Vernetzen und gemeinsames Wachstum

Erstes „Network“ – Treffen Europäischer Theaterschulen in Temeswar

Mu Wang von der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg in Ludwigsburg bot in Temeswar eine autobiografische Vorstellung an.

„Human Installation“: Europäische Schauspielstudenten bildeten eine performative Zeitkapsel. | Fotos: Maria Ștefănescu

Aufführungen, Workshops, Debatten und Artist-Talks standen u. a. auf dem Programm des Festivals zwischen dem 10. und 16. November in Temeswar.

Junge Menschen aus deutschsprachigen Ländern, die später einmal Schauspielerinnen und Schauspieler werden möchten, gehen zum Studium. Nein, eben nicht irgendwohin nach Deutschland, sondern... in den Westen Rumäniens. In der europäischen Kulturhauptstadt Temeswar/Timișoara besteht seit 70 Jahren ein eigenes Deutsches Staatstheater, ursprünglich gegründet für die deutsche Minderheit in Rumänien – seit rund drei Jahrzehnten gibt es dort, angehängt an die örtliche West-Universität, auch eine deutschsprachige Schauspielschule. Diese wäre jedoch vor Kurzem, mangels Teilnehmer, beinahe geschlossen worden. Doch jetzt erfreut sie sich zunehmenden Interesses bei Studierenden aus Deutschland und nicht nur. Und, um fachlich auf der Höhe der Zeit zu sein, haben die Verantwortlichen in der zurückliegenden Woche zum Erfahrungsaustausch das erste Netzwerktreffen mit weiteren sechs Theaterschulen aus fünf Ländern Europas organisiert. 

Ein kleiner Studiosaal im Hintergebäude der mächtigen Oper in Temeswar. Die Zuschauerinnen und Zuschauer blicken auf ein apokalyptisch anmutendes Szenenbild: Im Hintergrund ein Sarg, daneben ein Rednerpult. Eine junge Frau mit asiatischen Gesichtszügen tritt nach vorne, erzählt offenbar von sich selbst in der dritten Person. „In diesem Moment denken alle an mich“ lautet der Titel dieses Stücks, das Studierende der Akademie für Darstellende Kunst Ludwigsburg in Baden-Württemberg an diesem Abend in Westrumänien aufführen – als eine von sieben Gruppen aus Deutschland, Großbritannien, Polen, Österreich und Rumänien. Die Studierenden haben sich eine Woche lang in der Europäischen Kulturhauptstadt Temeswar 2023, zum ersten „Network –Theatre Schools in Europe“ – Treffen der Europäischen Theaterschulen – zusammengefunden. 

Einer, der der Schauspielerin aus Baden-Württemberg interessiert zuschaut, ist Martin Székely, Anfang 30: „Ursprünglich komme ich aus Budapest, Ungarn. Ich hab‘ sehr früh mit der deutschen Sprache angefangen. Mit 18 bin ich nach Deutschland gezogen. Schauspiel war immer in meinem Leben. Und jetzt bin ich nach Temeswar gezogen, um das deutschsprachige Schauspielstudium anzufangen.“ 

Ein Ungar, der in Rumänien Deutsches Schauspiel studiert: Klingt einigermaßen exotisch. Allerdings: „Temeswar ist billiger als Berlin“, sagt er. Dies zum einen. Zum anderen hat Martin Székely aber auch festgestellt: „Die Atmosphäre ist richtig gut, die Professoren sind hoch qualifiziert – es lohnt sich!“

Und nun vor Ort auch noch das erste Netzwerktreffen der europäischen Theaterschulen: „Ich möchte einfach Kontakte knüpfen. Es wäre super, wenn ich Leute kennenlernen kann und wir uns gegenseitig motivieren können, weil es eine einzigartige Möglichkeit ist, so viele Künstler zu treffen. Ich glaube, dass das auf jeden Fall ein Ort ist, wenn sieben Gruppen aufeinander kommen, andere Ideen, andere Ansätze zu finden und ein bisschen Futter für das kreative Herz zu bekommen“, ergänzt Jana Nelles, Schauspielstudierende an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg in Ludwigsburg und Mitglied des studentischen Ensembles, das nach Temeswar gekommen ist. 

In Temeswar hat die Schauspielausbildung auf Deutsch Tradition: 70 Jahre Deutsches Staatstheater, 30 Jahre Studiengang „Deutschsprachiges Schauspiel“ an der West-Universität. „Eine deutschsprachige Schauspielabteilung in Rumänien, das ist doch nichts Alltägliches!“, sagt Alina Mazilu, die diese Schauspielabteilung leitet – ein Studiengang, der nach drei Jahrzehnten beinahe geschlossen worden wäre. 

Kaum mehr Nachwuchs aus der ständig dahinschwindenden rumäniendeutschen Minderheit, kaum mehr kompetente Dozentinnen und Dozenten – doch seit über einem Jahr, als Alina Mazilu die Leitung übernahm, weht ein neuer Wind im Studiengang. Durch Kontakte zu Deutschland konnte sie deutsche Gastdozierende verpflichten und die Ausstattung modernisieren. Nun sind zwölf Studierende im Bachelor-Studiengang eingeschrieben; ein Master-Studiengang soll bald folgen. „Wir haben mehr als die Hälfte der Studenten aus dem Ausland: aus Deutschland und Ungarn“, setzt die Abteilungsleiterin fort. Eine davon ist Emma Abromeit aus Karlsruhe: „Ich studiere Schauspiel gerade an der Schauspielschule Temeswar auf Deutsch. Das Spannendste daran ist, dass man den kulturellen Austausch dabei hat, dass man ganz viele Rumänen kennenlernt und Sichtweisen aus anderen Ländern mitbekommt, nicht nur aus dem eigenen. Und wenn es in der eigenen Sprache ist, umso besser.“

