ROD-Festival in Westrumänien

Kultur- und Medizinkarawane in marginalisierten Gemeinschaften

Foto: Valentin Solomie/DocuMentor

Das „ROD Festival“ bietet Film- und Theateraufführungen sowie Fotoausstellungen an unkonventionellen Orten.
Bild: DokuMentor

Foto: Diana Bilec/DocuMentor

„Romania On Demand“, kurz ROD (zu Deutsch: Rumänien auf Anfrage) heißt die Karawane, die seit wenigen Wochen durch die Region reist und dabei Kultur und Medizin in marginalisierte Gemeinschaften bringt. 

Das Projekt wurde 2020 von DocuMentor initiiert. Der Verein bringt rumänische Regisseure und Dokumentarfilmproduzenten zusammen und nimmt sich dabei vor, Filme der breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Die Kulturkarawane reiste bisher in verschiedene Ortschaften aus Westrumänien und brachte Filme und Theateraufführungen in Gemeinschaften, die seit Langem nicht mehr oder sogar noch niemals diesen Arten vom kulturellem Ausdruck begegnet sind. So machte die Karawane etwa in Haftanstalten Halt, im Nachtasyl für Obdachlose oder in Zentren für Neuropsychiatrische Erholung und Rehabilitation. 2021 setzte sich die Karawane in Bewegung in Richtung Ortschaften aus dem Verwaltungskreis Temesch/Timiș, darunter in Hatzfeld/Jimbolia, Busiasch/Buziaș, Lugosch/Lugoj, Nădrag und Poieni sowie im Kreis Hunedoara in Costești. In Temeswar/Timișoara hielt die Karawane bisher im marginalisierten Stadtviertel Blașcovici sowie im Popa Șapcă-Gefängnis und im Pater-Jordan-Nachtasyl für Obdachlose an. Am Wochenende kommt das ROD-Festival im Stadtviertel Freidorf an. Ende September macht die Karawane Halt auch auf dem Badea-Cârțan-Marktplatz. 


Auf die Anfrage „Blașcovici, wo bist du?“ hätte das Stadtviertel, wenn es sprechen könnte, ganz einfach „über die Passerelle“ antworten können. Das Stadtviertel, in unmittelbarer Nähe des Nordbahnhofs und CFR-Fußballstadions, liegt eigentlich gar nicht am Rande von Temeswar, sondern ist wegen der schlechten Verkehrsanbindungen und sozialem Angebot marginalisiert. Am ersten Wochenende im September hat sich die Karawane in Blașcovici an der Straßenkreuzung Cosmonauților-Dunărea-Bârzava niedergelassen. Das Gelände am Straßenrand, gleich neben den Plattenbauten, bot das perfekte Umfeld für Film- und Theateraufführungen für Groß und Klein sowie für eine Fotovernissage.

„Wir haben fünf Temeswarer Fotografen aufgefordert, vor unserem Event durch Blașcovici spazieren zu gehen und dabei die Atmosphäre, die Gestalten und Tätigkeiten des Stadtviertels zu beobachten. Alles wurde dann von der Fotokamera erfasst und vor Ort während des Festivals ausgestellt. Das Highlight für die Stadtvierteleinwohner war nicht nur, dass sie sich auf den Bildern wiederfinden konnten, sondern auch, dass sie am Ende des Ereignisses sogar die Bilder mit nach Hause nehmen durften“, erzählt Vlad-Marko Tollea, der Pressesprecher der Karawane. „Der Erfolg des Events in diesem Stadtteil hat uns sehr überrascht. Wir würden uns freuen, im kommenden Jahr wieder mit unserer kulturellen Intervention zurückzukehren, doch wir sind uns bewusst, dass es hier, vor Ort, sehr viele andere Notwendigkeiten gibt“, setzt Marko Tollea fort. 

Was das betrifft, brachte die kulturelle Karawane einen Partner mit: In Zusammenarbeit mit dem Aurel- Mogoșeanu-Verein für Anästhesie und Intensivtherapie (Asociația pentru ATI) wurden im Zuge der Medizinkarawane „Împreună pentru viață“ (Gemeinsam fürs Leben) am ersten Tag des Ereignisses verschiedene medizinische Untersuchungen kostenlos für die Bevölkerung aus Blașcovici geboten. Spezialisten aus mehreren Temeswarer Krankenhäusern führten Elektrokardiogramme (EKG), Ultraschall- und andere ärztliche Untersuchungen verschiedener Fachgebiete, wie Innere Medizin/Gastroenterologie, Kardiologie, Pneumologie, Neurologie, Kinderheilkunde, Endokrinologie, Dermatologie u.a., durch. Auch eine Impfkarawane wurde aus diesem Anlass vor Ort organisiert. Willige konnten sich gegen Covid-19 mit den Vakzinen von BioNTech/Pfizer und Johnson & Johnson impfen lassen. Rund 70 Personen profitierten von diesen medizinischen Dienstleistungen vor Ort im Blașcovici-Viertel. 

