Stehovationen für einen Klassiker und deutsches Schülertheater

Jugendliche spielten „Romulus der Große“ für ihren Freundeskreis

Die Ewige Stadt hat Odoaker (links) nur erobert, weil seine gewaltbereite Gefolgschaft ihn dazu gezwungen hat. Kaiser Romulus Augustus (rechts), der ihm Augenblicke später die Regierungsgeschäfte abtreten wird, muss dafür nicht seinen eigenen Kopf hinhalten. Foto: Klaus Philippi

Hermannstadt – Ohne Friedrich Reinhold Dürrenmatt, bei dem es schnörkellos zur Sache geht, wäre der Deutschunterricht in den Lyzeums-Klassen an Rumäniens Gymnasien, wo gerne streng auf das Abitur in deutscher Sprache hingearbeitet wird, unvorstellbar. Eine Lektüre des Romans „Der Richter und sein Henker“ oder des Dramas „Die Physiker“ verschafft wahrscheinlich noch am ehesten Freude statt Stirnrunzeln, wenn man die vergleichsweise sprödere Bildungssprache der Messlatte Johann Wolfgang Goethes oder von Thomas Mann bedenkt, die sich seit Gedenken durch den Lehrplan zieht.

Nur gut, dass auch Namen des 20. Jahrhunderts wie Bertolt Brecht und Friedrich Dürrenmatt zur Lernpflichtnorm zählen, mit deren Handschriften sich die oftmals sperrige Angelegenheit gleich viel einladender anlässt. Erstrecht, wenn man ihre Stücke nicht allein lesen muss, sondern auch spielt. 22 Schülerinnen und Schüler des Samuel-von-Brukenthalgymnasiums und des nach Andrei Șaguna benannten Pädagogischen Gymnasiums von Hermannstadt/Sibiu hatten Mittwochabend, am 18. Januar, im Kleinen Saal des Gong-Theaters das Glück, Dürrenmatts Komödie „Romulus der Große“ öffentlich aufzuführen.

Ein letzter großer Wurf von „Brukenthalern“ erfolgte im Frühjahr 2004 am Radu-Stanca-Theater mit Bertolt Brechts und Kurt Weills „Dreigroschenoper“ unter Regie von Franz Kattesch. Kürzlich am Januarabend 2023 zeichneten Kostümbildnerin Liana Dumitru und Regisseurin Ingrid Bon]a vom unabhängigen Theater „Coquette“ aus Bukarest für die Einstudierung von „Romulus dem Großen“ verantwortlich. Weil Friedrich Dürrenmatts Libretto 18 Personen anführt, war unlängst im Gong-Theater für die 22 schauspielerisch Beteiligten Mehrfachbesetzung das Gebot der Stunde. Kaum eine römische Haupt- oder Nebenperson, die vor brechend vollem Saal nicht abwechselnd von mindestens zwei verschiedenen Akteuren gespielt wurde. Kaiser Romulus Augustus und sein Innenminister Tullius Rotundus wurden geteilt von je drei Schülern interpretiert, und nur elf Aufführende hatten pro Kopf bloß einen statt mehrere distinkte Charaktere aus Dürrenmatts gekürztem Originaltext zu meistern.

Sollte hinter dem Vorhang ein Souffleur bereitgestanden haben, war sein Einsatz nicht nötig. Sämtliche Schülerinnen und Schüler hatten ihre auswendig gelernten Textpassagen souverän drauf. Trotzdem war die Wiedergabe des Rollenspiels dann und wann nicht ohne manchen Abstrich mitzuverfolgen. Die eigentlich sehr gut spielende Lyzeanerin, die als überdrüssiger Kaiser von Rom den Einstieg in Dürrenmatts Komödie machte, legte stimmlich zu wenig Präsenz an den Tag. Es war nicht einfach, sie zu verstehen. Ebenso auch die beiden Akteure, denen der finale Schlagabtausch zwischen Romulus und Germanen-Fürst Odoaker gehörte, und die sich deswegen eine breite Spur weit mehr hätten erlauben können, vokal ans Eingemachte zu gehen. Nicht unerheblich zudem ein sehr rauer Sprachakzent beinahe aller Schülerinnen und Schüler, der mit fortschreitender Dauer der Vorstellung gar noch von unkorrekten Pronomina getrübt wurde. Mehr Sprecherziehung könnte helfen, daran zu feilen – vorteilhaft übrigens nicht nur beim Spielen von Theater.
Als Pluspunkte zu vermerken sind hingegen der schallende Beifall auf den schließenden Satz des in Rente gehenden Kaisers von Rom, und dass die Schauspielenden der 9. bis 12. Klasse vom Brukenthal- und Pädagogischen Gymnasium sich unter der Leitung von Ingrid Bonța und Liana Dumitru auch um die Musik, das Bühnenbild, die Kostüme, das Licht sowie um die Regie ihres Auftritts gekümmert haben. Hermannstadts Deutschem Kulturzentrum, das zur Projekt-Vorstellung eingeladen hatte, und dem bundesdeutschen Institut für Auslandsbeziehungen (IfA) als finanziell sichernder Struktur gebührt ein großes Dankeschön. War die „Dreigroschenoper“ 2004 besser, „Romulus der Große“ jüngst weniger gut, oder wäre fairem Üben von Kritik zuliebe das Anstellen konkurrierender Vergleiche zu unterlassen? Eine Frage, vom resignierenden Kaiser Romulus angeschnitten, meint es auf jeden Fall ernst: „Ist Kultur etwas, das man retten kann?“ Das Deutsch Jugendlicher, für die es zuhause nicht Muttersprache ist, konnte sich dank Schulunterricht schon einmal richtig einwandfrei hören lassen. So lange her ist das gar nicht.