Schule – gestern, heute, morgen (II)

Festvortrag von Thomas Şindilariu anlässlich des 25. Sachsentreffens in Mediasch am 19. September 2015

In den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg entstanden in Siebenbürgen selbst auf dem Lande ansehnliche Schul- und Kindergartengebäude. Hier die evangelisch-deutsche Schule in Neustadt/Burzenland in einer Ansichtskarte aus dem Jahr 1915

Bemerkenswert an den Vorgängen in Kronstadt um 1540 ist die chronologische Reihenfolge der Ereignisse. Anders als allgemein üblich, wurde nicht erst die Kirche reformiert und dann das Schulwesen erneuert, sondern mit der Schule begonnen! Die Reihenfolge der Schritte hängt mit den politischen Rahmenbedingungen zusammen, in denen die Religion ein Politikum von landesweiter Bedeutung war, die Schule jedoch diesen Stellenwert erst im Kontext des Nationalismus ab dem 19. Jahrhundert erhielt. Die umgekehrte Reihenfolge der reformatorischen Schritte in Kronstadt unterstreicht aber auch, welch hoher Stellenwert humanistischer Bildung damals eingeräumt wurde. Ablesbar ist er, um noch ein kleines Beispiel nachzureichen, an der folgenden Investition: 1541 investierte der Rat von Kronstadt 312 Gulden allein in die Anschaffung von Büchern. Damals hätte man für denselben Betrag auch ein Haus in bester Lage in Kronstadt erwerben können – heute ein Wert von rund einer Million Euro…

Die Entschlossenheit der Kronstädter bei der Errichtung des ersten humanistischen Gymnasiums in Siebenbürgen hat sich ausgezahlt. Die erst ab 1544 überlieferte Schulmatrikel liest sich, v. a. bis die anderen Städte nachziehen, wie ein „Who is who“ des siebenbürgischen Geisteslebens. Nur ein Beispiel in dieser Hinsicht: Der gebürtige Mediascher und bedeutendste humanistische Dichter der Siebenbürger Sachsen, Christian Schesäus, legte zeitlebens Wert darauf, das Kronstädter Gymnasium besucht zu haben. In der Schulmatrikel ist er nicht zu finden, wohl weil er das Gymnasium nicht dort abgeschlossen hat.

Weitere Belege für die hohe inhaltliche Qualität, zu der es unser Schulwesen in der Vergangenheit gebracht hat, lassen sich problemlos erbringen. Um 1700 berichten etwa Kronstädter Studenten ihrem ehemaligen Lehrer und späteren Stadtpfarrer Marcus Fronius, dass es auf den Universitäten in Deutschland kaum etwas zu lernen gäbe, was er ihnen nicht schon beigebracht hätte. 1807 absolvierte Vasil Aprilov das Kronstädter Gymnasium, um als Schulgründer in Bulgarien eine wichtige Rolle bei der nationalen Erweckung unseres Nachbarlandes ab 1835 zu spielen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass das siebenbürgische Gymnasium bei seinem Schulprojekt Modell gestanden hat, was einmal eingehender untersucht werden müsste. Mutatis mutandi kommt man mit dieser Art der Betrachtung zum Georg-Büchner-Preisträger Oskar Pastior und zur Nobelpreisträgerin Herta Müller, deren schriftstellerische Erfolge auch auf das rumäniendeutsche Schulwesen letztlich zurückgeführt werden können.

Eine große schulgeschichtliche Vergangenheit also, an die weder Gegenwart noch Zukunft je werden heranreichen können?
Das gilt es zurechtzurücken, sodass ich ihre Aufmerksamkeit, verehrtes Publikum, noch etwas in Anspruch nehmen muss.
Stellt man die Frage, ob in den Entscheidungsgremien der Vorfahren stets genug für die Schulen getan wurde, um ihnen ideale Bedingungen zu sichern, kommt man trotz aller Dotierungen mit Liegenschaften, Spenden, Vermächtnissen und Stiftungen zum Befund der generellen Unterfinanzierung, sodass die oben herausgestrichenen Leistungen mehr trotz, denn dank der vorgefundenen Voraussetzungen erreicht worden sind.

