„Was uns wichtig geworden ist!“

Abschlussgottesdienst des evangelisch-theologischen Studienjahres in Hermannstadt

Ende Juni schlagen die Turmglocken der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) traditionsgemäß in Tonhöhe und Rhythmus der Einladung zum Kronenfest. Groß und Klein sind seit jeher daran gewöhnt, wenn auch die zeitnah um den Tag der Apostel Petrus und Paulus veranstaltete Gemeinschaftsfeier zu Sommeranfang dreißig Jahre nach der Dezember-Revolution von 1989 und dem ab 1990 datierten Massen-Exodus der Siebenbürger Sachsen in die Bundesrepublik Deutschland nur noch an drei Ortschaften auf der Landkarte der EKR Station der alljährlichen Festordnung ist. Auch im christlichen und konfessionell überaus vielfältigen Rumänien erahnte zu Neujahr 2020 niemand, dass der standardisierte Ist-Zustand kein halbes Jahr später Welt und Geist auf eine noch nie dagewesene Bewährungsprobe in der Disziplin von Flexibilität und Anpassungsfähigkeit stellen würde. Man hatte sich in die Bequemlichkeit eingelullt, den Ist-Zustand am eigenen Zuhause stets selbst vorgeben zu können. Doch alt gewachsene und normierte Verhältnisse von Bestimmung und Erfüllung könnten sich zukünftig manch theokratisch starrem Zugriff entwinden und die Bereitschaft zum Sprechen über einen imaginären Rollentausch auf der Einbahnstraße zwischen Predigenden und Zuhörenden herausfordern.

Digital übermittelte Informationen zirkulieren rascher und weiter als linear bekannt gegebene Tatsachen oder Meinungen. Wer sich trotz beschleunigender Drehzahlen des wechselnden Ist-Zustandes relevant am öffentlichen Diskurs beteiligen möchte, darf die Begegnung mit technischen Raffinessen der Gegenwart nicht scheuen. Sie werden die Zukunft nachhaltig bestimmen. Die Corona-Krise erfordert es, sich selbst mitunter genau da auf neue Kommunikationsbahnen mitnehmen zu lassen, wo man es über Jahrzehnte hinweg nicht für nötig erachtet hat. Ereignisse wie das Kronenfest der EKR in der Kirchenburg von Frauendorf/Axente Sever bei Mediasch konnten diesmal nicht nach Maßgabe des langjährig erprobten Erfolgsrezeptes stattfinden. Kein Bursche, der bei sengender Sonne ohne Zuhilfenahme einer Leiter den glatt geschälten Baumstamm allein durch seine Körperkraft erklettert, um den Inhalt eines oben im Festkranz verstauten Beutels voller Süßigkeiten nach unten auszustreuen, und keine Kinder, die ihn rings um den Baustamm von der Festwiese aus anfeuern, da ihnen das Kronenfest in der Hosentasche und auf der Zunge am besten schmeckt.

Dennoch hat die evangelische Kirchengemeinde A.B. Mediasch am Sonntag, dem 28. Juni, das Frauendorfer Kronenfest gefeiert. Ohne Kinderschar und Festgemeinschaft, aber mit Fernsehgottesdienst in Eigenregie, der seither auf dem Facebook-Account „Evangelische Kirche Mediasch – Biserica Evang. Sf. Margareta“ nachverfolgt werden kann. Der Mitschnitt zeigt eine Andacht, ruft Fotos und Tonaufnahmen der Kronenfeste von 2011 bis 2019 ins Gedächtnis und wurde bereits mehr als 3200 Mal aufgerufen. So vielen Gästen zugleich hätte die Kirchenburg Frauendorf schwerlich Platz bieten können.

