen Logik des Zusammenwachsens der EU, schließt aber auch Nachbarn ein: Moldau, Ukraine. Rumänien verwehrt sich gegen die Auffassung, dass I3M eine geopolitische Initiative sei. Eher ein regionales Commonwealth-Projekt. Mit Zukunft.