Zu erwähnen ist diesbezüglich, dass erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Gymnasiallehrer als Lehrer in den Ruhestand traten. Bis dahin zwang die überaus schlechte Bezahlung die Lehrkraft zumindest ein einträglicheres Predigeramt in der Stadt oder auch auf dem Land zu erreichen. Oder besser, sich gleich in eine durch den Pfarrzehnt großzügig dotierte Pfarrstelle wählen zu lassen, um der eigenen Familie eine gesicherte wirtschaftliche Existenzgrundlage bieten zu können. Die Fluktuation der Lehrkräfte ist dadurch enorm gewesen, die Ausbildungsanforderungen an die Lehrkraft desgleichen, musste doch unabhängig von persönlicher Neigung und späterem Einsatz als Fachlehrer, sagen wir für Deutsch und Geografie, auch beizeiten an der Universität Theologie belegt werden, um die Perspektive auf das einträgliche Pfarramt nicht zu verlieren.
Die inhaltliche Selbstbestimmung und damit die Wahrung eines genuin sächsischen Charakters des eigenen Schulwesens war bis ins 20. Jahrhundert Grundkonstante der Schulpolitik. Dies führte in dem Maße, wie die schulpolitische Rechtssetzung nicht mehr ausschließlich in den eigenen Händen lag, und zwar insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert, zu einem Spagat zwischen staatlich festgesetzten Qualitätsstandards und den wirtschaftlichen Möglichkeiten unserer Gemeinschaft.

Da infolge der Gegenreformation die konfessionelle Einheitlichkeit der politischen Gemeinden nicht mehr gegeben war, wurde unter maßgeblicher Beteiligung von Samuel von Brukenthal ab 1760 die Konsistorialorganisation in unserer Kirche eingeführt, die nunmehr den Rahmen zur Wahrung der schulischen Selbstbestimmung abgab. Künftig mussten bei Schulbauten, Lehrplan und Lehrerbezahlung die Vorgaben der staatlichen Gesetzgebung bei zunehmender Regelungsintensität befolgt werden. Zum Problem wurde dies im Kontext der nationalistisch motivierten Modernisierungsbemühungen, die im Rahmen des Dualismus ab 1867 bzw. 1878 von Budapest aus betrieben wurden. Die zahlreichen Schul- und Kindergartenbauten aus den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg sind weitgehend als Abwehrmaßnahmen gegen die staatlich gesteuerte Magyarisierungspolitik zu verstehen. Die konfessionellen Schulen mussten die Anforderungen umsetzen, oder staatliche „Hilfe“ und damit Einfluss annehmen. All die imposanten Schulgebäude, die auch heute über 100 Jahre nach ihrer Errichtung meist ihren Dienst tun, wären ohne diesen Druck wohl nie Realität geworden.

Der Vollständigkeit halber muss hier erwähnt werden, dass die rumänische Agrarreform von 1924 das deutsche Schulwesen in Siebenbürgen besonders in den Städten empfindlich traf. Das Gemeinschaftsvermögen, das ganz wesentlich zum Erhalt der Gymnasien bis dahin beigetragen hatte und ganz bewusst im Schoß der Kirche konzentriert worden war, war weitgehend enteignet worden, sodass die Schulen durch zusätzliche Besteuerung der Gemeindeglieder erhalten werden mussten. Bis zur Weltwirtschaftskrise 1930 konnten die Kosten des Schulerhalts durch großzügige Spenden der gut gehenden sächsischen Wirtschaft abgefedert werden. Danach war dies nur noch in begrenztem Maße möglich, was zum Anstieg der Kirchensteuer führte. Die Unzufriedenheit stieg, nationalsozialistische Denkmuster fanden zunehmend mehr Anhänger.

Die 1940-44 amtierende Verwaltung der vom nationalsozialistischen Berlin gesteuerten Deutschen Volksgruppe in Rumänien war entgegen der bisherigen Entwicklung keinen wirtschaftlichen Zwängen unterworfen. Aufgrund der totalitären Selbstherrlichkeit war erstmals eine dem sozialen Prestige des Lehrerberufs entsprechende Bezahlung möglich. Darauf bezogene Nostalgie ist auch Jahrzehnte nach dem Ende des braunen Spuks hinter vorgehaltener Hand zu hören gewesen. Eine vergleichbare Nostalgie ist seit 1990 zu verzeichnen gewesen, als die Höhe der Entlohnung der Lehrkräfte erneut weit hinter dem sozialen Stellenwert des Berufs zurückblieb. Als Historiker kann ich an solchen Wendepunkten der Geschichte nur nachdrücklich davor warnen, den hehren demokratischen Werten eine nur mangelhafte wirtschaftliche Grundlage nachzureichen. Ein solches Verhalten ist das sprichwörtliche Spiel mit dem Feuer.