Von der Kraft unserer Hände

Es passiert eher selten, dass ich beim Bibellesen schmunzeln muss, doch das Losungswort für den Sonntag zauberte problemlos ein breites Grinsen auf mein Gesicht. Der Grund hierfür: Das Losungswort scheint genau für mich geschrieben zu sein. Ein Spruch, wie er auf einem alten, gestickten sächsischen Wandbehang stehen könnte: „Alles, was dir vor die Hände kommt, es zu tun mit deiner Kraft, das tu;“ (Prediger 9,10) Nicht die Aufforderung an sich bescherte mir den erbaulichen Augenblick, sondern mein schlechtes Gewissen, welches einen unerhofften Verbündeten gefunden hatte.

Es kommt schon vor, dass ich Sachen hinauszögere oder verschiebe und dabei still hoffe, dass sie sich von alleine erledigen: Den unbequemen Gang zum Amt, das Schreiben des längst überfälligen Briefes oder das Telefonat, welches ich bereits seit Tagen verschiebe. Mein schlechtes Gewissen beruhigte ich aber sofort mit dem Gedanken, dass es wahrscheinlich den meisten Menschen so wie mir geht, dass jeder irgendwann in die Lage kommt, etwas aufzuschieben, und dass der Spruch doch nur die menschliche Natur im Allgemeinen anspricht. Und eigentlich finde ich, dass diese Aufforderung in riesigen Buchstaben über den Toren unserer Stadt und unseres Landes stehen sollte.
Das Bibelwort geht aber weiter: „...denn bei den Toten, zu denen du fährst, gibt es weder Tun noch Denken, weder Erkenntnis noch Weisheit.“

Hier also die Perspektive zur Aufforderung: Mein Tun soll ich nicht an meinem konkreten, irdischen Kontext messen, an meiner Lust etwa oder der Dringlichkeit der Handlung, sondern im Horizont der Ewigkeit. Hier, im Diesseits, soll ich mich an den Früchten meiner Arbeit freuen und an der Arbeit an sich, an der Tatsache, dass meine Kraft reicht, gewisse Arbeiten zu verrichten, dass ich selbstständig bin und kreativ tätig sein kann. Denn – so die Logik des Bibelwortes – Arbeit kann zum Nachdenken führen, das Denken zur Erkenntnis und die Erkenntnis zur Weisheit. Und wenn die Kraft versiegt und uns die Hände nicht mehr gehorchen, so bleibt uns immer noch das Herz. Und die Arbeit des Herzens, glauben, hoffen und vor allem lieben, nimmt nie ein Ende.