Späte Sühne für Dominic Paraschiv

25 Jahre nach der Revolution: Erschütterndes Filmdokument über die wahre Geschichte des „Schlächters von Temeswar“

In den Film – hier mit den beiden Hauptdarstellern im Vordergrund – hat Regisseur Dornhelm auch reale Straßenszenen von kurz nach der Revolution eingebaut.

„Es wäre eine so schöne Weihnachtsgeschichte, Herr Weiß“, insistiert die junge Journalistin mit dem braungelockten Haar und bringt ihr charmantestes Lächeln auf. Im Zug hörte sie von den Plänen des Mannes, der seinen bei der Revolution in Temeswar/Timişoara verletzten Jugendfreund zur Behandlung nach Wien holen möchte. Nichtsahnend heftet sie sich dem Reisekameraden an die Fersen – und verstrickt sich auf dessen Spuren unversehens in einen nicht enden wollenden Albtraum...

1989, 22. Dezember, zwei Tage vor Weihnachten. Das Ehepaar Ceauşescu ist geflüchtet, das alte Regime gestürzt. Temeswar erklärt sich zur freien Stadt – frei vom Kommunismus. Wogen der Hoffnung schwappen über die Hauptstadt des Banats hinweg. Eigentlich dürfte jetzt, nach der Revolution, niemand mehr sterben. Doch das Morden geht weiter... Immer wieder werden Menschen auf der Straße, zuhause, an ihrem Arbeitsplatz hingemetzelt. Terroristen, heißt es als Erklärung. Dann wird ein Mann als Mörder von 80 unschuldigen Menschen der internationalen Presse vorgeführt: Der Abscheu der Weltöffentlichkeit entlädt sich über ihm: dem „Schlächter von Temeswar“!

Unter einem Fußballnetz spektakulär ans Bett des Krankenhauses gefesselt, in das er nach drei Bauchschüssen, niedergestreckt von rumänischen Militärs, eingeliefert worden war, wird „die Bestie“ im zum Hochsicherheitstrakt umfunktionierten Krankenzimmer den ausländischen Journalisten präsentiert. Blut quillt aus seinem Mund, als er zu sprechen versucht. Die Wahrheit nicht mehr... Denn nur wenige Tage später erliegt Dominic Paraschiv seinen unbehandelten Verletzungen.

Auf der Suche nach der Wahrheit

Zwei Tage vor Weihnachten, 25 Jahre später: Erstmals wird der Film „Requiem für Dominic“ 2014 in Rumänien öffentlich gezeigt, zuerst im Sommer in Arad, dann am 19. Dezember in Temeswar und am 22. im Bukarester Kino Cinema Pro, präsentiert vom Österreichischen Kulturzentrum und dem Rumänischen Kulturinstitut ICR . Eine Weihnachtsgeschichte ist es weiß Gott nicht... 

Paul Weiß stolpert darin durch weißgetünchte Gänge, sucht seinen alten Schulfreund, dessen letzten Brief er noch in der Tasche trägt. Dieses Jahr werden wir Weihnachten wohl zusammen verbringen können, frohlockt der darin hoffnungsvoll. Kurz darauf die schreckliche Nachricht. Weiß setzt Himmel und Hölle in Bewegung. Im Gewirr der Verletzten, der Helfer und Ärzte, wird er zunächst nicht fündig. Kaum zu glauben, doch niemand scheint den Gesuchten zu kennen. Wo immer sich Paul erkundigt, stößt er auf eine Mauer des Schweigens. Auf dem Gang drückt ihm eine Krankenschwester in der Hektik eines Notfalls eine Infusionsflasche in die Hand: „Halten Sie das mal!“ Als auch sie den Namen des Freundes hört, wird sie plötzlich abweisend. Das Mysterium klärt sich für Paul Weiß erst auf, als ihn ein Arzt brüsk in eine improvisierte Leichenhalle stößt: Hier, das habe sein feiner Freund angerichtet!
Entsetzt stolpert der junge Mann in den Raum, in dem sich entkleidete Opfer auf Bahren und am Boden türmen. Leere Augenhöhlen, eingesunkene Gesichter, verrenkte Glieder. Entblößte Geschlechtsteile recken sich ihm grotesk entgegen. Regisseur Robert Dornhelm spart nicht mit grausigen Details. „Das soll mein Freund getan haben?“, fragt sich Paul Weiß entsetzt.

