„Würde ich strikt nach Lehrplan unterrichten, würden nur zwei Prozent der Schüler nicht zur Nachprüfung antreten müssen“

Sechs Fragen an Musiklehrer und Chorsänger Paul Damian

Als im März 2020 in Rumänien acht Wochen pandemischer Notstand mit Ausgangssperre verhängt wurden, hatte für Paul Damian das finale Semester seines Bachelor-Studiums an der Gheorghe-Dima-Musikakademie Klausenburg/Cluj-Napoca schon begonnen. Aus dem Abschluss-Examen im Hauptfach Chorleitung in Form eines öffentlichen Konzerts wurde nichts. Ersatzweise hat Paul Damian online zu einer Aufnahme auf Youtube dirigieren müssen, als ob die Sängerinnen und Sänger live auf seine Zeichen warten. Kein Kinderspiel.
Die ersten zwölf Jahre seines Lebens hat er in Hermannstadt/Sibiu verbracht, danach war die kleinere Nachbarstadt Heltau/Cisn²die sein Wohnort. Seit Herbst 2022 unterrichtet Paul Damian Musik am Sava-Popovici-Gymnasium in R²{inari und an der dazugehörenden Grundschule des für seine Roma-Bevölkerung bekannten Ortsteiles Prislop. Auch am Samuil-Micu-Gymnasium von Sadu im Zoodt-Tal und an der Allgemeinbildenden Schule Nr. 2 in Heltau ist er als Musiklehrer tätig.
Einen Master-Studiengang hat er ebenso in Klausenburg bestritten. Die acht Wochen lange Zwangspause im Frühjahr 2020 bereut Paul Damian nicht: „Für den Erdball war sie gut.“ Vor- und Nachteile im Lehramt, das seine Arbeitnehmer nach Dienstjahr-Anzahl statt Kompetenzen einteilt und entlohnt, kümmern Paul Damian hingegen gar nicht. Seit Herbst 2021 singt er außerdem verlässlich im Hermannstädter Bachchor mit. Klaus Philippi hat ihn am letzten Novembertag 2022 gesprochen.


Wie packen Sie es mit dem Musikunterricht für Schulklassen von heute an, wo viele Kinder und Jugendliche zumeist weder Noten lesen noch ein Instrument spielen können, das Bildungsgesetz sie aber für die Dauer einer Stunde pro Woche zu Kontakt mit Musik verpflichtet?

Am allermeisten setze ich auf die Idee, dass der Unterricht sich wie ein Spiel anfühlen soll. Das zündet bei den Schülern und vermag ihre Aufmerksamkeit zu packen. Trotzdem Musik, weil sie nie zuvor Berührungspunkte mit ihr hatten, ihnen gerade wie eine Fremdsprache vorkommt. Zahlreiche von ihnen sitzen dann mit offenem Mund in den Schulbänken und schauen verdutzt (ahmt ihre Körpersprache nach, Anm. d. Red.), als ob ich ein Gott wäre, der ihnen irgendwelche schweren Theorien vom Olymp und von Griechenland erklärt (lacht)! Genau deswegen aber erlebe ich sie auch sehr sympathisch. Nur wenige von ihnen spielen eben doch ein bisschen Klavier oder ein anderes Instrument und langweilen sich im Musikunterricht.

Und wie war für Sie der Wechsel vom Platz des einzelnen in der Schulbank zum Beruf desjenigen, der als Unterrichtender eine ganze Klasse spannend zu beschäftigen hat?

Dass ich in das Lehramt einsteigen wollte, wusste ich gegen Ende meiner eigenen Schulzeit. Schon in der 11. und 12. Klasse stand die Entscheidung fest. Hätte es in Hermannstadt eine Musikhochschule gegeben, wäre ich auch für das Studium hier geblieben, statt mich an der Gheorghe-Dima-Musikakademie Klausenburg/Cluj-Napoca zu bewerben und einzuschreiben.
Die Zeit dort hat mir jedoch sehr gutgetan und mich gelehrt, mangels Nähe zur Familie mein eigenes Rennen zu machen. Zur Ausbildung zählte auch ein pädagogisches Modul, und meine Neugierde zum Unterrichten von Kindern hatte ich vorher schon. Von daher kann ich nur sagen, dass ein Wunsch sich erfüllt hat. Gleich nach dem Studium habe ich am Octavian-Goga-Gymnasium Hermannstadt und an der Allgemeinbildenden Schule Nr. 2 in Heltau/Cisn²die mit der Arbeit als Musiklehrer begonnen.

