Von Seelenmassage und Seelenheil

Pfarrer Jürgen Henkel hat ein wichtiges Buch zur orthodoxen Seelsorge auf Deutsch übersetzt: Es geht um Sünde, Beichte und Kommunion

Pfarrer Jürgen Henkel mit dem Original und der von ihm angefertigten deutschsprachigen Übersetzung des Bandes. Foto: privat

Metropolit Andrei von Klausenburg, der Maramuresch und Sălaj: „Beichte und Kommunion. Seelsorge und Lebensbegleitung durch Geistliche Väter in der orthodoxen Glaubenspraxis“. Aus dem Rumänischen übersetzt von Jürgen Henkel. Bonn/Hermanstadt: Schiller Verlag 2020, 222 S., geb., ISBN 978-3-946954-67-5, 99 Lei/24,90 Euro

Viele rumänische Theologen bringen den Namen des evangelisch-lutherischen Pfarrers Jürgen Henkel aus Bayern mit dem des großen rumänischen orthodoxen Theologen Dumitru Stăniloae (1903-1993) in Verbindung. Henkels Doktorarbeit „Eros und Ethos – Mensch, gottesdienstliche Gemeinschaft und Nation als Adressaten theologischer Ethik bei Dumitru Stăniloae“ gilt seit ihrer Veröffentlichung 2003 als eines der internationalen Standardwerke über den rumänischen Theologen und Dogmatiker. Von 2003 bis 2008 leitete Henkel die Evangelische Akademie Siebenbürgen/EAS in Hermannstadt und betreute die evangelischen Gemeinden in Seiden und auf der Kleinen Kokel.

2017 veröffentlichte der Pfarrer, der seit 2008 in Selb in Oberfranken eine Kirchengemeinde betreut, dann ein weiteres Werk mit 560 Seiten Umfang im Freiburger Herder Verlag als erste umfassende Einführung in Stăniloaes gesamte Theologie („Dumitru Stăniloae – Leben, Werk, Theologie“). Seit seiner Doktorarbeit hat der produktive Theologe als Autor oder Herausgeber viele weitere wissenschaftliche Studien, Bücher oder auch Sammelbände publiziert. 2017 hat ihn die Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg als Würdigung seines Beitrags zum internationalen ökumenischen Dialog zum „Professor honoris causa“ ernannt.

Für die von ihm initiierte Buchreihe „Deutsch-Rumänische Theologische Bibliothek/DRThB“ hat er jüngst den Band „Spovedanie și comuniune“ („Beichte und Kommunion“) des rumänischen orthodoxen Erzbischofs und Metropoliten Andrei von Klausenburg, der Maramuresch und Sălaj ins Deutsche übersetzt. Diese 1998 veröffentlichte, 248 Seiten zählende wissenschaftliche Studie zählt als eines der wichtigsten Werke der orthodoxen Theologie aus Rumänien seit 1989. Im Interview äußert sich Pfarrer Henkel zu dem neuen Buch aus seiner Reihe, die Fragen stellte der Kulturreferent der Rumänischen Orthodoxen Metropolie von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa, Priestermönch Ioan Popoiu (Nürnberg).


Worum geht es in dem jetzt auf Deutsch vorliegenden Buch „Spovedanie și Comuniune“ denn genau?

Es geht darin um die orthodoxe Theologie der Sünde und das Sakrament der Beichte, um die Kommunion, also die Gemeinschaft mit Gott und den anderen Gläubigen beim Heiligen Abendmahl, vor allem aber um die besondere Rolle des Priesters als „Geistlicher Vater“ in der orthodoxen Seelsorge. Für die deutsche Leserschaft haben wir den Titel erweitert: „Beichte und Kommunion. Seelsorge und Lebensbegleitung durch Geistliche Väter in der orthodoxen Glaubenspraxis“.

Wie kamen Sie auf die Idee, dieses Buch von Metropolit Andrei zu übersetzen?

Metropolit Andrei hat mir schon 1998 dieses Buch geschenkt. Ich habe es gelesen und war fasziniert. In einer Zeit der geistlichen Orientierungslosigkeit vieler Menschen haben wir hier einen konsequenten Entwurf vor uns, der Seelsorge, Lebensbegleitung und geistliches Leben mit dem priesterlichen Handeln des Geistlichen eng verbindet. Es ist ein orthodoxer Gegenentwurf zum Individualismus und der als Emanzipation von Gott falsch verstandenen Autonomie des Menschen. Beides prägt so viele philosophische und geistige Strömungen des Westens seit Jahrhunderten. Seit meiner Lektüre habe ich mir vorgenommen, dieses Buch auf Deutsch zu übersetzen und zu veröffentlichen.

Eines der Kapitel aus dem Buch von Metropolit Andrei behandelt das Sakrament der Beichte sowohl theologisch, als auch aus therapeutischer Sicht. Glauben Sie, dass das orthodoxe Sakrament der Beichte und die evangelische Seelsorge vergleichbar sind oder sich ergänzen?  

