Theaterstück „Grand Hostel Timișoara“

Eine bittersüße Radiografie einer künftigen Kulturhauptstadt Europas

Die neue Inszenierung der Temeswarer unabhängigen Theatergruppe Auăleu feierte Premiere Mitte April. Seither wurde die Vorführung immer als geschlossene Veranstaltung vorgestellt.
Foto: Victor Lentilă (victorlentila.com)

Der Innenhof der Kneipe „Scârț Loc Lejer“ in der László-Székely-Straße, unmittelbar in der Nähe des Lahovary-Platzes/Piața Bălcescu von Temeswar/Timișoara, ist am Samstagabend, wie schon seit Mitte April an allen Wochenendabenden, voller Menschen. Die Kneipe ist das Zuhause der unabhängigen Theatergruppe „Auăleu“ (so viel wie „Auweia“), die schon seit 16 Jahren ihr Publikum mit außergewöhnlichen – mal lustigen, mal ernsten – aber immer aktuellen Themen begeistert. Was aktuell die Besucher so zahlreich ins „Scârț“ zieht ist die neue Inszenierung der Theatergruppe, die eindeutig von Temeswar handelt.

Zwei Jahre lang hat die Gruppe im eigenen Haus nicht mehr performt. Anfang April schlug der Gong aber nach zwei Jahren Pandemie und Einschränkungen wieder. Und wie konnte die Gruppe ihre Besucher empfangen, wenn nicht mit einer neuen Produktion? Der Autor und Regisseur der Theatergruppe Ovidiu Mihăiță schrieb schon Jahre daran, an seinem Stück „Grand Hostel Timișoara“.

Nach wie vor hochinteressant für Besucher ist die spezifische Art und Weise der Theatergruppe, in einem lustigen Kontext die Realität von Temeswar im Alltag und in Hinsicht auf das Jahr 2023 – wenn Temeswar Kulturhauptstadt Europas sein wird – darzustellen. Das Manko an Museen, Festivals und Großevents, sanierungsbedürftige Gebäude, Taschendiebe usw. – die Geschichte fühlt sich vor allem Temeswarern sehr bekannt an.

Das Theaterstück macht einen Sprung in die Zukunft. Die Handlung spielt sich im Foyer des sogenannten „Grand Hostel Timișoara“ ab. Die Inhaberin begegnet Touristen aus aller Welt, die im lange erwarteten Kulturhauptstadtjahr 2023 Temeswar besuchen. Sie spricht nur wenige Wörter aus den jeweiligen Fremdsprachen der Touristen, die u.a. aus Deutschland, Niederlanden, Frankreich, Italien, Spanien, Ungarn, Serbien, aus der Türkei und aus Griechenland kommen. In der Inszenierung ist Rumänisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Flämisch, Deutsch, Ungarisch und Serbisch zu hören. Die Schauspieler der unabhängigen Theatergruppe Christine Cizmaș, Ioan Codrea, Armand Iftode, Jasmina Mitrici, Anastasia Diana Miulescu und Ionuț Marian Pîrvulescu bauen einen modernen Turm zu Babel in Temeswar auf. Die Komik entsteht durch die Erläuterung der verschiedenen, vielfältigen Probleme der Stadt an der Bega, der wirtschaftlichen Lage, der kulturellen Aktivitäten, Unterhaltung und Tourismus, bis hin zu den Verhaltensstereotypen der verschiedenen Nationen. Die deutsche Pünktlichkeit – der Tourist aus Deutschland kommt eine Minute vor der Eröffnung des Hostels an –, die übertriebene Lebhaftigkeit der Italiener, die leichte Hochnäsigkeit der Franzosen oder die Leidenschaft der Spanier, dazu kommt noch die nonchalante Einstellung der Inhaberin und die kleinen sprachlichen Missverständnisse – sie alle sorgen für Gelächter.

Mit Ausnahme von Christine Cizmaș, die Schauspielerin, die die Inhaberin des Hostels darstellt, schlüpfen die Schauspieler in die Schuhe zahlreicher Gestalten. Die zwei Stunden vergehen wie im Flug – der Rhythmus wird immer atemloser, der Austausch der Dialogzeilen fühlt sich wie ein Ping-Pong-Spiel an, die Wangen tun weh von so viel Lachen, so dass man nach Ende der Inszenierung weiterhin lächeln muss. Erst nach mehreren Minuten, nachdem alle Klänge verstummt sind, kommt man mit dem Gedanken wieder in die Realität zurück.

Es war lustig, doch dann wird man sich den Unvollkommenheiten vor Ort nur noch bewusster. „Ich habe versucht, dass diese Touristen an allem, was eine Stadt anzubieten hat, interessiert sind: Von Architektur und baulichem Erbe, an Essen und Getränken und nicht zuletzt am Kulturangebot. Die Touristen gehen quer durch die Stadt – vom Kuncz-Stadtviertel zur Josefstadt/Iosefin usw. Fahrräder verschwinden, manche Touristen werden verprügelt, anderen wird die Geldtasche geklaut, einem wird es vom Essen übel, einem anderen fällt ein Stück Verputz von einem Altbau auf den Kopf“, erzählt der Autor von „Grand Hostel Timișoara“ Ovidiu Mihăiță. Die Vorstellung war eigentlich für das Jahr 2021 gedacht, doch das Kulturhauptstadtjahr wurde wegen der Pandemie auf 2023 verschoben. „Ob wir nun jetzt dafür vorbereitet sind? Ob zum Besseren oder Schlechteren – oft mit Schlechtem, wird die Stadt 2023 Kulturhauptstadt. Wir haben ein einziges Mittel, die Stadt zu verteidigen – den Humor“, schließt Ovidiu Mihăiță.

Für „Grand Hostel Timișoara“ sollte man sich etwa drei Stunden einplanen. Die Inszenierung dauert zwei Stunden, nach der ersten Stunde gibt es eine viertel Stunde Pause. Um die Atmosphäre zu genießen wäre es schade, wenn man nicht etwas früher bei „Scârț" ankommt. Der Ort ist spektakulär für sich: Das alte Haus unmittelbar in der Nähe des Lahovary-Platzes, eine alte 1930-Villa, die von außen wie ein ganz normales Wohnhaus aussieht, mit einem grünen Garten, sorgt auch tagsüber für Stimmung. In die Kneipe gehen und anschließend die Vorstellung besuchen, das kann man ohne eine Reservierung im Vorhinein derzeit allerdings nicht machen, denn die Vorstellungen von Auăleu sind nun, nach der Pandemie, an allen Theaterabenden ausgebucht. 50 Lei kostet das Ticket zur Inszenierung. Spenden sind für das hundertprozentig unabhängige Theater jederzeit willkommen.

„Das Theaterstück habe ich, als einheimischer Temeswarer, ohne zu wollen, in den letzten 40 Jahren konzipiert. In den letzten Jahren habe ich aber Ideen niedergeschrieben und viele Elemente miteinander verbunden. Noch am Tag vor der Premiere, am 14. April, habe ich Änderungen im Text unternommen.“
Ovidiu Mihăiță, Leiter der Gruppe und Regisseur


Das Programm kommender Vorführungen ist auf der Seite facebook.com/aualeu.teatru erhältlich. Derzeit ist Sommerpause im hauseigenen "Scârț", doch die unabhängige Theatergruppe Auăleu wird im Sommer bei jeweiligen Festivals und Events im Freien zu sehen sein.