Stabiler Partner in Sicherheitspolitik, lebendiger Innovationsstandort: „Rumänien ist nicht das, was du im Kopf hast – schau mal hin!“

Katja Plate, Leiterin der Konrad Adenauer Stiftung (KAS) Bukarest, baut Brücken nach Deutschland und Europa

Moderatorin beim „Tag der KAS“ im September 2022 (Berlin)

Frischer Wind durch neue Büroräume Fotos: privat

Seit fast einem Jahr leitet Katja Plate nun schon das Büro der Konrad Adenauer Stiftung (KAS) in Bukarest, das für Rumänien und (noch) für die Republik Moldau zuständig ist. Mit ihrem Mann, dem Gesandten Christian Plate an der deutschen Botschaft, und zwei Kindern, die die Deutsche Schule Bukarest (DSBU) besuchen, verbringt sie nun vier Jahre in der rumänischen Hauptstadt. „Rumänien war unser Wunschland!“ bekennt Plate, die seit 2005 für die KAS tätig ist. 2007 war sie im Kaukasus und hat die Büros in Georgien, Armenien und Aserbaidschan aufgebaut und Kriegsberichterstattung gemacht. Von Tiflis kam sie nach Rom und führte dort das Büro für Italien und den Vatikan. Zurück in Berlin leitete sie nacheinander die Evaluierungsabteilung, dann die Abteilung für Inlandsprogramme. „Und nach sieben Jahren Deutschland haben mein Mann und ich uns wieder fürs Ausland entschlossen.“ Vor dem Hintergrund der Veränderungen, die die Coronavirus-Pandemie mit sich brachte und den neuen sicherheits- und klimapolitischen Herausforderungen plaudert sie mit ADZ-Chefredakteurin Nina May über aktuelle Schwerpunkte der politischen Arbeit, Innovationsförderung und alternative Kommunikationsformate.

Frau Plate, als wir uns Ende letzten Jahres in Hermannstadt auf dem Symposium des Deutschen Forums trafen, haben Sie erwähnt, dass gerade alle Programme umgestaltet werden. Ist das eine Folge des Ukraine-Kriegs - oder möchten Sie als neue Leiterin einfach frischen Wind in die Arbeit bringen?

Das Büro hängt nicht am Chef, sondern wird getragen vom ganzen Team, der Wechsel des entsandten Leiters ist also nicht so dramatisch, wie man vielleicht denkt, denn die rumänischen Kollegen sorgen für die Stabilität der Kontakte und die Kontinuität der Arbeit. Warum wir jetzt trotzdem alles durchschütteln und neu gestalten, hat mehrere Gründe: Zum einen haben wir gemerkt, dass es nach Covid nicht genauso weitergehen kann wie vorher, und haben dieses Gefühl zum Anlass genommen, um uns zu regenerieren. Zum anderen sind mit dem Krieg in der Ukraine andere politische Rahmenbedingungen gegeben. Ab dem ersten April werden wir das Moldau-Büro vom  Rumänien-Büro trennen - im Moment bin ich noch für beide zuständig. Doch die Arbeit in der Republik Moldau ist mit der Annäherung an die EU stark gewachsen. Außerdem feiern wir in diesem Jahr 25 Jahre Anwesenheit der KAS in Rumänien. Für September planen wir eine Feier, doch das Jubiläum soll keine Selbstbeweihräucherung werden, sondern eher ein Relaunch: Nach 25 Jahren muss man jedes Haus mal renovieren! Ein erster Schritt: Wir sind in der ersten Januarwoche in ein neues Büro gezogen. Uns sind Dialog und Austausch sehr wichtig, und dieser Idee ist, wie Sie sehen, die Hälfte dieses Büros gewidmet.

Was verändert sich für Sie durch die Abtrennung des Moldau-Büros?

Die Moldau hat durch ihre Annäherung an die EU, aber als Nicht-EU-Land, einen stärkeren Entwicklungsbedarf. Im Vordergrund stehen Hilfe und Unterstützung, Korruptionsbekämpfung, Good Governance. In Rumänien konzentrieren wir uns stärker darauf, Informationsbrücken für den wechselseitigen Austausch zu bauen. Wie identifizieren gemeinsame Interessen und Themen, die wir zusammen in der EU vertreten: Energiepolitik, Außensicherheit...