Das war meine erste Chance. Ich hatte mir vorgenommen, aus dem Lehramt wieder auszusteigen, sollte es mir nicht gefallen, aber dazu kam es nicht. Und als ich ein Jahr später nicht mehr Musiklehrer am Octavian-Goga-Gymnasium bleiben konnte, weil eine dritte Person mich im Wettbewerb des Ausschreibungsverfahrens auf Platz zwei verwiesen hat, habe ich mich natürlich etwas geärgert. Doch dann wurde ich auf der Suche nach Lehrstellen in Dorfschulen der Umgebung Hermannstadts fündig und merkte bald, wie viel besser es mir dort geht.

Anfang 2021 habe ich die Führerscheinprüfung bestanden, was für meine Arbeit als Lehrer in Heltau, R²{inari, Prislop und Sadu sehr nützlich ist. Denn als Schüler der 9. bis 12. Klasse bin ich täglich mit der unterdessen aufgelösten Verkehrsgesellschaft Transmixt nach Hermannstadt gependelt. Ohne Wartezeiten an der Haltestelle von Heltau ganz undenkbar. Im Winter waren 20 Minuten da noch verhältnismäßig kurz, und bis wegen Fahrzeugausfall tatsächlich ein Ersatzbus angefahren kam, verging bei klirrender Kälte gerne auch mal eine volle Stunde. Das geschah leider öfters. Geboren und zwölf Jahre lang aufgewachsen bin ich in Hermannstadt, bevor meine Familie nach Heltau umzog: eine kleine, nicht überfüllte und vor allem sehr grüne Stadt. Die Tochter des Bürgermeisters führt ein Blumenhandelsunternehmen und lässt Heltau saisonabhängig bepflanzen. Auch winters.

Wie erklären Sie sich die Erfahrung, dass der Musikunterricht in kleineren Ortschaften der Umgebung Hermannstadts deutlich mehr Freude bereitet?

Die Anzahl der Kinder pro Schulklasse ist geringer. In Heltau und den Dörfern, wo ich unterrichte, ist 21 das Maximum. Wenn man an einer Schule wie dem Octavian-Goga-Gymnasium unterrichtet hat, wo bis zu 33 Schüler eine Klasse bilden, erlebt man da einen wirklich großen Unterschied. Obwohl seit Anfang des Schuljahres 2021/2022 das Bildungsgesetz nicht mehr als 26 Schüler pro Klasse erlaubt.

Aber jetzt mal zurück zu den Schulen am Dorf: Meinem Gefühl nach gehen die Eltern die Frage der Erziehung ihrer Kinder gründlicher an und beachten bis zu 300 Jahre alte Traditionen. In der Stadt dagegen hat kaum jemand noch etwas für Tradition übrig. Bleibt es dabei, wird der urbane Raum in 65, spätestens 75 Jahren alles Traditionelle verloren haben. Dass die jungen Leute ihren Dörfern immer häufiger den Rücken kehren, ist dennoch nicht alles. Es gibt bereits das ein oder andere alte Dorf in Rumänien, das Einwohner zurückgewinnt, wenn etwa Ausländer sich vor Ort niederlassen und die Bräuche von den einheimischen Dorfältesten übernehmen.

Für den Erhalt und die Weitergabe der authentische Folklore jedoch reicht das nicht. Ein Sammler von Folklore war und ist noch immer Ioan Boc{a, bei dem ich in Klausenburg Vorlesungen besucht habe, und der auch das Ensemble „Icoane“ leitet. Eine Zeitlang habe ich mitgesungen, aber richtig tief begeistert hat mich die Folklore nicht. Stattdessen habe ich immer gerne im Chor der musiktheoretischen Fakultät mitgemacht, und der hat oft Konzerte in Siebenbürgen und dem Banat gegeben. Eine Fahrt ging nach Arad, und wir saßen unterwegs in einem knallroten Reisebus mit Steckdosen für jeden Sitzplatz und mit stark getönten Fensterscheiben, durch die man von außen nichts erkennen konnte. Wir fuhren wie VIP´s. Mitten in Arad aber stellte der Busfahrer fest, dass der Gangschalter streikte. Wir stiegen aus und erreichten den Ort unserer Aufführung zu Fuß. Hinter unserem Reisebus hatte sich eine Autokolonne gebildet, und wir rechneten mit rauen Flüchen der im Stau Wartenden, was aber nicht eintraf. Sie hatten alle Geduld mit unserem Busfahrer, der das Problem zu lösen versuchte. Auch solche Erfahrungen fand ich am Studium interessant.

