Ungleichheit ist die größte Herausforderung der Euro-Krise

In Berlin diskutieren führende Ökonomen über neue Wirtschaftspolitik in Europa

Bild: sxc.hu

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Ein wenig ruhiger um den Euro und die Krise ist es geworden, seit die EU-Finanzminister Anfang März ein weiteres Hilfspaket für das strauchelnde Griechenland abgesegnet haben. Doch die Debatte um den Weg aus der Krise und die Zukunft des Euros hat noch keine zählbaren Ergebnisse geliefert. So wurde das letzte der Hilfspakete schon unter dem Vorzeichen abgesegnet, dass wahrscheinlich noch weitere folgen werden. Es scheint, als sei die Krise ein Fass ohne Boden und niemand hat das Rezept, um es zu stopfen. Weltweit führende Wirtschaftswissenschaftler haben sich Mitte April nach Berlin aufgemacht, um eben diesen Stoppel zu finden. Das Institut für Neues Denken in der Ökonomie (Institute for New Economic Thinking, INET) hatte die Größen der Branche zur Diskussion geladen. Dabei hat die Avantgarde der Querdenker aus Wissenschaft und Politik ihre Sicht der Dinge kundgetan und dabei nicht mit Seitenhieben auf das europäische Krisenmanagement, vor allem aber auf die protektionistische deutsch-französiche Haltung, gespart.

Kritik am derzeitigen Kurs

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble fasst unter dem Begriff „Ordnungspolitik“ das zusammen, was in den Augen führender Ökonomen nicht funktionieren wird: Das Kunststück, einen staatlich verordneten Sparkurs zur Konsolidierung der Staatshaushalte mit wirtschaftlichen Konjunkturprogrammen in Einklang zu bringen. „Deutschlands Schuldenbremse ist das Fundament für eine langfristig verlässliche Strategie, die unerwünschten Entwicklungen an den Märkten entgegenwirkt“, schreibt Schäuble in einem Brief anlässlich der Eröffnung der Konferenz. Die Regierung in Berlin will die Stabilität und Bonität Deutschlands durch eine Vergemeinschaftung der Schulden, den sogenannten Eurobonds, nicht gefährden und fordert von den krisengeschüttelten Staaten Südeuropas ebenfalls rigide Sparkurse.

Dieser Kurs stößt nicht nur bei den hilfsbedürftigen Ländern und der EU-Kommission auf Unverständnis, auch der Tenor der Berliner Konferenz ist eindeutig: „Der derzeitige Weg ist in höchstem Maße destruktiv“, sagt der US-amerikanische Ex-Banker und Multimilliardär George Soros stellvertretend für viele Ökonomen. Er gilt als einer der prominentesten Kritiker des deutsch-französischen Krisenmanagements. Die chronische Übertretung der Maastricht-Kriterien vieler Euro-Staaten sei nur eines von vielen Anzeichen, dass die Systemarchitektur schwere Mängel aufweist, erklärt Soros. Die Regierungen und Finanzautoritäten versuchen ein Regelwerk zu erhalten, das offensichtlich nicht funktioniert. Er weist darauf hin, dass die Stützung Griechenlands über einen längeren Zeitraum unmöglich zu bewerkstelligen sei. Die gleiche Gefahr droht in Italien und Spanien. Die Konsequenz könnte nach Soros’ Ansicht nicht nur das Auseinanderfallen der Eurozone, sondern auch eine Gefährdung des gesamten gemeinsamen europäischen Marktes sein. Einziger Ausweg ist ein Finanzausgleich innerhalb der Union. Die Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland, müssen sich entscheiden, ob sie den schweren Schritt in Richtung Transferunion gehen oder wieder eine „Renationalisierung“ der Finanzpolitik vorantreiben wollen. 

