Warum sind fast alle gegangen?

Vortrag in Düsseldorf über die Aussiedlung der Deutschen aus Rumänien

Unter der Überschrift „Zwischen Anpassung und Ausreisewunsch - Deutschstämmige im kommunistischen Rumänien“ veranstaltete die Kreisgruppe Düsseldorf Ende Oktober d. J. einen Vortragsnachmittag mit Diskussion im Gerhart- Hauptmann-Haus. Zahlreiche interessierte Siebenbürger und Nichtsiebenbürger fanden sich ein. Als Hauptvortragender konnte Dr. Paul Christian Bagiu, studierter Betriebswissenschaftler und Historiker und Autor des Buches „Geheimsache Kanal“, das auf seiner Promotionsarbeit fußt, gewonnen werden.
 
Begrüßung und Einführung in das Thema wurden durch den Unterzeichner als Kreisgruppenvorsitzender vorgenommen. Die Einführung startete mit der ersten Strophe des Siebenbürgerliedes, „Siebenbürgen, Land des Segens…“, die impulsartig die Frage aufwirft, aus welchen Gründen man ein solches Land verlässt? Auf diese und etliche weitere Fragen sollten die Vorträge und die Diskussion Antworten geben. Die kommunistische Diktatur ab 1945 war zweifelsohne ausschlaggebend für den Exodus der deutschen Minderheit aus Rumänien. Allerdings gab es auch vor 1945 historische Ereignisse, die zu einer Distanzierung der deutschen Minderheit zum Staat führten. Dazu sind zu nennen der Österreich-Ungarische Ausgleich von 1867, die Aufhebung der Selbstverwaltungsgebiete der Siebenbürger Sachsen 1876, starker Magyarisierungsdruck ab 1879, der Anschluss Siebenbürgens an Rumänien 1918 und Nichteinhaltung der im Vorfeld gemachten Zusagen, Gründung der Deutschen Volksgruppe, Teilnahme am Zweiten Weltkrieg auf Deutschlands Seite, kommunistische Machtübernahme 1945, Deportation zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion 1945, Enteignung im Zuge der Agrarreform 1945, vorübergehende Entrechtung in den vierziger und Anfang fünfziger Jahren, Unterdrückung durch Freiheitsberaubung und Überwachung, Verschlechterung der Lebensbedingungen, zunehmende Infos über das „Wunderland Deutschland“. Als Folgewirkung der genannten und weiteren Faktoren lösten sich die seit Jahrhunderten bestehenden Gemeinschaften der deutschen Minderheiten in Rumänien innerhalb von 45 Jahren auf. Dies geschah nicht durch Vertreibung, sondern durch Aussiedlung und somit freiwillige Aufgabe der Heimat.

Das gewohnte Umfeld löste sich mit zunehmender Migration auf

Dr. Paul Bagiu vertiefte in seinem Vortrag die vorgenannten Aspekte und fügte weitere hinzu. Durch die Kriegswirren lebten am Ende des Zweiten Weltkrieges rund 150.000 Rumäniendeutsche im Ausland. Daraus ergab sich der brennende Wunsch nach Familienzusammenführung. In den Jahren nach dem Krieg bis 1989 sahen immer mehr Rumäniendeutsche aufgrund der herrschenden Verhältnisse in ihrer Heimat keine Zukunft mehr. Mit zunehmender Migration verstärkte sich auch der Druck zur Ausreise für die Zurückgebliebenen: das gewohnte Umfeld löste sich auf, das Gefühl der Einsamkeit beschlich die Verbliebenen, die sich nun ihrerseits um die Ausreise bemühten. Während der Ausreisewunsch immer mehr Rumäniendeutsche umfasste, sah sich das System gezwungen, zu handeln. Durch Aufklärungsarbeit sollten die Angehörigen der Deutschen Minderheit überzeugt werden, im „Paradies der Werktätigen“ zu bleiben. Um den Effekt der Aufklärungsarbeit zu steigern, wurden Minderheitenorganisationen und Vertreter der neuen deutschen Elite eingebunden. Die Aufklärungsarbeit wurde zum Teil auch von tiefgreifenden Maßnahmen, wie die Entlassung aus dem Dienst und weitere Benachteiligungen, begleitet. Dazu kamen vorübergehend die gesetzlich geregelte Bezahlung von Gebühren als Entschädigung für Berufsausbildung und Hochschulstudium sowie die Enteignung des zurückgelassenen Eigentums. Neben der offiziellen (damals geheimen) Zahlung einer Kopfpauschale Deutschlands an den rumänischen Staat für jeden Aussiedler etablierten sich im Laufe der Zeit auch Schwarzzahlungen an Beauftragte des Geheimdienstes. 