Auch wenn wir regional der Moldau sehr nah sind, sind die Aufgaben der Büros total verschieden. Für mich ist das schwer: in einem Land tanzt man Tango und im anderen Walzer, man wird dreimal am Tag aus dem Rhythmus geworfen und kann nicht tieftauchen. Deshalb freue ich mich darauf, dass ich mich bald total in Rumänien vertiefen kann. Wir haben uns viel Innovation vorgenommen in diesem Jahr, was man dann hoffentlich auch „auf der Straße“ sehen wird...

Welche Prioritäten haben Sie in Rumänien?

Es gibt drei wichtige Themenbereiche, der erste lautet „Demokratie braucht Partizipation“. Wir wollen die Parteienzusammenarbeit fördern und den Austausch innerhalb der eigenen Parteienfamilie stärken. Wir stellen Kontakte zwischen den rumänischen Parteien und anderen EVP-Parteien her, sowohl mit der CDU in Deutschland als auch in ganz Europa. Die EU ist stark, wenn die Länder stark sind und gute Politikvorschläge machen, aber auch Politker wachen nicht morgens auf und haben eine Eingebung. Im europaweiten Netzwerk kann man sich austauschen: über Projekte, Erfahrungen, methodische Ansätze.

Wir als Christdemokraten kooperieren in Rumänien nur mit den EVP-Parteien, also mit der PNL und dem UDMR, weil wir in unserer eigenen Parteienfamilie enger, vertrauensvoller und tiefer arbeiten können. Die anderen politischen Stiftungen aus Deutschland – Friedrich Ebert, Hanns Seidel, Friedrich Naumann – decken den Rest des Spektums ab. Wir sind aber nicht mit diesen im Konflikt, sondern sehen uns als Schwesterstiftungen, unterstützen uns, sind froh, dass alle einen Ansprechpartner mit den gleichen politischen Ansichten haben, denn da kommt man sich näher als bei einem Multiparteienansatz. Das ist das Spezielle am deutschen Konzept, das ich persönlich sehr mag.

Wie sieht diese Zusammenarbeit konkret aus?

Aktuell wollen wir den Austausch in der deutsch-rumänischen Parlamentariergruppe stark aktivieren. In diesem Jahr wird es seit Langem wieder einen Besuch deutscher Parlamentarier in Rumänien geben. Wir stellen Gesprächskanäle her, liefern Informationen zu, erhalten Nachfragen, im Moment zum Beispiel intensiv zur Erschließung der Gasvorkommen im Schwarzen Meer. Viele deutsche Parlamentarier haben nicht auf dem Schirm, dass es diese Gasvorkommen gibt und fragen, wie groß sie sind, ab wann das Gas fließen wird, ob es hauptsächlich den rumänischen Bedarf decken soll oder auch den der Moldau, ob es Pipelines gibt...

Von rumänischer Seite gibt es Nachfragen zu Themen, die auf kommunaler Ebene besprochen werden können und die auch in Deutschland interssieren: zur Energieversorgung oder Müllverbrennung. Es gibt inzwischen moderne kleine Müllverbrennungsanlagen, damit kann man das Müllproblem lokal angehen, Deponien auflösen, die das Grundwasser gefährden und gleichzeitig Wärme erzeugen. Dazu haben wir Kontakte zur Berliner Stadtreinigung oder auch nach Wien hergestellt.

Politiker haben in der rumänischen Gesellschaft eher einen schlechten Ruf. Man wirft ihnen Korruption und Eigeninteresse vor. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Ich kann sehr gut verstehen, dass viele Rumänen mit ihren Parteien frustriert sind. Aber nach einem Jahr im Land habe ich auch Politiker kennengelernt, die sich intensiv einsetzen und viel besser sind als ihr Ruf. Wir haben mit vielen engagierten Politikern zu tun. Ein Senator aus Oradea zum Beispiel hat ein Praktikantenprogramm für Studenten der Politik entworfen, sie sollen für ein paar Monate erleben, wie politische Arbeit gemacht wird. Er wollte sie auch ins Parlament nach Bukarest bringen, damit sie sehen, wie ein Ausschuss funktioniert, wir haben die Reisekosten finanziert. Ich finde die Idee gut, dass junge Leute aus anderen Regionen die Arbeit des Parlaments vor Ort miterleben, an der Hand ihres Abgeordneten, zumal es allgemein sehr negative Einschätzungen über die Rolle der Parlamentarier gibt.


