„Rumänien ist immer ein Teil der Lösung und nie des Problems“

ADZ-Gespräch mit Dr. Peer Gebauer, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Rumänien

Der Diplomat Dr. Peer Gebauer ist seit 24. August 2021 Deutschlands Botschafter in Rumänien. Foto: Deutsche Botschaft Bukarest

Für Rumänien war 2023 bisher ein bewegtes Jahr: Hochrangige Besuche aus Deutschland läuten eine weitere Intensivierung der ohnehin guten bilateralen Beziehungen ein. Die geostrategische Lage infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine rückt Rumänien als Partner für die Unterstützung der Ukraine und der Republik Moldau noch stärker ins Blickfeld. Im Kontrast dazu der nachhaltige Schengen-Schock, trotz Erfüllung aller Beitrittsbedingungen, die Lage scheint immer noch festgefahren. Die tragische Brandkatastrophe von Crevedia wirft erneut Probleme der Korruptionsbekämpfung auf. Und all den politischen Herausforderungen steht ein fulminantes europäisches Kulturhauptstadtjahr in Temeswar gegenüber. Rumänien - Land der Gegensätze. Darüber, wie das Jahr 2023 die Beziehungen zwischen Rumänien und Deutschland geprägt hat und welche Chancen und Perspektiven daraus folgen, sprach zum Anlass des Tages der Deutschen Einheit ADZ-Chefredakteurin Nina May mit dem Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Rumänien, Dr. Peer Gebauer.

Sehr geehrter Herr Botschafter, 2023 war das Jahr der hochrangigen politischen Besuche aus Deutschland, fast könnte man von einem Quantensprung in den bilateralen Beziehungen sprechen. Was hat diese rasante Entwicklung angestoßen?

Sie haben recht, es war ein ganz phantastisches Jahr für die bilateralen Beziehungen! Der Staatsbesuch des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, der offizielle Besuch des Bundeskanzlers Olaf Scholz und zahlreiche weitere hochrangige Besuche unterstreichen, dass die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen unserer beiden Länder enger sind denn je. Eine zentrale Rolle dabei spielt natürlich die veränderte geopolitische Lage: der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der Rumänien aufgrund seiner geografischen Lage sehr stark in den Fokus gerückt hat. Rumänien spielt eine ganz wichtige Rolle bei der Unterstützung für die Ukraine und ist ein konstruktiver und verlässlicher Partner, ob es um Getreideexporte geht, um die Erstaufnahme von Flüchtlingen und Schutzsuchenden oder die Unterstützung humanitärer und anderer Art. Das ist eine zentrale Ursache für das gestiegene Interesse.  

Aber es gibt noch einen weiteren Grund: Ich glaube, in Europa und insbesondere in Berlin weiß man es ganz besonders zu schätzen, dass wir uns auf Rumänien immer verlassen können, etwa wenn es um Abstimmungen und Entscheidungsfindungen in Europa geht. Rumänien ist immer ein Teil der Lösung und nie des Problems und bringt sich konstruktiv in die Kompromissfindung ein. Das ist extrem wichtig.

Sie sprechen immer wieder von den Chancen einer engeren Kooperation in den Bereichen Wirtschaft und Energie, vor allem zu erneuerbaren Energien, seit den Turbulenzen auf dem Energiemarkt durch den russischen Angriffskrieg noch wichtiger geworden. Welche Chancen bietet Rumänien bei der Entwicklung und Implementierung neuer Energien?

Ja, der Bereich Wirtschaft bietet ganz viele Möglichkeiten für eine Vertiefung. Natürlich haben wir jetzt schon exzellente Wirtschaftsbeziehungen. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner für Rumänien und de facto der größte Investor. Immer mehr deutsche Unternehmen orientieren sich in Richtung Rumänien, das sind exzellente Nachrichten.
Der Bereich Energie und grüne Transformation bietet tatsächlich viel zusätzliches Potenzial: Rumänien ist in der besonderen Lage, dass es nicht nur über umfangreiche Ressourcen konventioneller Energien verfügt, Gasfelder oder Öl, sondern ist auch ein phantastischer Ort für erneuerbare Energien. Bereits jetzt wird sehr viel  Energie aus Wasserkraft gewonnen. Wir wissen, Rumänien verfügt über viel Sonnenschein, das heißt, die Solarindustrie findet hier ebenfalls einen exzellenten Raum für die Produktion von erneuerbarer Solarenergie. Und der Wind bläst heftig zu Land und zu Wasser, d.h. auch Windkraft hat großes Potenzial in Rumänien. Dies alles bietet Chancen für eine noch engere Kooperation zwischen unseren beiden Ländern.

