Randbemerkungen: Der Krach ist Teil des Problems

„So lange die Zeitschrift ‚22‘ Sommerpause hatte, geschah in Rumänien Folgendes: es passierte ein Colectiv 2.0, in Crevedia, die Große Finanz- und Steuerreform beginnt mit einer Zusammenlegung der Kultureinrichtungen, mehrere Söhne von Lokalbaronen haben friedliche Bürger auf den Chausseen des Vaterlandes umgebracht, obwohl die Polizei sie vorher unter Alkohol- und Drogeneinfluss erwischt und sie angeblich vor den Tragödien überprüft hatte, und der Innenminister sagte uns allen, dass die Schlacht gegen den Drogenkonsum verloren ist. – Meiner Meinung sollten wir keinen Urlaub mehr machen.“

Das schreibt einer der originellsten Künstler Rumäniens, der geniale Hermannstädter Dan Perjovschi, in der Septemberausgabe der politischen Zeitschrift, bei der er angestellt ist.

Der Mann hat recht. Was er nennt, sind eindeutige Signale, dass die „Republik antirepublikanisch“ (Andrei Cornea) geworden ist. Dass die Frustration und die Unzufriedenheit der Normalbürger Dimensionen erreicht haben, die zur Lähmung jedwelcher Gegenreaktion führte. Auf den Gassen und Märkten ist kaum mehr jemand, der sagt, er werde 2024 gegen Partei soundso stimmen, sondern nur, er werde überhaupt nicht mehr wählen – wenn er nicht seine letzte Hoffnung in die AUR setzt, die Nationalistisch-Rechtsextremen, die forsch-faschistisch „endlich Ordnung“ versprechen.

Diese Generalresignation, die sich Luft zu machen versucht, wurde angeheizt durch die Haltung der Regierenden, mit ihren gackernden Post-Faktum-Reaktionen. Oder kauft jemand den Verantwortlichen ab, dass sie, bis zur Zerstörung des halben Crevedia durch Gasexplosionen, nichts gewusst haben von der Schlamperei und den Nachlässigkeiten, von der Nähe der Standorte der Gas-Verladestation zu den Wohnhäusern?  Oder wusste keiner in der PSD des Regierungschefs Ciolacu, dass ein PSD-Bürgermeister aus Südrumänien und sein Sohn ein Flüssiggasimperium auf Illegalitäten aufgebaut haben? Für so idiotisch und dumm halten die uns? Oder glaubt noch jemand dem Präsidenten, der eine Woche lang versicherte, dass auf dem Gebiet Rumäniens – und sei’s auch nur ein paar Dutzend Meter von der Grenze – keine russische Kampfdrohne niedergegangen ist, trotz der Tatsache, dass die benachbarten Ukrainer behaupteten, sie besäßen Fotodokumente zum Grenzzwischenfall? Russland hat NATO-Gebiet bombardiert, was zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Beitrags von „kompetenten Organen Rumäniens“ – aha, sowas gibt’s also! – immer noch untersucht wurde…

Ein Gefühl der Rechtlosigkeit, der extremen Klassengesellschaft macht sich breit. Einerseits die Normalbürger, denen ein Hühnerdiebstahl lange Gefängsnisjahre beschert, andrerseits die Mörder, denen wegen Familien- und Parteibanden nix passiert, wenn sie auf offener Straße morden. Diesseits die Rentner im täglichen Überlebenskampf, jenseits die Luxusrentner des Systems, die von den Normalrentnern und allen Malochenden zehren und die, im Verfassungsgericht, andere Luxusrentner sitzen haben, die über die Wahrung ihrer Privilegien wachen. Hier die Malocher, die nicht so sehr unter ökonomischer Frustration leiden, als unter der unterschiedlichen Behandlung seitens der Gesetzes„bewahrer“, dort diejenigen, für die Gesetze etwas sind, das man übersehen oder unterwandern kann, ohne eine Strafe fürchten zu müssen. Es schmerzt besonders, dass die Letzteren diesen ihren Status für das Natürlichste der Welt halten – und ihn mit Krallen und Zähnen zu verteidigen bereit sind. Oder gibt es in diesem Land jemanden, der glaubt, dass es die Politiker jemals schaffen werden/wollen/können, die Sonderrenten abzuschaffen und ein wohlausgewogenes, auf Beitragszahlungen basiertes System einzuführen?

Leider kann wohl keiner mehr glauben, dass eine Ent-Zügelung der Volksfrustration eine Lösung bringt. Sie wäre bloß Teil des Problems – lehrt uns 1989.