Sommerakademie in Hermannstadt

Von 10. bis 17. Juli 2022 fand in Hermannstadt die 10. Sommerakademie „Siebenbürgen“ statt – und damit erreichte diese Veranstaltung ein erstes Jubiläum, das der unermüdlichen Organisatorin Frau Prof. Maria Sass von der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt und der Finanzierung durch die Donauschwäbische Kulturstiftung des Landes Baden-Württemberg zu verdanken ist. Die Thematik dieser Sommerwoche – wie immer in den letzten zehn Jahren – bildete „Die deutsche Sprache, Literatur und Geschichte in Südosteuropa“. Dozenten und Professoren aus vier Ländern, aus Deutschland, Serbien, Ungarn und Rumänien reisten mit Studierenden an, um über aktuelle Ansichten, über Forschungsergebnisse und über allgemeine Werke der deutschen Kultur aus dieser Großregion zu diskutieren.

Der einführende Vortrag, gehalten von Winfried Ziegler, thematisierte den Stellenwert der deutschen Sprache und Kultur in der Region. Er führte die Teilnehmenden gleich in die Identitätsfragen der Siebenbürger Sachsen ein und sprach über die kulturellen Wechselwirkungen, dabei ging er auch auf die Banater Schwaben sowie die Deutschen und Juden in der Bukowina ein. Es wurden viele Faktoren – ökonomische, geographische und soziologische – genannt, die dazu beigetragen haben, dass die rumäniendeutsche Minderheit heute eine angesehene und geschätzte ist. Es folgten Spezialvorträge zu einzelnen Themen: Maria Sass sprach über die siebenbürgisch-deutsche Literatur, bei der bemerkenswert ist, dass ihre Grundlagen bereits im 16. Jahrhundert durch das Schulsystem gelegt wurden.

Der Schulgründer Johannes Honterus tauchte noch ein zweites Mal auf, und zwar durch seine „Kosmographie“, seine Weltbeschreibung, die damals auch als Lehrbuch in europäischen Schulen verwendet wurde. Der Vortrag zog einen großen Bogen bis in die zeitgenössische Literatur, so konnte die ansehnliche Gruppe aus 40 Personen aus vier Ländern die historische Breite dieser Literatur kennenlernen.

„Dies diem docet“ (Der eine Tag lehrt den anderen) – denn innerhalb einer Woche konnten die Teilnehmenden nicht nur neues Wissen gewinnen, sondern auch neue Perspektiven auf ihre Kenntnisse bekommen. Auf diese Weise können wir den Vortag von András F. Balogh deuten, der die ungarndeutsche Literatur vom Mittelalter bis heute charakterisierte. Dabei wurden – im Kontrast zum Vortrag von Maria Sass – die Parallelen und die divergierenden Abläufe klar. In der ungarndeutschen Literatur trat zum Beispiel das Dramenschrifttum viel stärker auf, indem sich die deutsche Kultur in Siebenbürgen der Wissenschaft widmete und historische Themen in Prosaform bearbeitete. Auch die Presselandschaft entwickelte sich anders im 19. Jahrhundert, in Siebenbürgen waren die lokalen Blätter typisch und die dominierende Stimme kam zuletzt aus der Redaktion des „Siebenbürgisch-Deutschen Tageblattes“. In Budapest waren dagegen die Blätter miteinander sehr zerstritten, weil sie konfessionelle oder politische Ansichten vertraten oder nach dem Geschmack unterschiedlicher gesellschaftlichen Schichten redigiert wurden. Im 20. Jahrhundert gibt es auch Divergenzen zu vermerken, die ungarndeutsche Literatur von heute ist nämlich von der Dichtung dominiert, während die führende Gattung der rumäniendeutschen Literatur der Roman ist, der von international bekannten Namen wie Herta Müller, Eginald Schlattner, Hans Bergel und nicht zuletzt von Joachim Wittstock gekennzeichnet ist.

Die Teilnehmenden der Sommerakademie hatten sogar das Glück, letzteren in einer Lesung zu erleben. Wittstock ist mittlerweile zu einem Wahrzeichen von Hermannstadt geworden, der mit seinem Bildungsgut, mit seinem Engagement für Literatur und Humanität sein Publikum verzauberte. Die vorgelesene Textstelle aus einem geplanten Roman führte die Zuhörer in die 1950er und 60er Jahre, als die Menschen allerlei Kompromisse und oft Zugeständnisse der politischen Macht gegenüber machten, um vermeintlich voranzukommen. Die Zuhörer konnten an den Beispielen der evozierten Personen das komplizierte Zeitgeschehen nachvollziehen. Eine schöne Erweiterung der Lesung war auch der Einblick in die Werkstatt des Übersetzers, in diesem Fall der Übersetzerin Maria Sass, die das jüngste Werk von Wittstock, den Erzählungsband „Forstbetrieb Feltrinelli“ meisterhaft ins Rumänische übersetzte („Forestiera Feltrinelli“, 2019) und über ihre Erfahrungen dabei sprach.

Die theoretischen Erkenntnisse und die Vorträge wurden durch die Besichtigung von Gedenkorten und Denkmälern im Harbachtal, im Unterwald und in der M˛rginimea Sibiului erprobt und demonstriert, so herrschte in der ganzen Sommeruniversität eine Harmonie zwischen Theorie und Praxis, zwischen Lernen und Sehen. Dieses Sehen – und Erkennen der Sprachenvielfalt – wurde von den Professorinnen Sunhild Galter und Doris Sava vermittelt, die meisterhaft die Ausflüge nach Alba-Iulia (Karlsburg), Cisnădiora (Michelsberg), Sighișoara (Schäßburg) vorbereiteten.
Nur innerhalb von einer Woche konnten die Teilnehmenden der 10. Sommerakademie „Siebenbürgen“ neue interdisziplinäre und interkulturelle Bindungen kennenlernen, und nun hoffen alle, dass die Veranstaltung auch 2023 mit neuer Thematik, aber der alten Freundschaft, Achtsamkeit und Innovationskraft fortgesetzt wird.