Und noch einmal: Eginald Schlattner!

Die „Akte“ Eginald Schlattners ziert den Umschlag der veröffentlichten Dissertation: „Die Unentrinnbarkeit der Biographie. Eginald Schlattners Roman ‘Rote Handschuhe’ als Fallstudie zur rumäniendeutschen Literatur“ von Michaela Nowotnick.

Eginald Schlattner im Jahr 2021 Foto: George Dumitriu

Mit Befremden habe ich vor Kurzem in der ADZ im Rahmen einer Buchrezension den über 60 Jahre alten Vorwurf gelesen, Eginald Schlattners Aussage im „Schriftstellerprozess“ habe Hans Bergel ins Lager gebracht („anhand des Zeugnisses von Eginald Schlattner zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt“).

Dass Hans Bergel es so für sich fixiert hat, auch als längst die Akten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und sein Vorwurf widerlegt werden konnte, ist sein Recht als Mensch gewesen. Jedem bleibt unbenommen, die Ereignisse des eigenen Lebens in einen selbst gewählten Kontext zu stellen und in diesem zu bewerten, auch ohne sich korrigieren zu lassen.

Warum aber muss die ADZ das als Aussage unkommentiert wiederholen? Wissenschaftlich ist der Vorwurf, Schlattners Aussage sei maßgeblich gewesen, längst widerlegt, die historischen Quellen wurden u.a. akribisch zusammengetragen und aufgearbeitet, nachzulesen bei Fr. Dr. Michaela Nowotnick in ihrem Buch „Die Unentrinnbarkeit der Biographie. Der Roman Rote Handschuhe von Eginald Schlattner als Fallstudie zur rumäniendeutschen Literatur. Wien, Köln, Weimar 2016….“…

Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass die Entgegnung und faktische Richtigstellung Dr. Michaela Nowotnicks in der ADZ dann auch nicht auf sich warten ließ und ihr angemessen Raum gegeben wurde.

Was habe ich als Psychiaterin und Psychotherapeutin aus Norddeutschland mit der Rezeption Eginald Schlattners überhaupt zu tun? Ich habe aus direkter Verwandtschaftslinie keine „rumäniendeutschen Wurzeln“. Nur einen Großvater, der sich für seine große Liebe aus besten Fogarascher Kreisen 1942 von seiner ersten Frau aus Hamburg-Harburg hat scheiden lassen, um im Sommer 1943 in Fogarasch die geliebte ältere Apothekerstochter aus der Apotheke direkt gegenüber der Burg zu heiraten.

Der gemeinsame Sohn der beiden starb nach dem Krieg tragisch in Deutschland im Alter von vier Jahren. Aber mein Vater, sechs Jahre älter und erst 2022 verstorben, wurde von der siebenbürgischen Stiefmutter erzogen, deren Prägungen mir in mir selbst bis heute immer wieder begegnen.

Eginald Schlattner habe ich das erste Mal gelesen, als sein erster Roman und Bestseller „Der geköpfte Hahn“ erschienen ist, 1998. Schlattners szenisch-lebendige, farbige Darstellung der kleinen Stadt Fogarasch am Fuße der Karpaten, am Alt-Fluss gelegen, die Darstellung der damaligen Multiethnizität, Multikonfessionalität und Mehrsprachigkeit seiner Bewohner hat ein Bild in mir entstehen lassen, das es trotz häufiger Erwähnung Siebenbürgens in unserer Familie über die Jahrzehnte andauernde Zeit des „Eisernen Vorhangs“ vorher so nicht gegeben hatte.

Vor der Lektüre von Schlattners erstem Roman war da immer nur ein graues, merkwürdig verschwommenes Bild dieser Region gewesen, vollkommen ungreifbar für mich als Kind und Jugendliche…

Für mich ist Schlattners Werk somit der Schlüssel zu meiner Wahrnehmung von Siebenbürgen als realer, lebendiger Raum gewesen. Dass er im „geköpften Hahn“ sogar die Stadt beschreibt, aus der die Stiefgroßmutter stammte, ist mir erst später bewusst geworden.

Dem Roman „Rote Handschuhe“ (2000) über die Zeit seiner Haft, der so viele Menschen aufgewühlt und manch persönlich Betroffene auch gegen Schlattner aufgebracht hat, folgte das Buch „Das Klavier im Nebel“ (2005) in dem nun nicht nur Fogarasch, sondern ganz Siebenbürgen und das Banat als Kulisse, als Hintergrund einer Liebesgeschichte zwischen einem Sachsen und einer Rumänin dient.

So sehr die Personen und ihre Beziehung zueinander hier berühren, so ist mir doch Jahre nach dem Lesen unauslöschlich am stärksten das Bild der Landschaft und der Orte, kleiner Dörfer und Städte geblieben, durch die die Protagonisten radeln, wandern, an Türen klopfen, Gebäude betreten, Mahlzeiten zu sich nehmen, in Gewässern schwimmen; der historische Kontext immer präsent und die Sprache so szenisch farbig, sinnlich erlebbar, dass ich persönlich diesen Autor und Siebenbürgen nicht aus meinem Kopf bekommen werde und denke: Das genau ist es, wofür Eginald Schlattner erinnert werden sollte. Für den Dienst, den er seiner Heimat getan hat und weiterhin tut, dem deutschsprachigen Siebenbürgen, das er aller Welt nahegebracht hat (in acht Sprachen übersetzt!) und immer noch tut, unvergänglich, wo doch real diese Welt schon fast versunken ist.

Dass Eginald Schlattner zwar vielfache Ehrbekundungen und Anerkennung seiner Lebensleistung erhalten hat, z.B. als Kulturbotschafter Rumäniens oder als Träger des deutschen Bundesverdienstkreuzes, trotz wiederholter Vorschläge für einen angemessenen literarischen Preis einen solchen jedoch nie bekommen hat, mag sich darauf zurückführen lassen, dass der Vorwurf des „Verrats“ eben immer wieder auftaucht, wie oft er auch entkräftet wird. „Etwas bleibt immer hängen“, das kann man hier exemplarisch sehen.

Eginald Schlattner steht kurz vor seinem 90. Geburtstag. Ich wünsche ihm, dass sein literarisches Werk noch zu Lebzeiten gebührend ausgezeichnet, seine Leistung anerkannt und sein Verdienst um Siebenbürgen und die deutsche Sprache und Kultur in Rumänien gewürdigt wird. Die ADZ könnte sich dafür einsetzen.