Wärmstens (nicht) empfohlen

Bevor ein Bürger Rumäniens am Sonntag zum Wahllokal geht, um seine Stimme für die Kandidaten irgendeiner Partei abzugeben, sollte er unbedingt einen Blick in das jüngste Buch von Valeriu Nicolae geworfen haben. Betitelt ist es „Nu tot ei!“ / eingedeutscht: „Nicht wieder die!“, geschrieben mit roten Lettern, und mit dem Untertitel (schwarz gedruckt) „România în ghearele imposturii“/„Rumänien in den Krallen des Betrügertums“.

Es ist das Resultat der Auswertung von 108 Biografien rumänischer Parlamentarier und Spitzenpolitiker – etwa der Vizepremierin Raluca Turcan, des Ex-Regierungschefs Mihai Tudose, des Ex-Umweltministers und gegenwärtigen Kreisratschefs von Jassy, Costel Alexe, des Innenministers (Ion) Marcel Vela, des Ex-Finanzministers Orlando Teodorovici, der Transportminister Răzvan Cuc und Lucian Bode, der Craiovaer Bürgermeisterin und Ex-PRM- und PSD-Abgeordneten Lia Olguța Vasilescu und vieler anderer, die man als gutgläubiger Wähler lieber nicht kennen sollte. Angehängt sind die Meinungen von 23 Politkommentatoren zum Unterfangen; die Einleitung macht Gabriel Liiceanu, als Moralphilosoph.

Der 1970 im Roma-Viertel von Karansebesch geborene Valeriu C. Nicolae, aufgewachsen in Craiova und Karansebesch, sagt mit Stolz, er sei „un țigan“ (NICHT „un rrom!“). Er ist als Journalist (u. a. mit ständiger Rubrik in Andrei Pleșus „Dilema veche“) und Menschenrechtler tätig, hat für die UNO und für die EU (in enger Zusammenarbeit mit Frans Timmermans) gearbeitet, war Staatssekretär in der Cioloș-Regierung und betreibt ein humanitäres Projekt im verrufenen Bukarester Slum Ferentari. Er schreibt: „Jetzt, da ich nahezu alle Biografien durchgesehen habe, bin ich sicher, dass mindestens 60 Prozent der Parlamentarier Betrüger sind und mindestens 75 Prozent unter ihnen erpresst werden können – und das ist etwas Haarsträubendes für jede Demokratie. Sie stoßen auf Menschen in höchsten Funktionen, die zeitgleich zu ihren Funktionen fünf, sechs oder sieben Universitäten und Akademien besucht haben, die ihre Reifeprüfung mit 30 bestanden, aber jetzt Doktoren diverser Bereiche sind.“ 

Auf das Thema der betrügerischen politischen Klasse sei er „durch Zufall“ gestoßen, behauptet er, und weil auch die Neuen von der USR das Thema nicht vertiefen wollten (Betrügertum wecke in der Öffentlichkeit kein besonderes Interesse, wurde sein Vorschlag abgewunken), schrieb er ab Juli dieses Buch, für dessen Manuskript der Philosoph und Verleger Gabriel Liiceanu Interesse gezeigt und das er vor Kurzem bei „Humanitas“ herausgebracht hat.

Wäre der Begriff „Bestiarium“ nicht seit dem frühesten Mittelalter besetzt – der Charakterspiegel passte auf das Buch des hochintelligenten, scharfsinnigen und sozial engagierten Valeriu Nicolae. Denn das Zusammenführen getürkter oder mit Kaschier-Absicht unvollständig gelassener Biografien schafft ein furchtbares, ein erschütterndes Bild der rumänischen politischen Klasse: Halbgebildete, Schmarotzer, Betrüger, Diebe und Skrupellose, Frechdachse, Täuscher der öffentlichen Meinung, Raffer illegal angeeigneter öffentlicher Gelder – Menschen ohne jede intellektuelle Qualifizierung, aber mit Unmengen von Diplomen und akademischen Titeln, zu allem fähig, um nur nicht zurückkehren zu müssen dorthin, von wo sie loszogen, die in ihrem Umfeld nur Leute dulden, die unter ihren Qualifizierungsniveau liegen. Sie halten ihre eigene Inkompetenz und Niedertracht für das Natürlichste und Moralischste der Welt. Sie tun nichts für andere, alles nur für sich und „die Ihren“. Sie haben weder ein Bewusstsein, noch Gewissensbisse oder gar eine altmodische Scham – solcherlei Wesen bilden dieses „Neo-Bestiarium“ des Valeriu Ciolan Nicolae, das er aus den Biografie-Realien der amtierenden Parlamentarier kommentierend ausgesondert hat.

Nahezu alle unter ihnen wollen Sonntag wiedergewählt werden.