Randbemerkungen: Über den Möglichkeiten leben

„Wir weigern uns, etwas zuzugeben, das jedem glasklar sein müsste: Seit 2016 lebt die gesamte Bevölkerung Rumäniens über ihren Möglichkeiten!“ Das sei eine „private Meinung“, betonte der Chefökonom der Nationalbank Rumäniens, BNR, Valentin Lazea, auf der Konferenz „Zwischen Haushaltsdefizit und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit“, organisiert von der NGO Oxygen Events. „Was sonst bedeutet es“, fuhr er fort, „wenn der Staat sich dauernd Geld leiht und damit die Defizite in die Höhe treibt?! Wir leben besser als wir es uns erlauben dürften.“ 

Konkret heiße das, so Lazea, dass jeder Bürger Rumäniens, vom Neugeborenen bis zum ältesten Menschen dieses Landes, heute bereits mit 8000 Euro Schulden belastet ist. Tendenz steigend. Das Bedrohlichste: diese immensen Summen fehlen in Form von Investmentgeld für Produktions-Objekte, die (auch) zum Abbau dieser Schulden arbeiten müssten. „Wir haben geliehenes Geld sinnlos verplempert!“ Und: „Wie wär’s denn, wenn wir den Dauerprotestlern, die heulen, dass es ihnen so schlecht gehe, dass sie weitere Lohn- und Rentenerhöhungen brauchen, endlich offen sagen, dass wir seit 2016 hoffnungslos über unseren Möglichkeiten leben?“

Das Riesenübel Rumäniens sind die Gesetze, die gezielt erlassen sind, manche der potenziellen Steuerzahler („enorm viele: KMUs, Ein-Mann-Firmen, Staatsbetriebe usw.“) zu bevorteilen. Die Regierung habe erst jetzt begonnen, ein bisschen die Oberfläche dieses Samttuchs der gezielten Bevorteilung – eine Beeinträchtigung der Steuereinnahmen – „anzukratzen“. Es gäbe „weltweit keine schmerzfreie Methode zur Steigerung von Steuereinnahmen – irgendjemand wird immer brüllen“. 

An dieser Stelle warf eine andere Koryphäe des rumänischen Finanzwesens, Ex-Finanzminister Daniel Dăianu, ein: „Herrschaft noch mal, können wir wirklich nicht kapieren, dass es unmöglich ist, dass niemand etwas einzahlt?! (…) Ich gehe nicht zu weit, wenn ich sage, dass wir alle, aber wirklich ALLE, zum gegebenen Zeitpunkt zur Kasse gebeten werden, wenn das so weitergeht.“

Dăianu verglich die Lage mit Tschechien, Ungarn und Polen: „In zehn der vergangenen 18 Jahre hatten wir im Vergleich zu denen das höchste Haushaltsdefizit. Dieses Defizit war pro-zyklisch: Wenn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg, stieg auch das Haushaltsdefizit. Das BIP bekam also durch die Steigerung des Haushaltsdefizits einen Impuls, einen Push, den es nicht brauchte, wie ein Drücken aufs Gaspedal bei einer Talfahrt. Mit Ausnahme einer kurzen Zeitspanne – 2012 bis 2015 – war das unsere Haushaltspolitik: ein Push, jeweils im falschen Augenblick. Als uns dann die Krisen packten – 2009 und 2020-21 – war der finanzielle Spielraum zum Gegensteuern weg. Nix zum Pushen da.“

Laut Lazea seien zwei „Steuerberge“ problemlos zu erklimmen, die Besitztumssteuer und die Ökosteuer müssen hochgeschraubt werden. Im Moment seien diese „absolut, aber wirklich absolut nicht hoch.“ Was die Regierung jetzt versuche, Einsparungen, sei nötig, bringe aber nicht viel. Rüstungswesen, Energiewesen, Rentenwesen würden das Eingesparte aus Beamten- und Verwaltungswesen „sekundenschnell auffressen“. Vier Finanzierungs-„Eisberge“ gelte es zu bezwingen: Energie, Ökologie, Aufrüstung, Bevölkerungsüberalterung. „Realistisch ist das allein mit halbherzigen `Einsparungen` unmöglich,“ 

Den Bürgern sei zu erklären, „in welchem Massenirrtum wir stecken“. Wachstum sei zu begrenzen auf das, was die Binnenproduktion aufbringen kann. Was drüber ist, wird zu Schulden, zum Defizit. Das Produktionspotenzial müsse erst mal wachsen, bevor man über „Wachstum“ jubele. Also weniger Importe. Kaufwut drosseln. Gäbe es Wachstum, müsse das Steuerwesen hochgeschraubt werden. 2023 sei ein „unglückliches Jahr“ gewesen, auch weil der Haushalt aufgrund falscher Zahlen geplant wurde.  Ein Wiederholungsfall wäre „katastrophal“.