Ökonomische Kluft gefährdet Stabilität

Auch der bekannte US-Wirtschaftswissenschaftler James Galbraith von der University of Texas sieht in der wachsenden Kluft innerhalb der EU die größte Gefahr. Ursprüngliches Ziel war es, für mehr Gleichheit und Stabilität in Europa zu sorgen. „Die Krise hat gezeigt, dass genau das Gegenteil der Fall ist“, warnt Galbraith. Die derzeitige realwirtschaftliche und finanzielle Situation in den Staaten Südeuropas führe langfristig zum Ruin. „Die Geschichte hat immer wieder gezeigt: Wenn die Peripherie einer Wirtschaftseinheit derartigen Niedergang verzeichnet, hat das soziale und wirtschaftliche Konsequenzen auch für die Kernregion“, sagt Gailbraith. Er empfiehlt deshalb drei Maßnahmen, die schnell umgesetzt werden könnten: Die Eurozone müsse gemeinsame europäische Anleihen auf den Markt bringen, was die viel gescholtene Vergemeinschaftung der Schulden bedeutet. Gleichzeitig müsse man wirksame Konjunkturprogramme auf den Weg bringen. Mittelfristig, so Gailbraith, sei eine gemeinsame Finanzmarktregulierung und ein weiterer Ausbau zu einer Sozialunion, beispielsweise durch ein gemeinsames Rentensystem, notwendig. Europa sei aus Sicht der Investoren bereits eine Einheit, sagt Gailbraith in seinem Vortrag, jetzt müsse es auch wirtschaftspolitisch zu einer Einheit werden.

Für den griechischen Wirtschaftswissenschaftler Yanis Varoufakis ist die Lösung durch eine stärkere politische Integration noch diskutabel. Er nennt die Lage, in der sich Europa derzeit befindet, ein „hässliches Dilemma“: „Auf der einen Seite steht der derzeitige Kurs (gemeint sind Sparkurs und Rettungsschirm ESM), von dem niemand wirklich glaubt, dass er funktioniert. Die Alternative sind weitere Schritte in Richtung Föderalstaat (Eurobonds und verstärkte Institutionalisierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik), für die Europa noch nicht bereit ist“. Nach seiner Ansicht wehren sich einige Mitgliedstaaten aus gutem Grund gegen Eurobonds: Die Zinssätze dieser Anleihen würden die stabilen Länder schädigen und den strauchelnden Ländern nicht weiterhelfen. Sein Ausweg aus diesem Dilemma lautet: Bevor die nötigen Strukturreformen in Angriff genommen werden können, ist zu allererst ein Plan nötig, der den Weg aus der Krise weist. Dazu schlägt eine Ausdehnung der Kompetenzen der europäischen Finanzinstitutionen vor. Er plädiert für ein Konzept, in dem die Europäische Zentralbank (EZB) für Staatsanleihen aller Eurostaaten Garantien übernimmt und gleichzeitig die Europäische Investitionsbank (EIB) für neue Impulse in der Wirtschaft sorgt. Wenn mit diesen kurzfristigen Maßnahmen der Weg aus der Krise beschritten ist, könne man sich über die weitere europäische Integration Gedanken machen, sagte der Grieche in seiner Präsentation.

So finden sich auf der Berliner Konferenz eine Vielzahl von Vorschlägen, wie man der Eurokrise begegnen könnte. Die realpolitische Umsetzung in einer ziellos umhertreibenden Union bleibt aber problematisch. Die ökonomisch beste Lösung für alle, sollte es sie denn geben, ist angesichts zunehmender Nationalismen in den Mitgliedsstaaten nur schwer durchsetzbar. Der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer übt sich in optimistischem Zukunftsdenken. Er propagiert ein stärkeres Zusammenwachsen und mehr Solidarität und sieht die Entwicklung an einem entscheidenden Punkt angelangt: Die durch die Eurokrise auferlegte Prüfung könne der Startschuss für ein Europa jenseits einer Wirtschaftsunion sein, aber gerade Deutschland müsse sich bewegen und sich seiner Führungsrolle bewusst werden. Er zeigt sich optimistisch angesichts der Schritte, die seit Beginn der Krise unternommen wurden. „Die Staats- und Regierungschefs agieren in der Krise de facto als europäische Regierung“, analysiert Fischer. Dies geschehe zwar noch außerhalb institutionalisierter Rahmenbedingungen, aber es zeige, dass aufgrund der realen Bedrohung die Staaten zu einer engeren Zusammenarbeit bereit sind. „Wann immer Europas Politiker vor dem Abgrund standen, haben sie das Ruder herumgerissen“, meint er auf der Konferenz. Die Europäische Union werde aus der Krise gestärkt hervorgehen, denn sie bietet die Möglichkeit, Systemfehler zu identifizieren und zu beheben.