Die Rolle der Evangelischen Kirche in Rumänien

Trotz der wachsenden Aussiedlungsbereitschaft der deutschen Minderheit gab es auch Einzelpersonen oder von Rumäniendeutschen dominierte Organisationen, die in der Aussiedlung die Zerstörung des Deutschtums in Rumänien erkannten. Hierbei tat sich besonders die Evangelische Kirche in Rumänien (EKR) hervor, die an der Aufrechterhaltung der deutschen Lebensgrundlagen in Rumänien interessiert war. Deshalb war die EKR bestrebt, insbesondere die Ausreise deutschstämmiger Intellektueller, speziell von Pfarrern und Lehrern, zu mindern, da diese als Integrationsfiguren galten. So vereinbarte die EKR mit der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) ein Beschäftigungsverbot für die in die Bundesrepublik ausgereisten Pfarrer. EKR und EKD behaupteten noch Ende der 80er Jahre, dass für deutsche Christen ein normales Leben in Rumänien möglich sei. Damit war die EKR aus Sicht der Betroffenen eine weitere, moralischen Druck ausübende Instanz, neben den staatlich-rumänischen Instanzen. Die Haltung der EKR wurde vielerorts kritisiert. Die Vorteile der EKR im kommunistischen Rumänien, teilweise staatliche Entlohnung der Pfarrer und Angestellten, Verwendung der deutschen Sprache als Liturgiesprache, Finanzierung des Theologischen Instituts etc., waren mit einer Loyalitätspflicht der Kirche gegenüber dem kommunistischen Staat verbunden. Ihr Verhalten begründete die Kirchenführung nach der Wende auf unterschiedliche Weise. Vornehmlich ging es der EKR laut Bischof a.D. Dr. Christoph Klein darum, „die ihr anvertrauten Gläubigen heil an Leib und Seele durch die Zeit von Willkür und Gottlosigkeit zu geleiten“. Die Aufklärungsarbeit scheiterte schon deshalb, weil sie mit keiner Problemlösung verbunden war. Nicht nur Organisationen, sondern auch einzelne Rumäniendeutsche arbeiteten mit Sicherheitsorganen im kommunistischen Rumänien, wie Securitate und Miliz, zusammen. 

Deutsche Zeitungen – Selbstdarstellung trotz Zensur

Die Herausgabe deutschsprachiger Zeitungen zählte zu den Minderheitenrechten. Allerdings bestand die Hauptaufgabe dieser Zeitungen darin, die politischen, sozialen und ökonomischen Vorstellungen der Regierenden an ihre Leserschaft zu vermitteln. Dass etliche der „Lobeshymnen“ in den Zeitungen nicht unterschrieben oder unter Pseu-donym gedruckt waren, kann als Zeichen des innerlichen Widerstandes gegen die abverlangte Tätigkeit interpretiert werden. Es kann aber auch als Angst, in Verruf bei der eigenen Leserschaft zu geraten, gesehen werden. Dennoch boten die Zeitungen für die Rumäniendeutschen trotz Zensur die Möglichkeit der Selbstdarstellung. Die „Rumäniendeutsche Literatur“ wurde begrifflich zur Abgrenzung von der „Heimatliteratur“ der Siebenbürger Sachsen und Schwaben eingeführt. Die Hoffnung einer Gruppe junger deutscher Autoren Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre über die Verwendung und Verbreitung dieses Begriffes eine kulturelle Öffnung anzustoßen, erfüllte sich nicht. Dr. Bagiu beendete seinen Vortrag unter tosendem Applaus.

Freiherr Peter von Kapri, österreichischer Adeliger aus der Bukowina, nach Abitur in Bukarest 20-jährig 1964 in die Bundesrepublik ausgesiedelt, stellt fest, dass er während seiner Rumänienzeit nicht anders behandelt wurde als seine rumänischen Spiel- und Schulkameraden auch. Dagegen lag für Hans Tschaki, Siebenbürger Sachse mit absolviertem Elektronikstudium in Bukarest, in den 70er und 80er Jahren der Hauptgrund für die Aussiedlung in der eingeschränkten Freiheit.

Schlechte Bedingungen, fehlende Perspektiven

Nach einer Pause mit Imbiss und angeregten Einzelgesprächen folgte eine intensive Diskussion unter reger Beteiligung. Wie auch die Vorträge, führte die Diskussion zu keiner einheitlichen Meinung zum Thema. Festzuhalten ist, dass der Hauptgrund des Massenexodus der deutschen Minderheit aus Rumänien in der extremen Verschlechterung der Lebensbedingungen und den fehlenden Perspektiven im kommunistischen Rumänien zu sehen ist. Dazu kommen weitere Einzelfaktoren.

Nach mehr als drei Stunden ging eine interessante Veranstaltung zu einem noch lange nicht ausdiskutierten Thema zu Ende.