Daher hatten wir Ende September eine große deutsch-rumänische Wirtschaftskonferenz in Berlin, an der hochrangige Vertreter der rumänischen Regierung teilgenommen haben, genauso wie Regierungsvertreter auf deutscher Seite, etwa unser Vizekanzler Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz. Dies war eine gute Gelegenheit, den Austausch noch weiter zu vertiefen.

Geht es bei dieser Vertiefung der wirtschaftlichen Kooperation auch um die Republik Moldau oder den Wiederaufbau der Ukraine?

Sehr richtig, die Republik Moldau ist ein Partner Rumäniens und Deutschlands, der uns beiden sehr am Herzen liegt. Rumänien kümmert sich in vorbildhafter Weise um die Unterstützung der Repu-blik Moldau. Es ist, glaube ich, kein Geheimnis, wenn wir sagen, dass die Energieversorgung in der Republik Moldau letzten Winter einzig und allein wegen der enormen rumänischen Unterstützung gewährleistet werden konnte.

Deutschland, Frankreich und Rumänien haben außerdem die sogenannte Unterstützungsplattform für die Republik Moldau ins Leben gerufen. In diesem Rahmen gab es bereits mehrere Konferenzen, die nächste findet Mitte Oktober in Chi{in²u statt. Wir arbeiten eng und vertrauensvoll zusammen und die Republik Moldau war deshalb auch ein Partner bei dieser von mir eben erwähnten Wirtschaftskonferenz in Berlin. Hochrangige Regierungsvertreter aus der Republik Moldau haben teilgenommen, um über Wirtschaftskooperation zu sprechen.

Genauso spielt der ukrainische Wiederaufbau eine große Rolle und wir stimmen uns hierzu eng mit unseren europäischen und internationalen Partnern ab.

Die Brandkatastrophe von Crevedia hat gezeigt, dass Korruption leider immer noch ein großes Problem ist. Andererseits kann man im Hinblick auf das anstehende Wahljahr einen Aufwind der Nationalisten befürchten. Sind das Themen, die bei deutschen Wirtschaftstreibenden Besorgnis auslösen?

Zunächst mal ist das Unglück von Crevedia in der Tat ein furchtbarer Schock gewesen und Deutschland hat wie andere EU-Länder - und wie das Rumänien auch für andere Länder in Notfällen tut - gleich geholfen und Patienten zur Behandlung aufgenommen. Ja, es gibt in jedem Land noch Themen, die weiterentwickelt werden müssen, wo Reformen und Fortschritte nötig sind. Wenn Sie aber die Frage stellen, ob das für die deutsche Wirtschaft als Entwicklungshindernis empfunden wird, dann habe ich das nicht so wahrgenommen. Natürlich haben internationale Investoren Interesse an einer stabilen und rechtssicheren Marktumgebung. Mein Eindruck ist aber, dass sich die aktuelle Regierung sehr stark auch darum bemüht und darauf achtet, dass internationale Investoren ordentliche Rahmenbedingungen vorfinden. Dennoch ist das ein Prozess, der kontinuierlich vorangetrieben werden muss, der aber in Rumänien auch vorangetrieben wird. Das von Ihnen angesprochene Erstarken von nationalistischen Kräften ist ein Phänomen, das wir aktuell in ganz Europa beobachten können. Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass der große Wert unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnungen immer wieder ins Bewusstsein gerückt wird. Unsere demokratischen Systeme brauchen unsere Unterstützung. Und sie verdienen unsere Unterstützung. 

Ein Dauerbrennerthema mit hohem Frustpotenzial ist der angestrebte Schengen-Beitritt Rumäniens. Die Lage scheint immer noch festgefahren. Wie steht Deutschland dazu und sehen Sie Anlass für Optimismus?

Ja, Schengen ist tatsächlich ein Punkt, der schmerzt - und nicht nur die Rumänen, die es längst verdient hätten, in den Schengen-Raum aufgenommen zu werden. Es schmerzt auch die Bundesrepublik Deutschland, weil es im ureigenen Interesse auch unseres Landes ist, dass der Schengen-Raum um Rumänien und Bulgarien erweitert wird. Wir sind der Überzeugung: gemeinsam sind wir stärker. Es ist nicht die Zeit für Grenzen zwischen EU-Partnern, sondern für noch engere Kooperation. Wir brauchen durchlässige Grenzen in Europa zum Beispiel, wenn es um die Getreideexporte aus der Ukraine geht oder per-spektivisch um den Wiederaufbau in der Ukraine.

