Waffenbrüder damals und jetzt

Rumänien und Deutschland erinnern

Das Zentrum von Stalingrad nach der Befreiung von der deutschen Besatzung
Foto: Novosti Archiv

Der kriegsgefangene Generalfeldmarschall Friedrich Paulus (l.), bisher Oberbefehlshaber der 6. Armee in Stalingrad, trifft am 31. Januar 1943 mit seinem Stabschef, Generalleutnant Arthur Schmidt (m.), und seinen Adjutanten, Oberst Wilhelm Adam, beim Stab der sowjetischen 64. Armee in Beketowka ein.
Foto: Vermutlich Georgi Lipskerow/Deutsches Bundearchiv

Nein, wir können es nicht vergessen, Namen, die zum Mythos wurden, die sich in die Gedächtnishaut der Nationen eingebrannt haben, die für abgründiges Grauen, Vernichtung und Vergeblichkeit stehen, für Scham und Verzweiflung: Stalingrad. 

Dieser Name im fernen Russland kommt immer wieder auf uns, auf Deutsche wie auf Rumänen, verbrüdert uns mit Schrecken. „Armata a 3-a Română“, so hieß die 3. Armee des Königreichs Rumänien, die vor Stalingrad verblutete, verlassen, erfroren, erschossen und aufgegangen in Schneekristallen. So auch die Soldaten von Paulus` 6. Armee, beide verbrüdert durch die Ideologie des Herrenmenschen, des Übermenschen, welche sich das Recht anmaßte, zu erobern, zu vernichten und zu versklaven. 27 Millionen Menschen der Völker der einstigen Sowjetunion wurden ausgelöscht im Zweiten Weltkrieg, welchen die russische Führung mit dem Begriff vom „Großen Vaterländischen Krieg“ ins nationale Bewusstsein eingemeißelt hat.

Bereits 1916 wurde die 3. Armee Rumäniens aufgestellt; sie kämpfte auf Seiten der Entente gegen die Mittelmächte, zunächst gegen Bulgarien, wenig erfolgreich, nach Verlust der Dobrudscha wurde sie aufgelöst und im September 1939 erneut aufgestellt und gegen die Sowjetunion ins Feld geführt, nachdem Rumänien dieser noch im Juni 1941 den Krieg erklärt hatte, um zusammen mit der Wehrmacht am „Unternehmen Barbarossa“ mitzuwirken. Die 3. Armee wirkte an den Kämpfen auf der Krim, vor allem an der Eroberung Sewastopols („Unternehmen Störfang“) mit und wurde später nach Stalingrad verlegt, an den Don-Bogen: 138 Kilometer sollten gehalten werden, aussichtslos. Von 18 Divisionen wurden 16 der Armee unter dem Kommando von Generalleutnant Petre Dimitrescu bis Februar 1943 vernichtet.
Stalingrad – die Wende des Kriegs durch den Untergang der 6. Wehrmachtsarmee verbindet die Gedächtnisse von Deutschland und Rumänien heute noch. Warum ließen sich Soldaten gegen Recht und Gesetz von den Verbrechern Hitler und Antonescu antreiben, zu vernichten und vernichtet zu werden? Und: Was sagen die Heutigen in beiden Staaten dazu, verschweigen und verbrämen sie? Und wie blicken wir ins Offene Land am Don, am Pruth, an den Flüssen, die keiner mehr kennt? Vom staatlichen Erinnern in Rumänien an Stalingrad ist (mir) nichts bekannt. In Paris heißt eine Metrostation Stalingrad, in Italien Straßen, in Limburg an der Lahn findet sich inmitten des Hauptfriedhofs ein Denkmal, das an alle Toten von Stalingrad erinnern soll (jedoch in Berlin ist Stalingrad kein Denkmal-Thema), in Österreich wird jedes Jahr in Gedenkgottesdiensten an dieses weiße Grauen erinnert, wie anmutig. Und in Rumänien, das immer auf dem Weg ist, sich selbst zu finden? Dieses Land voller Zauber und Hoffnungen kommt politisch nicht zur Ruhe, obwohl es nun fest verankert ist in internationalen Strukturen, so in die Europäische Union, die EU, und vor allem in die NATO. Rumänien bringt sich ein oder lässt sich mitziehen von der politischen Drift, die andere entfachen. 

Wie war es in Afghanistan von 2001 bis 2021? Rumänien war dabei, als die NATO-Truppen dort einmarschierten. Die US-Administration hatte festgestellt: Die Flugzeuge der saudi-arabischen Terroristen mit Wohnsitz in Hamburg, welche die Twin Towers des World Trade Zentrums in New York zerstörten, waren ein „Angriff auf die USA“, kein Attentat, das man durch aufmerksame Sicherheitsdienste hätte verhindern können, sondern der Tod von 3000 Menschen und der Untergang eines nationalen Symbols sollten nach Artikel 5 ein „bewaffneter Angriff“ auf einen Mitgliedsstaat der NATO gewesen sein. Die Erschütterung weltweit war groß. Der ehemalige Bundeskanzler Schröder rief im Deutschen Bundestag aus „Wir sind alle Amerikaner“, bekannte aber 2021 in „Der Spiegel“, dass er sich der Lesart von Artikel 5 des NATO-Vertrages durch die US-Regierung außenpolitisch nicht verweigern durfte/konnte, denn die Bundesrepublik Deutschland hatte sich bereits geweigert, beim US-Feldzug gegen Saddam Hussein mitzuwirken, ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. 

Und was machte die Regierung Rumäniens in Analyse des NATO-Vertrages? Sie zog mit. Mit Deutschland, das sich doch so auf Recht und Gesetzlichkeit bezieht. Und so zogen die einstigen Waffenbrüder gemeinsam in den „Krieg gegen Terror“, gegen den Terrorismus, der zu einem kombattanten Gegner erklärt und so völkerrechtlich aufgewertet wurde. Wie fatal. Und dann wurden 20 Jahre lang andere Begründungen nachgeschoben, so auch der anmaßende Begriff „Nation Building“, der sich ja im Kern auf die Kulturträgerideologie der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts stützte. 

Der Beschluss der NATO-Staaten zur Inkraftsetzung von Artikel 5 beweist einmal die aus dem römischen Recht stammende Erkenntnis „Summum jus summa iniuria“ („höchstes Recht größtes Unrecht“). Auch Unrecht wirkt nach. Auch zwischen Freunden.