Verständlich ist, dass der neue Umstand des Abhaltens von Online-Gottesdiensten nicht allen Mitgliedern der Einzugsgesellschaft der EKR nach dem Mund reden kann. Doch „unsere Verlegenheiten sind Gottes Gelegenheiten“, wie Beate Heßler Montagabend, am 29. Juni, erfasste. Die Dortmunder Pfarrerin des Amts für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung (MÖWE) der Evangelischen Kirche von Westfalen kennt Siebenbürgen seit vielen Jahren und sprach zur Stunde des Abschlussgottesdienstes des akademisch-theologischen Jahres am Protestantisch-Theologischen Institut und dem Zentrum für Evangelische Theologie Ost (ZETO) Hermannstadt/Sibiu ein Grußwort in die Videokamera. Ivelina Kovanlashka, Mitarbeiterin des in Berlin ansässigen Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung e.V. Brot für die Welt, ist dem „Dr. Carl Wolff“-Verein der EKR seit längerer Zeit verbunden, besuchte den Abschlussgottesdienst gleichfalls virtuell und vertrat hierbei den Hauptförderer des Deutschen Intensiv-Sprachkurses, der seit 1995 am Departement für Geschichte, Kulturerbe und Protestantische Theologie der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt (ULBS) geboten wird und Jahr um Jahr bis zu 16 Studierenden aus Rumänien und dem weltweiten Ausland Abschlusszeugnisse des ´Zertifikates Deutsch´ der Mindeststufe B1 ausstellt.

Fünfzig Pfarrerinnen und Pfarrer, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der EKR, ehrenamtlich Tätige, Freunde aus dem In- und Ausland, Unterrichtende, Sprachkurs-Teilnehmende und Studierende der Theologie trafen einander auf der Plattform ZOOM. Weitere zehn Gäste schalteten den Livestream des ZETO-Facebook-Accounts ein. Bis auf wenige Minuten technischer Panne ließ die Direktübertragung des Abschlussgottesdienstes keine Wünsche offen. Prof. Dr. Stefan Tobler, Professor für Systematische Theologie am genannten Departement der Hermannstädter Universität „Lucian Blaga“, trat zur Eröffnung mit einer handgroßen Gartenschaufel ans Rednerpult: „Die Corona-Krise hat uns auf unser Zuhause zurückgebunden und die Globalisierung gestoppt. Wir leben ganz lokal und sozusagen erdverbunden!“

Lektorin Dr. Renate Klein, auf eigenen Wunsch bald aus dem Lehramt scheidende Dozentin für Altes Testament und Biblische Umwelt, und Hans Bruno Fröhlich, Stadtpfarrer der EKR in Schässburg/Sighișoara und Assistent für Praktische Theologie, führten durch den allerersten Abschlussgottesdienst des Protestantisch-Theologischen Instituts in virtuellem Raum. Den sprachlich vielfältigsten Punkt markierte das von den Absolventen des Deutschen Intensiv-Sprachkurses abwechselnd auf Russisch, Ukrainisch, Hindi, Portugiesisch und Rumänisch gesprochene Apostolische Glaubensbekenntnis. Die Klasse der Studierenden Protestantischer Theologie bestritt die Lesung einer Passage des 16. Kapitels aus dem Evangelium des Matthäus und hat bei zumindest einigen Gottesdienstbesuchern sicher den unmissverständlichen Eindruck erweckt, dass die Ausbildung der EKR in Sachen Sprecherziehung mittleres, nicht aber akademisches Niveau erfüllt. Ein möglichst akzentfreier statt heftig regional abfärbender deutscher Sprachakzent mag am Lesepult oder auf der Kanzel zwar nicht das Wichtigste sein, kann religiöse Botschaft jedoch kulturell beflügeln.

Reinhart Guib, Bischof der EKR, steuerte die Predigt bei und gab stellvertretend für die ihm unterstehende Kirche bestätigend zu Protokoll, dass „wir die Zeit der Krise nicht nur überstanden, sondern in ihr auch hinzugelernt haben (…) Gleich Petrus und Paulus sind wir alle heute zu Aposteln berufen. Und auch dazu berufen, mitzugehen: heute und hier und in der kommenden Zeit und Welt.“

Ein Ehrenplatz unter den Gästen des Abschlussgottesdienstes des akademisch-theologischen Jahres am Protestantisch-Theologischen Institut und ZETO Hermannstadt wurde Sekretärin Ramona Besoiu eingeräumt, die das Departement für Geschichte, Kulturerbe und Protestantische Theologie der ULBS seit langer Zeit in kompetenter Freundlichkeit begleitet und aufgrund ebendieser Eigenschaft vom neugewählten Rektor der ULBS, Sorin Radu, abgeworben und zu dessen persönlicher Referentin im Rektorat bestimmt wurde – eine zum Nachteil des Departements entschiedene Personalfrage, die Prof. Dr. Tobler als „kleinen Wermutstropfen“ in den Jahresbericht einschob.