Kurz nach dem Halt im Blașcovici-Stadtviertel ging die Karawane ins Gefängnis. Im Hof der Haftanstalt in der Popa-Șapcă-Straße wurde der animierte Dokumentarfilm „Crulic – Weg ins Jenseits“ gezeigt. Die Handlung basiert auf einer wahren Begebenheit, die sich 2008 in Krakau ereignete. Der rumänisch-polnische Film in der Regie von Anca Damian erzählt die Geschichte von Claudiu Crulic (Stimme: Vlad Ivanov), ein rumänischer Gastarbeiter, der zu Unrecht von der polnischen Justiz beschuldigt wird, einem prominenten Richter die Geldbörse gestohlen zu haben, und in Krakau inhaftiert wird. In zahlreichen Briefen an rumänische Politiker und die polnische Justiz erbittet der Angeklagte bessere Haftbedingungen und liefert Beweise für seine Unschuld. Doch seine Schreiben werden ignoriert. In seiner Verzweiflung tritt Crulic in den Hungerstreik. Viel zu spät beginnen die Gefängnisärzte mit der künstlichen Ernährung, bei der sie zu allem Überfluss die Lunge des Sterbenden mit einer Nadel verletzen. Den ersehnten Freispruch erlebt der Inhaftierte nicht mehr.  

Der mehrfach bei Filmfestivals ausgezeichnete Doku soll nun erneut in Temeswar im Freidorf-Stadtviertel am aktuellen Wochenende gezeigt werden. Die Filmvorführung ist für den 18. September, in der Polnischen Straße geplant. 

Ziel des wanderndes Kulturprojekts ROD ist es, Randgruppen mit erschwertem Zugang zur Kultur zu erreichen. Neben Filmvorführungen im Freien bietet „ROD Festival“ Theateraufführungen und Fotoausstellungen an den unkonventionellsten Orten: Zwischen Plattenbauten in jeweiligen Stadtvierteln von Temeswar, im Hof der Popa-Șapcă-Haftanstalt, im Nachtasyl für Obdachlose des Caritas-Verbands der römisch-katholischen Diözese Temeswar oder in den neuropsychiatrischen Erholungs- und Rehabilitationszentren in Găvojdia und Sinersig. 

Im Temeswarer Nachtasyl für obdachlose Menschen in der Constantin-Brâncoveanu-Straße wurden Kurzfilme ausgestrahlt. Auch ärztliche Untersuchungen wurden hier im Zuge der Medizinkarawane dargeboten. Mitte dieser Woche fuhr das Wanderprojekt nach Sinersig, Gemeinde Boldur ins Neuropsychiatrische Erholungs- und Rehabilitationszentrum. Eine Stunde lang wurden vor Ort Kurzfilme ausgestrahlt. Am 16. September ging die Karawane dann nach Lugosch in ein ähnliches Zentrum des Temescher Sozialamts. 

Am Samstag und Sonntag hält die Karawane zwei Tage lang in einem weiteren marginalisierten Stadtteil von Temeswar: Im Freidorf, an der Polnischen Straße, werden erneut Filme, Theater und medizinische Untersuchungen für die Einwohner des Stadtviertels organisiert. Am 20. September werden Filmvorführungen für Kinder in Hatzfeld stattfinden. Mitte kommender Woche, am 22. und 23. September, wird die Karawane auf dem Badea-Cârțan-Marktplatz zu finden sein. 

Der Eintritt zu allen Veranstaltungen der ROD-Karawane ist frei. Sicherheitsmaßnahmen und Distanzierung als Vorbeugung gegen Corona-Infektionen müssen jedoch eingehalten werden. Das Kulturprojekt ist Teil des Kulturprogramms TM2023 RESTART des Projektzentrums der Stadt Temeswar. Details zu den Veranstaltungen sind von der Facebookseite des Events facebook.com/RodFestival abrufbar.