Was müssten Sie den Schulklassen laut Lehrplan beibringen, und was dagegen ist Ihnen im Unterricht wichtig?

Das, was der Lehrplan für die 5. bis 8. Klasse vorschreibt, ist für die betreffende Altersklasse zu kompliziert. Würde ich als Lehrer strikt nach Lehrplan unterrichten, würden nur zwei Prozent der Schüler im Fach Musik nicht zur Nachprüfung antreten müssen. Ich halte mich an den Lehrplan, vereinfache ihn aber so weit wie möglich und versuche den Unterricht eben wie ein Spiel zu gestalten.

Was mussten die Kinder mitbringen, um im Chor mitmachen zu können, den Sie in  R²{inari  gegründet hatten? Die Fähigkeit zum Notenlesen, eine gute Stimme und noch etwas mehr als das?
Einziges Kriterium war das Singen nach Gehör auf mein Vorsingen, nichts anderes. Leider haben viele Kinder diese Anforderung nicht erfüllt. Das perfekte Gefühl für Rhythmus und Takt alleine ist ganz vergeblich, wenn die Singstimme total unbrauchbar ist. Nicht laut oder kräftig muss sie unbedingt sein, aber sauber. Wenn man heute einem neuen Auto mit neuer Karosserie einen Motor des Baujahres 1900 einbauen wollte, würde das eben auch nirgendwohin fahren können, weil es der Verkehrskonkurrenz auf öffentlichen Straßen unserer Zeit nicht standhielte. Mein Schülerchor in R²{inari besteht aus nur zehn Kindern, doch dafür ist seine Klangqualität makellos. Vom klimatischen Einfluss auf die menschliche Stimme übrigens habe ich im Master-Studiengang in Klausenburg erfahren. Das beste Klima für die stimmliche Entwicklung des Menschen ist ein gemäßigtes. In Zonen, wo tropisches Klima vorherrscht, steigt die Stimme, während sie in klimatisch kalten Ländern absinkt und dick wird. Zur Beruhigung zu sagen ist, dass Erwachsene von heute, deren Singstimmen schon gefestigt sind und sich nicht erst noch entwickeln müssen, von klimatischen Veränderungen der Zukunft kaum betroffen sein werden. Fühlbar schwerer als früher hingegen könnte es irgendwann für die Kinder werden, denen das Singen-Lernen in der Familie, im Kindergarten und in der Schule bevorsteht.

Was ist Ihr Plädoyer für den Musikunterricht in der Schule?

Als Lehrer von Schülern muss ich auch in Fächern gesprächsfähig sein können, mit denen mein Gegenstand auf den ersten Blick kaum was gemein hat: Physik, Chemie, Astronomie, Astrologie, Mechanik und noch vieles mehr. Bis hin zu praktischen Sachen wie etwa Maurern und Malen, da es mir immer blühen kann, meine eigenen vier Wände streichen zu müssen. Wer das selber in der Hand hat, fährt einfach besser, auch wenn man nur weiß, womit und wie einem bezahlten Profi zu helfen ist.

Wie alles andere nützt auch Musik nur unter der Bedingung, dass sie in Beziehung zu vielen Dingen gesetzt wird, die ihr fremd scheinen, doch allgemein nicht zwecklos sind. Die inter- und multidisziplinäre Meisterung des Lebens macht es. Allgemein gut gebildet zu sein, heißt nicht, Musik beiseite schieben zu können. Genauso, wie auch Berufsmusiker allgemein gut gebildet sein sollten. Nicht unbedingt für mehr Musikunterricht in der Schule plädiere ich, sondern eher für einen ernst genommenen. Alles Weitere kommt dann letztlich von selbst.