Über Kommunismus am 1. Mai

Abschlussdebatte des Turniers der Schriftsteller in Schäßburg anhand von Buch- und Filmvorstellung

Norman Manea, Stere Gulea und Dan Lungu bei der Debatte über die Jahre des Kommunismus
Foto: Hannelore Baier

Der 1. Mai ist der Internationale Tag der Arbeit, auch er aber wurde in Rumänien von der kommunistischen Propaganda missbraucht. Im Jahr 25 nach dem Zerfall des kommunistischen Systems wurde am 1. Mai in Schäßburg/Sighişoara zum Abschluss des erstmals veranstalteten Turniers der Schriftsteller über den Kommunismus und den Postkommunismus diskutiert. Den Anlass dazu boten die Vorstellung des Buches von Alexandru Matei „O tribună captivantă. Televiziune, ideologie, societate în România socialistă (1965-1983)“ sowie die von Stere Gulea gezeichnete Verfilmung von Dan Lungus Roman „Sunt o babă comunistă“ (in Deutsch unter dem Titel „Die rote Babuschka“ erschienen). Das von der Schriftstellerin Mariana Gorczyca initiierte „Turnier“ hatte am 30. April begonnen, mehrere Autoren und Übersetzer zu Buchvorstellungen und Debatten in die Kokelstadt geholt und soll im nächsten Jahr erneut stattfinden.

Das Buch von Alexandru Matei biete eine Diskursanalyse bzw. eine Untersuchung der Zeitgeschichte anhand der Entwicklung des Rumänischen Fernsehens in den Jahren 1965 bis 1983, sagte die Literaturkritikerin Bianca Burţa-Cernat. Dargestellt wird ferner, wie das Fernsehen dazu diente, Ceauşescu zum „obersten Führer“ aufzubauen, bzw. den Personenkult zu gestalten. Die Darstellung dieser Epoche heute – die als „Goldenes Zeitalter“ gepriesen wurde, dies aber ganz und gar nicht war –, stand dann im Mittelpunkt des Gespräches, an dem die genannte Literaturhistorikerin sowie die bekannten Schriftsteller Norman Manea und Dan Lungu, der Regisseur Stere Gulea, Anamaria Pop, die Übersetzerin von Peter Esterházys Werken ins Rumänische, und der tschechische Schriftsteller Martin Vopenka teilnahmen. Der Kommunismus war für Rumänien eine Katastrophe, dennoch solle über diese Zeit ohne exzessive Anschuldigungen, Vergeltungsgelüste und Vereinfachungen gesprochen werden, weil sonst die simplifizierende kommunistische Propaganda durch die ebensolche antikommunistische ersetzt wird, so Burţa-Cernat. Behandelt werden müsse diese Zeit mit derselben wissenschaftlichen Distanz und Rigorosität, wie der Erste Weltkrieg zum Beispiel, sagte sie.

Auf Ehrlichkeit im Umgang mit den Jahren des Kommunismus pochte Norman Manea und führte einige Spezifika des Systems in Rumänien an. Im Unterschied zu anderen Staaten hat es bloß drei „Führer“ gegeben: Gheorghiu-Dej, Ceauşescu und Iliescu; die größten Krisen wurden durch Umverteilen der Sitze gelöst. 1944 hatte die kommunistische Partei rund tausend Mitglieder, 1989 waren es vier Millionen, von denen die meisten aus Opportunismus beigetreten sind. Die  Avantgarde war die Arbeiterklasse nie, in ihrem Namen fanden die Gräuel und Ovationen statt. Die zweite Generation der Nomenklatura stellte fest, dass es eine weitaus größere Macht als die der Partei gibt: jene des Geldes. Pragmatisch sicherte sie sich Anteile daran. Manea zitierte den zweimal von den Sowjets zum Tode verurteilten General Bela Király (1912-2009): Rächen wir uns nicht, seien wir nicht wie sie!

Dass sich die Sicht auf die Jahre des Kommunismus in den 25 Jahren seit dessen Ende verändert (hat), wurde anhand der Vorstellung des Filmes klar. Geschrieben hat Lungu die „Babă comunistă“ vor Beginn der Wirtschaftskrise, verfilmt wurde das Buch danach. Diese Tatsache spielte beim Schreiben des Drehbuchs eine Rolle, sodass der Streifen nunmehr die Situation der Jahre nach 2008 schildert, sagte Gulea. Es ist ein Film über Nostalgie, gab er zu. Heute habe er weitaus mehr Verständnis für Personen wie die Protagonistin des Films, über die er vor 20 Jahren vermutlich geschimpft hätte. Ehrlichkeit und Verantwortung mahnten alle Redner im Umgang mit den Jahren des Kommunismus an.