Manche Theologen der Reformationszeit wollten die Beichte als Sakrament beibehalten, andere nicht. Auch in evangelischen Kirchen gab es lange Zeit noch Beichtstühle. Unabhängig davon gibt es die Beichte auch in der evangelischen Frömmigkeit bis heute. Die Theologie der Aufklärung und des Rationalismus und auch der Kulturprotestantismus konnten als zentrale protestantische Strömungen mit der Einzelbeichte wenig anfangen. Theologen wie Wilhelm Löhe aus Neuendettelsau haben die Beichte jedoch hochgehalten.

Auch die evangelische „Seelsorge“ versteht sich als Lebensbegleitung. Es gibt allerdings oft sehr verweltlichte Konzepte, die sich mehr an den Humanwissenschaften orientieren als an der Theologie oder der Bibel. Aber es reicht nicht, wenn die Menschen nur in ihrem alltäglichen Leben im Diesseits gestärkt und bestätigt werden sollen, wenn also nur „Seelenmassage“ betrieben wird. Denn das können auch Psychotherapeuten, Psychiater und Lebensberater. Wichtig ist bei der christlichen Seelsorge immer der Blick auf das Seelenheil, auf die ewige Erlösung des Menschen. Christliche Seelsorge darf sich nie darauf beschränken, nur Beratung für ein gelingendes und sozialverträgliches Leben im Diesseits zu bieten. Sie hat die Menschen zu Gott zu führen.

Welches Verständnis der Sünde gibt es in diesem Werk?

Metropolit Andrei bietet eine klare orthodoxe Position, zugleich aber eine sehr menschenfreundliche und lebensnahe Interpretation ohne erhobenen Zeigefinger. Er beschränkt sich dabei nicht auf eine oberflächliche zivile, säkulare Moral. Besonders der therapeutische Gedanke, dass die Sünde nicht als einzelne Tatsünde betrachtet wird, sondern als seelische Erkrankung, ist ganz im Sinne Jesu, der sich selbst als Arzt bezeichnet. Sünde wird als Haltung des Egoismus, der Entfremdung von Gott und der Gottferne des Menschen verstanden. Es geht hier aber nie um eine Verurteilung des Sünders, sondern immer darum, dass der Seelsorger den Gläubigen hilft, zu Gott umzukehren und im Leben bei Gott zu bleiben. Das bedeutet, ein „Leben in Christus“ zu führen.

Wie sind Sie in Kontakt getreten mit der orthodoxen Theologie?

Ich habe in Erlangen Theologie und Geschichte des Christlichen Ostens bei Professor Karl Christian Felmy studiert. Meine Erstberührung mit der Orthodoxie waren Besuche in Klöstern und die Teilnahme an orthodoxen Gottesdiensten in Deutschland. Ich habe mich dann sehr bewusst entschlossen, von 1993 bis 1995 am Protestantischen Institut in Hermannstadt zu studieren, auch um die Orthodoxie in Rumänien authentisch vor Ort zu erleben. Hier hat mich Professor Hermann Pitters an die Theologie von Dumitru Stăniloae herangeführt. Mich haben die rumänischen Klöster fasziniert, die wunderbar feierlichen Gottesdienste und auch der starke Akzent, den die orthodoxe Theologie immer auf die Heilige Trinität und eine feierliche Liturgie als Gesamtkunstwerk legt.

Und es hat mich zutiefst beeindruckt und auch geprägt, wie strikt theologisch die orthodoxe Theologie argumentiert. Im Westen sind heute oft philosophische, philologische, soziologische, empirische und psychologische und oft sogar politische Kriterien maßgeblich für die Theologie. In der Orthodoxie hingegen ist die Perspektive auf Schöpfung und Welt, den Menschen und das Leben und alle Lebensbezüge immer eine konsequent geistlich-theologische. Das ist absolut ganzheitlich. Das überzeugt und fasziniert mich gleichermaßen.

Wie schaffen Sie es, neben Ihrem Gemeindedienst als Pfarrer theologisch so produktiv zu sein?

Die Arbeit an Büchern ist für mich fast schon Erholung. Ich lese und schreibe einfach viel, auch im Urlaub. Nirgendwo kommt man Gott so nahe wie im Gebet und in der Beschäftigung mit der Theologie. Ich genieße es, mich mit Theologie zu beschäftigen, denn genau dafür habe ich Theologie studiert. Und genau das kommt in einem Pfarramt in Deutschland oft zu kurz. Man ist Amtsleiter einer Pfarrverwaltung, Bauherr, Personalchef und Betriebswirt. Die theologische Arbeit muss oft dahinter zurückstecken.

Was sind Ihre Buchprojekte für die nächste Zeit?

Konkret plane ich derzeit mit Professor Daniel Buda, dem Dekan der Orthodoxen Fakultät von Hermannstadt, ein großes deutschsprachiges Handbuch zur Rumänischen Orthodoxen Kirche mit rund 100 Artikeln von über 80 Autoren aus Rumänien, Deutschland, Österreich, der Schweiz und England. Das wird ein Buch mit mindestens 1200 Seiten. Es soll 2023 erscheinen.

Persönlich veröffentliche ich demnächst einen Stadtführer zu Schäßburg. Außerdem planen wir für 2021 einen Band über das kirchliche Leben im Banat. Das wird eine ökumenische Kirchengeschichte des Banats.

Vielen Dank für das interesante Gespräch.