Natürlich haben wir in der Europäischen Union eine große Herausforderung, was die irreguläre Migration angeht - und das ist für die Gegner einer Schengen-Erweiterung der Grund, warum bisher ein Schengen-Beitritt Rumäniens abgelehnt wird. Es ist aber die Überzeugung der Bundesregierung, dass ein Ausschluss Rumäniens aus dem Schengen-Raum nicht die Lösung ist. Im Gegenteil, eine noch engere Kooperation auch im Schengen-Raum wäre hilfreicher.

Die Gespräche mit dem Mitgliedsstaat, der bisher noch Bedenken hat, laufen sehr intensiv, das gilt auch für unsere politisch Verantwortlichen, etwa den Bundeskanzler, die Bundesaußen- und -innenministerin und andere, die bei jeder Gelegenheit dafür werben, eine Lösung zu finden. Ich glaube, man darf, wenn es um europäische Entscheidungsfindung geht, nie die Hoffnung verlieren. Am Ende wird die geleistete Arbeit dann regelmäßig belohnt. Das gilt ganz besonders für Rumänien, weil es riesige Anstrengungen unternommen hat und die Voraussetzungen für den Schengen-Beitritt nach unserer Überzeugung und nach Bewertungen der Europäischen Kommission uneingeschränkt und vollständig erfüllt. Die Unterstützung Deutschlands für den Schengen-Beitritt wird jedenfalls ungebrochen bleiben und weiter sehr aktiv betrieben werden.

Neben den großen politischen Themen soll das europäische Kulturhauptstadtjahr nicht zu kurz kommen. Wie haben Sie Temeswar bisher empfunden?

Ich bin zutiefst beeindruckt von dem, was Temeswar und die Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt und in der Region auf die Beine gestellt haben. Ich war mehrmals vor Ort und war jedes Mal begeistert von der tollen Atmosphäre, der Lebendigkeit, dieser phantastischen Mischung aus klassischer Kultur und modernen Inszenierungen, Beiträgen und Ausstellungen. Temeswar gelingt es exzellent, diese kulturelle Vielfalt, für die die Stadt und die Region stehen, zu präsentieren, und ich habe immer wieder gesehen, dass internationale Besucher davon tief beeindruckt waren. Einer davon war unser Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Rahmen des Staatsbesuchs, der persönlich sehr angetan war von dem, was in Temeswar geleistet wurde. Ich glaube, da ist an Bürgermeister Dominic Fritz und sein ganzes Team ein großes Lob auszusprechen.

Ende September habe ich die große deutsch-rumänische Aufführung der sogenannten Gurrelieder miterlebt, eine Theater-Musik-Veranstaltung mit zahlreichen Teilnehmenden. Auch die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt war aus diesem Anlass angereist. Ich freue mich schon auf weitere Temeswar-Besuche in diesem Jahr.

Sie feiern heute den Tag der Deutschen Einheit. Der deutsche Einheitsprozess gilt hierzulande als große Erfolgsgeschichte. Trotzdem hört man, dass bis heute noch ein gewisses Gefälle zwischen Osten und Westen spürbar ist, wirtschaftlich, in der Mentalität... Vor dieser Herausforderung steht auch die EU. Hinzu kommt, dass neue Länder - die Republik Moldau, die Ukraine - eine Aufnahme in die EU anstreben. Wie bereit sind die Deutschen, diese Erweiterung mitzutragen?

Ich glaube, es gibt eine ganz breite Zustimmung in der deutschen Bevölkerung für eine Erweiterung der Europäischen Union, das hat einen ganz einfachen Grund: Deutschland als Land in der Mitte der EU profitiert von einer Kooperation in wirtschaftlicher, politischer und sonstiger Hinsicht. Deswegen wären wir sehr schlecht beraten, wenn wir auf Abschottung und Ausgrenzung setzen würden. Die Länder, die jetzt als Beitrittskandidaten Gespräche mit der EU führen, sind Länder, die zu Europa gehören. Natürlich müssen Voraussetzungen erfüllt werden, deswegen sind die Beitrittsprozesse langwierig und kompliziert. Aber die Mühe der Reformen in den Kandidatenländern lohnt sich. Am Ende sind wir alle besser und gemeinsam stärker.

Dazu gehört aber auch die Facette, dass wir daran arbeiten müssen, die EU - eine vergrößerte EU insbesondere - handlungsfähiger zu machen. Denn in dem Moment, wo die EU nicht nur 27, sondern 30, 33 oder 36 Mitgliedsstaaten hat, wird es noch schwieriger, einen Konsens zu finden. Das heißt, dass wir in manchen Bereichen vielleicht auch stärker auf eine qualifizierte Mehrheit setzen und Entscheidungsprozesse verschlanken müssen, damit die EU handlungsfähig bleibt - und noch handlungsfähiger wird.

Vielen Dank für das interessante Gespräch und herzlichen Glückwunsch zum Tag der Deutschen Einheit!