ADZ-Jubiläum: Worte, die Gold wert sind

Als die Karpatenrundschau noch eine eigene Zeitung war

„Jedes Wort aus Kronstadt ist Gold wert!“ Das habe ich vor mehr als einem Vierteljahrhundert vom damaligen Chefredakteur der ADZ, Emmerich Reichrath, zu hören bekommen.

 Ich erinnere mich noch gut daran, denn diese Bemerkung hatte mich beeindruckt. Andere Details sind inzwischen verschwommen. Aber vielleicht lohnt es sich heute, zu dieser Feststunde, an die Umstände zu erinnern, unter denen diese Worte gefallen sind.

Emmerich Reichrath war damals nicht mein direkter Vorgesetzter, denn ich arbeitete bei der „Karpatenrundschau“ die ja bis zum 1. Januar 1996 eine selbstständige Publikation war. Deren administrative Verwaltung und finanzielle Unterstützung über das Kulturministerium hatte allerdings die ADZ übernommen. Irgendwann, 1994 oder 1995, sollte ich nach Bukarest, zur Chefredaktion fahren, die damals im dritten Stockwerk des Pressehauses („Casa Scânteii“) funktionierte. Es ging um die Übergabe einer Abrechnung oder anderer Unterlagen. Zu jener Zeit, für einige Monate, hatte die ADZ in Kronstadt keinen eigenen Korrespondenten. Das Büro im zweiten Stockwerk des Gebäudes in der Goldschmiedgasse/str. Mihail Sadoveanu 3 war verschlossen. Im selben Haus befanden sich die Redaktionen der „Karpatenrundschau“, der „Brassoi lapok“, der rumänischen Kronstädter Tageszeitung „Gazeta de Transilvania“, der Korrespondenten aus Kronstadt von rumänischen Tageszeitungen (einschließlich von „Sportul“, Carol Gruia, unser direkter Nachbar). In Bukarest war man also auf Agenturmeldungen, Telefonate angewiesen oder man musste sich über andere Umwege aushelfen, wenn es darum ging, über Kronstädter Belange die Leser zu informieren. Und diese gab es zu jener Zeit, in Kronstadt selber und im Burzenland oder in Fogarasch und Reps, in überdurchschnittlich hoher Zahl – so wie wir sie heute leider nicht mehr angeben können.

„Casa Scânteii“ war damals irgendwie im Umbruch. Im linken Flügel waren Büros verschiedener Publikationen und Verlage eingerichtet. Stapel von Bücher und Zeitschriften konnte man sehen wenn die Türen geöffnet wurden. Andere Räume waren versperrt und verlassen. Bei der ADZ, in der dritten Etage, war mehr los. Es war, was Betrieb und Struktur betrifft, wahrscheinlich dieselbe Redaktion wie vor der Wende. Mehrere Zimmer, links und rechts, ein Archiv im hinteren Teil des sehr langen Flures – kein Newsroom, keine Glaswand, kein Einblick, was in diesen Räumen geschieht. Frau Monferrato, die Sekretärin, erschien mir als die klassische Vorzimmerdame, die für die Ruhe und das kreative Wohlbefinden ihres Chefs zu sorgen hatte. Sie übernahm die Telefonanrufe, sie bereitete Kaffee oder Tee für die Mitarbeiter oder für die Gäste zu, sie wusste, wer was wo in der Redaktion zu tun hatte. Mich empfing sie, gemäß ihrer Art, sehr freundlich und zuvorkommend. Wie sei die Fahrt gewesen, was gebe es Neues in Kronstadt, fragte sie mich, nachdem auch ich einen Kaffee angeboten bekam – so wie ich ihn genau bestellen sollte (wie viel Zucker, mit oder ohne Milch, stärker oder schwächer). Und dann hatte sie auch eine Überraschung für mich bereit: „Der Chef will, bevor Sie weggehen, mit Ihnen kurz sprechen.“

Worum konnte es gehen? Ich hatte zuvor mit Herrn Reichrath eigentlich nie ein Gespräch geführt. Hatte er mir etwas vorzuwerfen? Sollte ich etwas für ihn in Kronstadt besorgen? Frau Monferrato öffnete mir die Tür zu seinem Büro und ich trat ein. Der Chef saß an seinem Tisch und schien in eine Lektüre vertieft zu sein. Er erhob sich, gab mir die Hand und begrüßte mich mit einer leicht näselnden Stimme. Dann setzte er sich wieder, nahm seine Brille ab und betrachtete mich genau. Mir bot er keinen Stuhl an, so dass ich stehen blieb. In wenigen Sätzen erklärte er mir, wie schwierig es sei, zu Nachrichten aus Kronstadt zu gelangen und wie wichtig diese dennoch wären. Die Redaktion suche dringend nach jemanden, der aus Kronstadt berichten sollte. Sie hätten die eine oder andere Person angesprochen (er nannte auch einen Namen) aber so richtig zufrieden sei man mit diesen Varianten nicht. Man müsse jemanden finden, der zuverlässig sei und der auch ein möglichst fehlerfreies und verständliches Deutsch schreiben könne. Freiwillige Mitarbeiter schienen Reichrath eher als Notlösung zu gelten und diesem Sachverhalt wolle man endlich ein Ende setzen. „Jedes Wort aus Kronstadt ist für uns Gold wert.“ Ob ich das begreife, war die rhetorische Frage und ob ich da nicht jemanden kenne, der für die ADZ einspringen könne, war die praktische Seite dieses Dialogs, der eher ein Monolog war.

Dann wurde ich verabschiedet mit der Aufforderung, mir darüber Gedanken zu machen und eventuell mich mit einem Vorschlag zurückzumelden. Ich konnte nicht weiterhelfen, konnte es mir aber etwas später nicht verwehren, die kurze Begegnung vielleicht auch als Abwerbeversuch von der KR zu deuten.

Alles hat bekanntlich die wahrscheinlich beste Lösung gefunden, als die „Karpatenrundschau“ als Beilage von der ADZ übernommen wurde und als deren Redakteure zur Kronstädter Lokalredaktion der ADZ überwechselten.