Mit der Journalistin im Schlepptau, die ihre herzergreifende Weihnachtsgeschichte an den Nagel hängen muss, macht er sich auf die Suche nach der Wahrheit. Ahnungslos stolpert er durch die Lügengebäude einer revolutionsgebeutelten Stadt, stößt auf Angst, Misstrauen, Verwirrung, Manipulation, Drohungen, ausweichende Antworten. Schale um Schale enthüllt sich der Kern einer stinkenden Zwiebel: einer unnachgiebigen, vielschichtigen, schleimigen Wahrheit, die mit dem hehren Begriff „Revolution“ nicht viel gemeinsam hat.

Weil die Menschen nicht nur Sieger, sondern auch Täter sehen wollen, weil die Toten in den Leichenhallen stumm nach ihren Mördern schreien, aber auch, weil die zusehende Weltöffentlichkeit befriedigt sein will, fiel der Stempel schnell auf einen passenden Sündenbock: den frömmelnden Sonderling, wortgewandten Selbstankläger, der seine Fabrikskollegen mit dem Gewehr in der Hand dazu aufruft, zu ihrer Schuld zu stehen und die Lügen der Vergangenheit zu vertreiben – mit dem Gewehr zur Verteidigung gegen angebliche Terroristen, die freilich nicht auftauchen. „Beten wir!“, fordert er in Anbetracht des Weihnachtsfestes und fügt hinzu, man möge auch für Ceauşescu beten. Ein Fehler.

Rehabilitation mit bitterem Nachgeschmack

Heute ist Dominic Paraschiv – tatsächlich ein Jugendfreund des Regisseurs Robert Dornhelm, der sich in der Rolle von Paul Weiß selbst ins Drehbuch geschrieben hat – als Märtyrer und Opfer der Revolution rehabilitiert. Das Leben des langjährigen Freundes aus der gemeinsamen Schulzeit in Temeswar habe er nicht retten können, doch wenigsten seinen Ruf, erklärt Dornhelm die Motivation zu dem schwierigen Dreh kurz nach der Revolution. Die Hauptstory des Films sei authentisch, nur der Handlungsfaden dramatisiert. Einige der Szenen, wie der Verrückte auf der Straße, der Ceauşescu mimte, sind real. Tatsächlich war Dornhelm auch mit den im Film vorkommenden Journalisten vor Ort gewesen, die seinerzeit zum Fall berichtet hatten – und in der Story Paul Weiß bei seinen Aufklärungsarbeiten unterstützen, etwa die bekannte österreichische Reporterin Antonia Rados. Mit diesem authentischen Element wollte er die allgemeine Konfusion nach der Revolution, aber auch die Manipulation der internationalen Presse, verdeutlichen.

Ein bewegender Streifen, der geschehenes Unrecht unerbittlich und hautnah vor Augen führt. Obwohl der 1990 gedrehte Film mehrfach international ausgezeichnet wurde, hatte Dornhelm bislang keine Veröffentlichung in Rumänien angestrebt, um die mit ihm befreundete Ehefrau des Opfers zu schützen, wie er begründete. Nach der Erstaufführung in Arad dankte ihm Codru]a Paraschiv zwar für die öffentliche Rehabilitation ihres Mannes. Ein bitterer Nachgeschmack bleibt dennoch: Sohn Mircea nahm sich kurze Zeit darauf das Leben. Über der Dramatik um den Haupthelden vergisst man fast – von den wahren Opfern des „Schlächters von Temeswar“ fehlt bis heute jede Spur...

Als Sühne für Dominic Paraschiv bleiben seine letzten Worte, die sich ins Gedächtnis der Nachwelt einbrennen: „Nur durch Liebe und Toleranz gibt es eine Zukunft. Die Wahrheit kommt immer wie Öl auf Wasser an die Oberfläche.“