Steinsuppe, Ruszwurm und Wallenberg

Ungarns Welthauptstadt an nur drei Tagen? Gesagt, getan!

Fischerbastei und Matthiaskirche. Schön, oben gewesen zu sein, aber auch angesagt, irgendwann wieder zu gehen

So, wie man im Gellért-Heilbad Entspannung davor oder danach verbringen kann, schwimmt man auch: unter Jugendstil-Glasdach.

Obwohl so bunt wie nur möglich ausgemalt, wirkt die Matthiaskirche farblich nicht überlastet.

In der Stephans-Basilika hält das von Gottes Gnaden katholische Ungarn nicht mit seinem Stolz zurück.

Die Kuppel der Großen Synagoge auf der Dohány utca. Etwa 100 „Schutzhäuser“ für jüdische Bürger und Familien mieteten Raoul Wallenberg, Carl Lutz und weitere Diplomaten 1944 in Budapest.

Die Nagy Vásárcsarnok von Budapest | Fotos: Klaus Philippi

Käse aus dem magyarischen Torockó im Westen Siebenbürgens unter dem Dach der Zentralen Markthalle am Pester Donauufer, frisch dampfender Kürtöskalács von szeklerischen Bäckern am Weihnachtsmarkt auf dem Vörösmarty tér, und der 1950 gemäß eigenem Wunsch in Budapest verstorbene Graf, Mäzen, Diplomat und legendäre Intendant Miklós Bánffy aus Transsylvanien, nach dem die neue Probebühne der Ungarischen Nationaloper benannt ist: was kann, darf, muss und möchte man von der Millionenstadt Budapest halten, mit der Rumänien und beson-ders Transsylvanien eng verknüpft sind, ganz gleich, ob so eine Kulturverwandtschaft nun schmeckt oder nicht? 

Europa als Krisen-Verwaltungsort und seine Binnenkritiker im politischen Rampenlicht hin oder her – in der Provinz rechnen Zug-reisende vergeblich mit dem Einfahren in Kopfbahnhöfe wie den imperialen Keleti pályaudvar, und im alten Wettstreit mit Budapests Parlament zieht Bukarest architektonisch den Kürzeren. Nichts wie hin, trotz Regierungschef Viktor Orbán, mit dessen Spieltaktik man nicht einverstanden sein muss. Anders dafür die Metropole Ungarns, deren unschlagbarem Sog man ohne Argwohn folgen kann.

Zähflüssige Menschenmassen überall sind die Schattenseite davon; sollte Budapest als Reiseziel-Klassiker gegenüber berühmten Orten weiter westlich jemals das Nachsehen gehabt haben, steht es längst gleichauf mit ihnen, hat allen Rückstand aufgeholt. Dennoch ist das Erleben der ungarischen Weltstadt als Gast selbstverständlich mehr als nur eine Glücksfrage. Wer die Selfie-Versessenen ihrem Stau auf der Fischer-Bastei/Halászbástya überlässt, hat viele nicht-zentrale Gassen von Buda garantiert fast für sich ganz alleine. Ausgewichen werden muss gelegentlich bei ihrer Enge und Steilheit zugleich nur einheimischen Autofahrern. Und wenn es doch eine Adresse oben im Burgviertel gibt, wo auf die Geduld beim Schlangestehen in der Tat eine süße Belohnung folgt, dann die Ruszwurm Cukrászda, die älteste Konditorei Ungarns. Kaffee und Kuchen wie vor 200 Jahren, mit jeder Menge Kondenswasser innen an den Fensterscheiben bei Sudelwetter draußen und spürbar historischer Gemütlichkeit unter gewölbter Raumdecke? Hier im 1827 eröffneten Kaffeehaus kommt alles zusammen, das preislich gar kein bisschen überteuerte Torten-Menü vom 1935 gegründeten Traditionsunternehmen Szamos, und der Publikumsstrom des 21. Jahrhunderts, den auch die königliche Matthiaskirche anlockt. Kulturellen Geiz kennt Budapest genauso wenig wie kulinarischen.