Ein anderes Beispiel: Die Jugendorganisation der PNL, die TNL im Bukarester Sektor 1, hat regelmäßig Projekte, mit denen sie auf die Straße gehen. Hier (zeigt einen Flyer) haben sie fünf Projekte von Clubs bis zu Radwegen für Jugendliche vorgestellt. Wer das unterstützen wollte, konnte den QR-Code einscannen und eine Petition unterschreiben. Sie arbeiten an all den angeführten Projekten aktiv weiter und wir unterstützen sie.

Wie unterstützen Sie junge Nachwuchspolitiker?  

Wir haben seit 15 Jahren ein Format, das nennt sich Exzellenzinitiative, wo wir mit der PNL und dem UDMR Seniornachwuchskräfte betreuen, die sind so um die 30, um sie zu Fachpolitikern weiterzubilden. Das ist ein großes Thema, denn die Parteien haben erkannt, dass sie tief spezialisierte Leute benötigen. Wir haben zirka 60 Teilnehmer, die sich im Rahmen von Themengruppen – öffentliche Verwaltung, Gesundheitspolitik, Wirtschaftspolitik – regelmäßig mit Fachleuten treffen, um ihnen den Einstieg ins Fachpolitikerdasein zu erleichtern.

Richten Sie sich auch an Leute, die noch nicht politisch aktiv sind?

Ja, wir arbeiten mit der rumänischen Stiftung ARDOR zusammen, die versucht, durch Kurse im öffentlichen Reden und Debattieren, Argumentationskultur etc., junge Leute aus dem politischen Vorfeld, etwa in Schulen, zu interessieren und ihnen das nötige Rüstzeug zu vermitteln – und auch die Angst zu nehmen. Zu vermitteln: Ihr seid frustriert von der Politik, aber davon gehen die Probleme nicht weg. Wo Menschen zusammen sind, müssen Entscheidungen getroffen werden. Jemand im Dorf muss sagen, wo die Ampel hinkommt oder ob man eine neue Schule braucht. Da fängt Politik an! Und wir brauchen Leute, die genau das tun, statt es jemandem anderen zu überlassen. Dieses Verständnis wollen wir stärken. Je mehr man Probleme ignoriert, umso eher passiert genau das, was man nicht möchte. Also: Bringt euch ein, das macht die Politik besser!

Wer dann möchte, dass sich dies oder jenes in seiner Stadt ändert, kann überlegen: Welche Partei entspricht mir? Und sich melden: Hallo, ich habe ein Thema oder Problem und will mitmachen. Und dann hoffen wir, dass die Parteien die Tür weit aufmachen... Daran arbeiten wir, indem wir auch mit Jugendorganisationen der Parteien sprechen.

Wichtig ist auch, die Ansätze der klassischen Parteienarbeit aufzulösen, nach dem Motto, man trifft sich jeden Dienstag im Hinterzimmer eines Lokals zur Sitzung... Das macht die TNL mit ihrer Flyper-Kampagne und hofft, dass einige junge Leute dann auch mitmachen.

Ein weiteres Thema ist, junge Frauen zu motivieren, sich in die Politik einzubringen. In Rumänien hat mich das Thema angesprungen, weil es nur 18 Prozent weibliche Abgeordnete gibt.

Was mag der Grund sein, dass sich weniger Frauen in die Politik einbringen?

An den Kommentaren, die weibliche Politiker in sozialen Medien erhalten, kann man eine spezielle negative Haltung gegen Frauen in der Politik erkennen: Sie sind beleidigend, teilweise hasserfüllt. Das ist eine Form der Kritik, die Männer nicht kennen und das macht es doppelt schwer. Viele Frauen fragen sich dann, warum soll ich mir das antun? In der Wirtschaft und in NGOs gibt es viel mehr Frauen in leitenden Positionen. Doch die Parteien haben auch eine weibliche Wählerschaft, und um deren Interessen umzusetzen, braucht man Frauen in den eigenen Reihen. Wir haben kein spezielles Frauenförderprogramm, aber wir achten darauf, bei unseren Veranstaltungen auch immer Frauen dabei zu haben.