Der seit 2003 in Hermannstadt tätige Theologe schweizerischer Herkunft und Co-Direktor des 2005 gegründeten Instituts für Ökumenische Forschung Hermannstadt (IÖFH) vermag es, der Corona-Krise ein wohlmeinendes Ausrufezeichen abzuringen, „weil wir damit nie vergessen, dass wir die Dinge nicht einfach in der Hand haben.“ Selbstredend, dass an vorderster Stelle seines Jahresberichts das Begegnungs- und Kulturzentrum „Friedrich Teutsch“ der EKR Erwähnung fand. Prof. Dr. Stefan Tobler zufolge sind auch die „Synergien“ und „der Dialog mit der orthodoxen Kultur“, die das Aufgabenfeld des ZETO in Hermannstadt nach außen hin abstecken, von großer Bedeutung. Ein gebührend wertschätzender Dank infolge des erfolgreich abgeschlossenen Hochschuljahres wurde den Lehrkräften Altbischof Prof. Dr. Dr. h. c. Christoph Klein, Dr. Renate Klein, Dr. Johannes Klein, Dr. Stefan Cosoroabă, Hans Bruno Fröhlich, Brita Falch Leutert und Jürg Leutert ausgesprochen. Im selben Atemzug ließ Prof. Dr. Tobler auch internationale Gastdozenten wie Dr. Ulrich Wien und Dr. Kai Brodersen sowie Religionspädagogin Gunda Wittich nicht unerwähnt.

Zwölf junge Menschen studieren derzeit in Hermannstadt evangelische Theologie. Für sie und ihre Kommilitonen des Deutschen Intensiv-Sprachkurses ist der mehrstöckige Altbau im weiträumigen Hof und Gartengelände der Hausnummer 40 auf der Schewisgasse/Bulevardul Victoriei mittelfristige Wohn- und Ausbildungsheimstätte. Kurzfristig unvermittelt abreisen mussten alleine die Gast-Studierenden des Ökumene-Semesters, denen es durch höhere Gewalt der Corona-Krise nicht vergönnt war, über einen Zeitraum von mehreren Wochen auf Tuchfühlung mit Hermannstadts konfessionell gemischtem Kulturleben gehen zu können.

Von massiver Erschütterung berichtet auch der Verein „Brot für die Welt“. Die finanziell kritische Zwischenlage des evangelischen Geldgebers aus Berlin lässt die Verantwortlichen des Deutschen Intensiv-Sprachkurses am Departement Geschichte, Kulturerbe und Protestantische Theologie der ULBS nicht kalt. Trotzdem hofft Prof. Dr. Tobler „dass sich Wege in die Zukunft finden.“ Sprachkurs-Teilnehmer Nicolae Coșofreț trug die knappe Dankesrede an „Brot für die Welt“ an passender Stelle im Online-Abschlussgottesdienst vor. Keine zwei Tage später versprach „Kirchen helfen Kirchen“, ein dem Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung (EWDE) Berlin angehörender Verein, Finanzierungshilfe für den Sprachkurs 2020/2021.

„Lass uns nicht vergessen, dass die Kirche unser Zuhause ist und der Ort, an dem Du wohnst“, so ein Gebet von Dr. Johannes Klein zum Schluss des Gottesdienstes, der mit Beteiligung eines von Brita Falch Leutert und Jürg Leutert geleiteten studentischen Chores verlief. Dr. Renate Klein resümierte „ein seltsames, bewegtes Studienjahr“ und Hans Bruno Fröhlich einen „Gottesdienst in alternativer Form“. Claudiu Riemer, Studierender aus Mediasch, hält an „drei Freunden auf der Welt“ fest: „Mut, Verstand und Weisheit. Drei Freunde, die sich nicht immer einig sind, aber zusammenhalten können.“ Das Studium der Theologie ist eine harte Nuss, wie immer man sie auch drehen mag. Wer sie nicht aufknacken kann, darf sich getrost einen anderen Kerngegenstand vorknöpfen. Die Welt hat für jeden etwas Wertvolles übrig.