Das erste „Network – Theatre School in Europe“ nahm sich somit vor, europäische Theaterschulen zu vernetzen. An der Ausgabe 2023 beteiligten sich die Nationale Aleksander-Zelwerowicz-Akademie für dramatische Künste in Warschau, Polen, die Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH), Deutschland, die Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg in Ludwigsburg,  Deutschland, die Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien (MUK), Österreich, die Fakultät für Theater an der Manchester Metropolitan University und Royal Conservatoire of Scotland in Glasgow aus dem Vereinigten Königreich und die Gastgeberschule – die deutschsprachige Schauspielabteilung der Musik- und Theaterfakultät an der West-Universität Temeswar, Rumänien. Jeden Abend stellten sie eigene Produktionen vor, aber nahmen auch an fachorientierten Workshops, Debatten, Artist-Talks und Vorträgen sowie einer gemeinsamen Performance teil. „Hauptziel des Events war es, einen authentischen kulturellen Dialog zwischen den teilnehmenden europäischen Theaterschulen zu schaffen. Es bot gleichzeitig auch einen Treffpunkt für Studenten, Theaterlehrer, Fachleute aus der darstellenden Kunst, Kritiker, Theaterintendanten, etablierte Schauspieler und Regisseure an. Es ist ein Konzept für eine längere Zeit“, sagt Florin Vidamski, rumänischer Schauspiel-Dozent mit Lehraufträgen sowohl in Passau,  als auch in Temeswar. Die westrumänische Stadt sei, seiner Meinung nach, aufgrund ihrer multikulturellen Geschichte, der ideale Ort für regelmäßige Treffen  europäischer Schauspielschulen: „Hier gibt es seit tausend Jahren verschiedene Minderheiten: Deutsche, Serben, Ungarn, Bulgaren und viele andere. Es ist ein Modell zum Dialog und zur Vernetzung auf der Ebene der Kultur“, so Florin Vidamski, der gleichzeitig auch Kurator des Festivals Mitte November war. 

Das internationale Treffen setzte jedoch nicht nur auf Netzwerkbildung, sondern auch auf Wachstum und Entwicklung. Somit haben Künstlerpersönlichkeiten Vorträge und Workshops zu transdisziplinären Themen gehalten. László Zsolt Bordos trug zum Thema „Light Drawn Spaces: Multimedia in der darstellenden Kunst – 3D-Mapping – Architekturvideo“ vor; der Bühnenbildner Adrian Damian sprach über „Body. Space. Time: Szenografische Räume in der darstellenden Kunst, Multimedia-Installationen und die Nutzung neuer Technologien als künstlerische Ausdrucksform“, der polnische Musiker Dominik Strycharski erzählte unter dem Titel „Music Has No Limits“ sein mehrdimensionales Soloprojekt, das zeitgenössische Musik mit Performance und Elektro-Ambient zusammenbringt, wobei Sergiu Matiș (aus Deutschland) den Workshop „The Visible Thinking Body. Navigationsinstrumente für Bewegung, Improvisation, Komposition und Choreographie“ leitete. 

Zu verschiedenen aktuellen Themen aus der Theaterwelt wurden auch Debatten organisiert. Am letzten Tag der Eventreihe z. B. fand die Diskussion „Ästhetische Forschung in Theaterschulen. Der Schauspieler in ständiger Weiterentwicklung“  mit dem Intendanten des Deutschen Staatstheaters Temeswar, Lucian Vărșăndan, und Arno Kleinofen, Regisseur und Dramaturg aus Deutschland, statt. 

„Network“ vernetzte aber nicht nur europäische Theaterschulen und Akademien, sondern bot eine gute Gelegenheit für rumänische deutschsprachige Schüler und Schülerinnen, den Puls des Studentenlebens in Temeswar zu fühlen und einen Einblick in die Theaterwelt zu bekommen. Während des Festivals wurde somit eine viertägige Herbstschauspielschule für theaterbegeisterte deutschsprachige Schüler ausgetragen. 14 Schüler und Schülerinnen aus drei rumänischen Städten nahmen an intensiven Workshops zu Schauspiel, Bühnenbewegung, Improvisation, Dramaturgie, kreativem Schreiben und an Vorträgen und Aufführungen des Festivals teil. Weitere Schüler aus sechs rumänischen Lyzeen waren Protagonisten von szenischen Lesungen in der Zentralen Universitätsbibliothek „Eugen Tordoran“ in Temeswar, wo sie an jedem Tag des Festivals Leseaufführungen in rumänischer, englischer und deutscher Sprache zu Texten von Autoren aus den teilnehmenden Ländern der Schauspielschulen darboten.

Vernetzung und Wachstum wurden bei „Network – Theater Schools in Europe“ großgeschrieben, sodass nach wenigen Tagen Zusammenarbeit am Ende eine gemeinsame performative Installation entstand. Die deutschsprachigen Studierenden aus Temeswar und Schauspielstudenten der Royal Conservatoire of Scotland in Glasgow bildeten die „Human Installation“ nach einem Konzept von Diana Katharina. Die Performance wurde zum Abschluss des Festivals vorgestellt. 


Gastgeber von „Network – Theatre Schools in Europe“ war die deutschsprachige Schauspielabteilung der Fakultät für Musik und Theater an der West-Universität in Temeswar. Das Festival wurde in Zusammenarbeit mit der „Artmedia“-Stiftung organisiert und ist Teil des Projekts „Sunlight Theatre. Performative Dialogues“, das vom Projektezentrum der Stadt über das Förderprogramm „European Echoes Timișoara 2023“ finanziert wird.