Inwiefern hat der Ukraine-Krieg und die veränderte Sicherheitslage Ihre Arbeit verändert?

Der zweite Pfeiler in unserer Arbeit heißt „Freiheit braucht Sicherheit“. Den bauen wir derzeit ganz stark aus. Für uns als Stiftung ist klar, dass Rumänien für uns DER Partner im Süden Osteuropas ist, wenn wir diese und die Schwarzmeer-Region verstehen wollen. Das liegt daran, dass Rumänien ein verlässlicher Partner in EU und NATO ist, ein stabiler Pfeiler. Das sicherheitspolitische Gewicht Rumäniens wächst stark und stetig. Die Rolle, die Rumänien einnimmt im Umgang mit allem, was sich durch die russische Invasion in der Ukraine ergeben hat, ist ausnehmend positiv. Rumänien unterstützt die Ukraine massiv, ist stabilisierend, bringt Ruhe in die Region, ist ein kalkulierbarer offener Partner, den man sich aus meiner Sicht nicht besser wünschen kann.

Rumänien trägt auch einen großen Anteil daran, dass die Lage in der Moldau nicht eskaliert ist.

Welche Rolle spielt Rumänien für die Stabilität der Moldau?

Die Republik steht stark unter russischem Druck – über die Energiepreise, den laufenden Informationskrieg und massive russische politische Einflussnahme. Rumänien hat hier die ganz große Rolle, das zu stabilisieren: Energiemarktstabilisierung, Gaslieferungen, aber auch als die große Flüchtlingswelle aus der Ukraine in die Moldau strömte, hat Rumänien sehr schnell mit Nahrungsmittelhilfe reagiert. Das alles hat dazu beigetragen, dass diese informativen Angriffe nicht zu kritischen Situationen in der Moldau führten. Und Rumänien hat dies sehr ruhig getan, ohne Panikmache, hat keine aggressive Trommel gerührt. Das hat man in Deuschland durchaus wahrgenommen und auch geschätzt. Das trägt zu Rumäniens Gewicht in der Außen- und Sicherheitspolitik bei, das über die ganzen letzten Jahre als sehr stabil wahrgenommen wurde. Die Sicherheitspolitik war nie den Schwankungen unterworfen, die man in anderen politischen Feldern sieht.

Gibt es auch eine Kooperation mit der Ukraine?

„Die KAS hatte zwei Büros in der Ukraine, in Kiev und in Charkiv. Leider mussten diese nach Kriegsbeginn zunächst geschlossen werden. Die Sicherheit unserer Mitarbeiter ist uns sehr wichtig und geht vor alles andere. Die Arbeit erfolgt jetzt teils aus Deutschland, teils aber auch nach wie vor aus der Ukraine. Die Kollegin, die das Büro in Charkiv geleitet hat, übernimmt ab April übrigens das Büro in der Republik Moldau. Dort macht sie dann natürlich das Programm für die Moldau, nicht für die Ukraine.“

Zurück nach Rumänien: Sie erwähnten drei Pfeiler der Zusammenarbeit, welches ist der dritte?

Der dritte Bereich lautet „Nachhaltigkeit braucht Innovation“. Da fällt auch Energiepolitik hinein, im Moment von starkem Interesse für Deutschland. Rumänien hat einen ausgewogenen Energiemix, besser als Deutschland, und größere Unabhängigkeit von russischem Gas.

Ein wichtiges Thema ist auch das Pariser Klimaabkommen: Wir stehen dazu, dass die Erderwärmung auf 1,5 Grad limitiert werden muss. Das geht aber nicht nur durch Verzicht, sondern auch durch Innovation. Im Mittelpunkt unseres Ansatzes stehen Menschen – und die haben Bedürfnisse: Kommunikation, Transport, Urlaub – aber jedes Vorhaben produziert eine gewisse Menge an CO2. Bei der Frage, wie man diese Bedürfnisse so CO2-arm wie möglich erfüllen kann, sehen wir große Verantwortung bei der Forschung und Entwicklung, aber auch in klugem unternehmerischem Handeln. Daher suchen wir in Rumänien Kontakt zu Innovationsstandorten. Hier gibt es eine lebendige Startup- und Innovationslandschaft - das ist in Deutschland wenig bekannt.

Können Sie Beispiele für eine solche Innovationslandschaft in Rumänien nennen?

