Randbemerkungen: Regierungsregel Regimegegnermord

Für Chruschtschow, Breschnjew, Andropow und auch für Gorbatschow machte es wenig Sinn, Dissidenten ermorden zu lassen. Den Nachfolgern des Massenmörders Stalin genügte die Verbannung – nach Sibirien, in die eilig umbenannten ehemaligen GULAGs – oder die Ausweisung „zum Klassenfeind“. Wen wundert´s, dass Alexej Nawalnyi in der Strafkolonie Nr.3 ermordet wurde – identisch mit dem ehemaligen stalinistischen GULAG, dem Lager Nr.51 nördlich des Polarkreises? 

Die Formel, mit der die obigen roten Zaren(-Nachfolger)  „ihre“ Kommunistische Partei bezeichneten, als „führende Macht im Land“ (alle Satellitenstaaten von Josef Wissarionowitschs Willen und Folgen des wohlwollenden Abnickens durch die lupenreinen Demokraten Churchill und Roosevelt hatten die Formel, in leichter Abwandlung, übernommen), meinte nicht nur das Fehlen jeder politisch-demokratischen Konkurrenz, sondern auch Ewigkeit des Bestehens des Systems.

Also bekam es ihrem Auslandsimage gut – und war für die Vorbildhaftigkeit des Ostens in den Augen der linken Naivlinge (bis hin zu europäischen und amerikanischen Spitzenintellektuellen der 1950er, 1960er und auch noch 1970er Jahre) im schläfrigen politischen Westen günstig, wenn man sich ein paar „politische Gegner“ hielt. Nach dem Vorbild früherer Könige, die Hofnarren hielten. Als Machtnachweis und Toleranzbeweis gegenüber politisch Andersdenkenden. Kein noch so populärer, kluger und geschickter Dissident hätte je die Schranken politischen Hochkommens im osteuropäischen Kommunismus – mit Partei-Grundorganisation, Kreis-Parteiorganisation, Zentralkomittee, Politbüro usw. überwinden können. Jedem Unpassenden war den Weg nach oben verbaut. (Dass Rumänien nur mit Mühe und bloß im Nachhinein Dissidenten nachweisen kann, zeigt einerseits die faktische Schwäche des Ceaușescu-Kommunismus, der sich keine Dissidenten „leisten“ konnte, andererseits die Notwendigkeit des Aufrechterhaltens eines Repressivsystems, das letztendlich in der ominösen Securitate gipfelte – die als Haltung und Existenzphilosophie im halben Dutzend Geheimdienste Rumäniens überlebt hat.)

Putin hat, in seiner Vorspiegelung von „Demokratie“ (die ihn offensichtlich nur in den Beziehungen zum Ausland und rein als Image interessiert) die Sicherungsriegel einer Parteihierarchie nicht. Er diktiert. Also fühlt er sich von jedem und jeder gefährdet, die oder der irgendwie den Kopf hebt und von den Medien wahrgenommen wird. Dann lässt er unweigerlich das Fallbeil niedersausen. In seinem Hirn war der Sträfling in der Strafkolonie Nr.3 genauso gefährlich, wie es vor neun Jahren Boris Nemtzow war, wie der Oligarch Boris Beresowski, wie die Enthüllungsjournalistin Swetlana Politkowskaja oder wie es für ihn sein zeitweilig nützlicher Mordhordenchef Jewgeni Prigoschin in der Ukraine war. 

Putin, Auslöser von bisher vier Aggressionskriegen Russlands - kein einziger war ein Verteidigungskrieg und vom Nachahmer Peters des Großen ist so etwas auch künftig nicht zu erwarten! - wird mit Sicherheit in einigen Wochen wiedergewählt, egal ob durch saubere oder unsaubere Wahl – solche Details sind ihm sicher schnuppe. Und er wird weiterhin an den Druckknöpfen zum Morden hantieren. Sein System erlaubt es eigentlich gar nicht, nicht zu morden, sobald er Gefahr für sich wittert. Dissidentenmord ist seine Regel des Regierens. Dissidenten = Konkurrenten = Feinde. Putin ist der Stalin des 21. Jahrhunderts. 
Allerdings sieht das Putin-System Menschen wie Nemtzow, Berezowski, Nawalny längst nicht mehr als Dissidenten, sondern offensichtlich als reelle politische Konkurrenten, die aus dem Weg geschafft werden müssen, um in der russischen Scheindemokratie – trotz Hürden und Schranken, Verlass ist auf niemand - nicht eine Zufallschance zu haben, Zar Wladimirs Thron zu gefährden.
Putin ahnt und fürchtet die Fragilität seiner Macht.