Und dann natürlich die Heilbäder, von denen auch Thermalwasser-Ablehnende zumindest grundsätzlich Bescheid wissen sollten, wo schon die römischen und viel später die osmanischen Okkupanten das Entspannen in den heißen Quellen über alles liebten. Széchenyi, Rudas und Gellért, um nur drei von insgesamt zwölf und aktuell elf wählbaren Thermen zu nennen. Je zentraler und berühmter, desto teurer, denn irgendwie muss der Andrang ja auch unter Kontrolle gehalten und für Budapest etwas abwerfen können. Umgerechnet nur ein schlapper Euro pro Eintrittskarte? Stimmt, so war das mal, aber vor sehr, sehr langer Zeit. Genauso, wie man es im Gewirr der Stimmen und Sprachen leider auch nicht mehr Ungarisch plaudern hört, es sei denn, man geht früh-morgens oder in eine nicht-zentrale Therme baden.

Besser und einfacher noch, man fährt hin. Spart Zeit, ist meist auch unbedingt nötig und bezahlbar. Für 5500 ungarische Forint, was 75 rumänische Lei bedeutet, darf man die Metro, die Linienbusse und die Straßenbahnen drei volle Tage lang unbegrenzt nutzen. Nichts läuft in Budapest reibungsloser als das Verkehrsunternehmen BKK. Bahn oder Bus verpasst? Keine Panik, in wenigen Minuten kommt die oder der nächste. Und nebenbei verschafft es bei derart großen Entfernungen von einem Viertel ins andere auch noch Blicke auf so manche Prachtbauten, für deren Kennenleren von innen heraus die Zeit im architektonisch schwerreichen Budapest niemals ausreicht. Allein schon nur die Umrundung des Parlaments, des Országház, führt direkt ins Staunen.

Ordentlich schlucken macht dagegen für den ersten und vielleicht auch noch im zweiten oder gar dritten Augenblick der Ticketpreis der Großen Synagoge auf der Dohány utca, der größten Europas und der zweitgrößten weltweit. Wo die „Tabak-Schul“ (deutsche und somit einschließlich jiddische Übersetzung des ungarischen „dohány“) 2019 für günstige 4500 Forint besichtigt werden konnte – immerhin bietet sie knapp 3000 Sitz- und Zuhörerplätze –, hat sich der Tarif pandemisch bedingt mehr als verdoppelt. 9000 Forint zu Jahresende 2023 und 10.800 Forint seit Jahresanfang 2024. Covide et impera, oder wie dem auch sei, doch wer sie erst erkundet hat, die Tabak-Schul, vergisst die Abzocke. Das gibt es wirklich nur einmal auf der Welt, zumal das Ticket auch für das Jüdische Museum gilt. Jedes dritte Opfer des Vernichtungslagers Auschwitz stammte aus Ungarn!

Ein kapitalistisch nachdenklich stimmendes Wort noch zur Covid-Pandemie: leider, leider haben quasi alle koscheren Konditoreien im alten Jüdischen Viertel Budapests sie nicht überleben können, weil zu klein. Bei etwa 100.000 heute in der Stadt lebenden Juden jedoch nimmt es nicht wunder, dass die Gaststätte „Gettó Gulyás“ ohne Reservierung hoffnungslos ausgebucht ist, und nicht lange Schritte weiter weg in der „Köleves“ eine Menora auf einem alten Geschirrschrank und auch Jüdisches auf der Karte den guten Ton der Metropole bestätigen, wo Trauma-Verarbeitungs-Experte und Wahlkanadier Gabor Maté als Einjähriger dem Holocaust entging, und der schwedische Diplomat Raoul Wallenberg im Tandem mit dem Schweizerischen Vizekonsul Carl Lutz 100.000 Juden vor der SS und den Pfeilkreuzlern zu retten vermochte. Die „Steinsuppe“ (Köleves) übrigens heißt so, weil König Matthias Corvinus einem Gastgeber und notorischen Geizhals sprichwörtlich royal Benimm beigebracht haben soll. Stein in der Suppe gefunden, rausgefischt und Goldstück rein. Zu guter Letzt noch ein Tipp, den Budapest-Entdecker genauso beachten sollten wie Italien-Kenner, und der gleichfalls Gold wert ist: wer seine kulinarischen und kulturellen Stationen vorab online reserviert, zahlt zwar nicht weniger, muss aber auch nicht mehr Zeit als unbedingt nötig für das Warten vor Eintritt berechnen.