In Bukarest gibt es eine interessante und sehr lebendige FinTec-Landschaft, da geht es um finanztechnische Apps und Entwicklungen. Im Norden von Rumänien gibt es Innovationsstandorte zu künstlicher Intelligenz. Nicht umsonst hat Porsche dort ein Forschungszentrum zum autonomen Fahren, das ist nicht nur eine verlängerte Werkbank. Und Siemens Energy baut hier in Bukarest ein großes Ingeniershub auf.

Das ist spannend, da wollen wir näher hingucken und das in Deutschland bekannter machen. Auch für Kooperation, aber dazu müssen wir in der deutschen Politik Rumänien als Innovationsstandort erstmal auf die Landkarte setzen... Das deutsche Bild von Rumänien hinkt etwa 20 Jahre  zurück. Da ist es die Aufgabe der deutschen Botschaft, der deutschen Stiftungen, des Goethe-Instituts, zu sagen: Rumänien ist nicht das, was du im Kopf hast - schau mal hin! Aber auch das rumänische Deutschlandbild ist nicht up to date...

Was wissen Rumänen nicht über Deutschland?

Die Rumänen sind oft erstaunt, dass auch die CDU ganz klar zu den Klimaschutzzielen steht. Sie denken, das sei doch die Aufgabe der Grünen. Aber für uns Christdemokraten gehört die Wahrung der Schöpfung zum politischen Grundkanon, zum Thema der Generationengerechtigkeit. In Rumänien wird nicht wahrgenommen, wie breit in Detuschland dieser Konsensus ist. Das wollen wir auch hier in die Diskussion einbringen.

Wie wollen Sie das Thema Innovation konkret anpacken?

Da wir ohnehin gerade alle bisherigen Formate durchgehen – was funktioniert noch, was müssen wir anders machen? – denken wir auch über neue Kommunikationsformen nach. Der Ansatz „Abendveranstaltung mit Podium, alle sprechen ein Grußwort, begrüßen sich dann gegenseitig und lesen vom Blatt ab“, treibt die Jugend nicht mehr aus dem Haus. Erst recht nicht nach der Pandemie! „Es ist natürlich weiter in Ordnung, die eine oder andere große Konferenz zu machen – quasi als „Schaufensterveranstaltung“. Den Rest machen wir dann aber in Workshopformaten.
Ein Thema, das die KAS insgesamt umtreibt, ist die Frage, wie man das Metaverse für die politische Arbeit nutzen kann. Diese virtuelle Welt, wo man 3D-Brillen aufsetzt und das Gefühl hat, sich mit anderen in einem Raum zu bewegen. Denn darauf wird sich das Internet und alles Digitale hinentwickeln. Man kann schon jetzt im Metaverse Quadratmeter kaufen, ein Haus bauen, eine Adresse haben, und andere können an den Ort kommen und durchlaufen. Das wollen wir herausfinden, wie das geht. Wir treffen uns mit Leuten aus Parteien, Think Tanks, technischen Experten, und tauschen uns aus. Wir nennen das „politisches Forschungslabor“.

Politisches Forschungslabor – das klingt spannend! Was passiert noch in diesem Format?

Solche Labore haben wir zu verschiedenen Themen, zum Beispiel wissenschaftliche Kommunikation. Das Problem der hiesigen Gesellschaft ist oft mangelndes Wissen – welchen Quellen kann man vertrauen? Hierzulande gibt es sehr wenig Wissenschaftskommunikation, etwa wie in Deutschland das Corona-Update mit einem Podcast alle zwei Tage. Und wir haben gesehen, wie schädlich dieser Mangel ist, nur wenige Leute haben sich impfen lassen.

Zum anderen gibt es auch Schwierigkeiten, neue Forschungsergebnisse zur Politik zu transportieren. Forscher halten das oft für unredlich. Politiker wissen nicht, wen sie fragen sollen. Oder der Wissenschaftler kann sein Wissen nicht kommunizieren, bzw. hat Skrupel – darf ich das, muss ich die Institutsleitung fragen? Aber Politiker, die den Gesetzgebungsprozess mittragen, müssen auch den Stand der Forschung einbeziehen. Diese Schnittstellen herzustellen ist ein Thema, dem wir uns widmen wollen. Da wollen wir uns mit Forschern zusammensetzen, um erst mal das Feld zu explorieren.

Wie erreichen Sie alle Zielgruppen, die Sie ansprechen wollen, vor allem wenn es um neue Kontakte in den Reihen der jüngeren Generation geht?

Wir haben in der Vergangenheit immer Stipendien vergeben, wobei die Stipendiaten nicht nur finanzielle Unterstützung bekamen, sondern auch ideelle: Seminare zu Rhetorik, Persönlichkeitsentwicklung, etc. Aber unser Eindruck war, dass diese Formate nicht mehr richtig gut angekommen sind. Wir wollen nicht nur berieseln. Die jungen Leute sollen etwas mitnehmen, aber der Gesellschaft auch wieder zurückgeben. So haben wir ein Werkstudentenprogramm ins Leben gerufen. Junge Rumänen bis 25 können bei uns etwa vier Stunden die Woche mitmachen – und wir setzen sie ein, um anschlussfähiger zu werden. Das Programm heißt „Fast Track For Future Community Leaders“ und die „Trackies“ helfen uns, Content in sozialen Medien zu erstellen, von jungen für junge Leute.

Mit diesen Trackies haben wir auch ein Programm gemacht, um den Kommunismus in Rumänien aufzuarbeiten. In Kurzvideos Erinnerungsorte besuchen. Die Geschichte des Kommunismus anders darstellen als in Symposien. Das Pilotprojekt wird in Cluj stattfinden, mit Hilfe eines wissenschaftlichen Beirats der dortigen Uni. Die Idee: auf einem Parcours durch die Stadt kann man verschiedene Orte aufsuchen, wo man an einem Gebäude eine Scanmarke findet, die scannt man mit der Kamerafunktion und sieht das Objekt dahinter, doch mit virtuellen Figuren dazuprojiziert- eine Art Reenactment. So kann man Geschichte lebendig machen und Bildungsinhalte in neue Formen gießen, die für junge Generationen interessant sind. Wir werden aber auch weiterhin die klassischen Formate bedienen, Fachkonferenzen für Wissenschaftler, die in die Tiefe gehen. Diese Ansätze werden nicht gegeneinander ausgespielt. Es gibt diverse Informationsbedürfnisse und die müssen wir divers bedienen.

Auch die politischen Labore werden ein Erfolg, vermute ich, denn man möchte den Austausch, nicht dieses „ich sitze und höre zu“. Dieses Element wollen wir in die rumänische Landschaft reinbringen, das Herumprobieren mit Formaten. Denn hier wird allzu oft am klassischen Format festgehalten, um ja nichts falsch zu machen, keinen vor den Kopf zu stoßen, jedem Professor oder Politiker den Rahmen geben, den er kennt. Und wenn es nicht klappt? Na, wir sind ja nicht in der Notaufnahme, es stirbt keiner!

Was können die Deutschen mitnehmen von der Art, wie man in Rumänien Innovation betreibt?

Oh, hier ist man richtig im Aufbruchsgeist! Das illustriert ein Gespräch, das ich im November hatte, mit einem Dekan der Wirtschaftsuniversität ASE. Der deutsche Gast – Peter Fischer-Bollin, der bei uns den ganzen Think-Tank Bereich leitet – erklärte, wie man in Deutschland Innovation betreibt: Erst wird in Schritt Eins eine Idee intensiv entwickelt, dann in Schritt Zwei die Umsetzung überlegt. Doch in Schritt Eins wird die Idee oft schon mit Bedenken so klein gekaut, dass man nie zu Schritt Zwei kommt. Da meinte der rumänische Gesprächspartner: Hier seien Schritt Eins und Zwei nie getrennt, das Problem des Kaputtdiskutierens kenne man gar nicht. Das war für den deutschen Kollegen absolut faszinierend! Er lud seinen Gesprächpartner sofort nach Deutschland ein, um das Thema zu vertiefen.

Dieses „Los Geht’s“ wollen wir aus Rumänien in die restliche KAS-Familie transportieren. Wir sind ja nicht nur ein „Think Tank“ sondern vor allem auch ein „Do Tank“. Deutschland schaut noch nicht genug auf Lösungen die anderswo gefunden werden. Wir sollen das aufbrechen, indem wir zeigen, was andere bewegt. Was ist spannend und innovativ? Und dann wollen wir eine Brücke von beiden Seiten bauen.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.