Zeig mir deine Trachtenbluse und ich sage dir, wer du bist?

Gedanken und Gespräche zum Thema „kulturelle Aneignung“, Authenzität und Identität

Karl-May-Spiele: Groteske oder deutsches Brauchtum? | Foto: Wikimedia Commons

Brukenthal-Schüler und -Schülerinnen bei der Trachtenparade beim Sachsentreffen – viele der Trachtenträger sind heute Rumänen. | Foto: George Dumitriu

Die Dobrudschadeutschen wurden 1944 „Heim ins Reich“ geholt – nun pflegen Tschangos in Oituz deutsche Bräuche. | Foto: George Dumitriu

Das Bockeln der Siebenbürger Sächsinnen geschieht nach strengen Vorgaben. Die Schleiertracht verrät mindestens Herkunft und Familienstand der Trägerin. | Foto: George Dumitriu

In der Familie der Verfasserin wurde offenbar seit vier Generationen Winnetou gespielt: Im Bild Urgroßvater Laurenz (rechts) und dessen Bruder Franz. Diese Foto-Postkarte schrieben sie 1913 aus London ihrer Schwester Emma nach Hause, nach Récsény, (deutsch: Ritschen), damals Ungarn, heute in der Slowakei. | Foto: privat

Die Sängerin und Songwriterin Zeyla Tomlyn aus Kronstadt inspiriert sich an anderen Kulturen: Sächsisch und Afrika ist für sie kein Widerspruch. | Foto: privat

Im März dieses Jahres wurde die weiße Musikerin Ronja Maltzahn aufgrund ihrer Frisur von der Ortsgruppe Hannover der Klima-Aktivisten von „Fridays for Future“ ausgeladen. Der Grund: Sie trägt „Dreadlocks“ – Filzlocken. Wenn sie doch auftreten wolle, müsse sie sich die Haare schneiden, hieß es. Dreadlocks hätten ihren Ursprung in der afrikanischen Kultur und seien Farbigen vorbehalten. Der Vorwurf lautet, Weiße würden sich Elemente aus der schwarzen Kultur borgen, nicht aber die damit verbundene Diskriminierung, so Greg Tate in seinem Buch „Everything but the Burden. What White People Are Taking From Black Culture“ (Alles außer der Last. Was sich weiße Menschen von der schwarzen Kultur nehmen). Das nennt man „kulturelle Aneignung“ und die Diskussion dazu, ursprünglich aus den USA, nimmt auch in Deutschland Fahrt auf. Gibt es ein exklusives Recht auf Kulturelemente? Oder ist es ganz normal, dass sich diese in einer globalisierten Welt vermischen? Wie sehen das ethnische Minderheiten? Wie stehen wir dazu in Rumänien? 

Im August dieses Jahres nahm der bekannte Ravensburger-Verlag zwei Kinder- und Jugendbücher über Karl Mays „Winnetou“ aus dem Programm. Die Geschichten seien rassistisch und angesichts der historischen Wirklichkeit, der Unterdrückung der indigenen Bevölkerung, werde ein „romantisierendes Bild mit vielen Klischees“ gezeichnet. Für viele bricht damit ein Stück deutscher Kultur weg – man denke an die Karl-May-Festspiele –, ein vertrautes Stück Kindheit wird zensiert. 

Auch meine Generation hat noch wie selbstverständlich Winnetou gespielt. Alle Mädchen wollten „die Tschotschi“ sein, Winnetous Schwester Nscho-Tschi, und die Originalgeschichte haben wir stets ein bisschen gefälscht, denn natürlich war sie Winnetous tapfere Gefährtin, nicht „bloß“ die zu verheiratende Schwester… Was wir nachspielten, waren die guten Taten, mit denen sich der „Indianerhäuptling“ – auch dies heute ein Tabu-Begriff – hervortat. Die tatsächliche Geschichte der Ureinwohner Amerikas war uns im Vorschulalter, zugegeben, egal... Doch was blieb, war die Sympathie. Sie führte automatisch zum Interesse an weiteren Dingen – Kultur, Lebensweise einst und heute – und damit auch an ihrem Schicksal vor dem historisch korrekten Hintergrund. Ähnlich erging es mir nach einem Roman über das Alte Ägypten – danach verschlang ich Sachbücher, lernte Arabisch und Hieroglyphen, reiste mehrmals nach Ägypten und schrieb selbst ein Buch. Fiktive Literatur kann manchmal mehr bewirken als trockener Geschichtsunterricht.  

Ist die Zensur von Literatur daher wirklich der richtige Weg? Hätte im Falle der Winnetou-Bücher ein Vor- oder Nachwort nicht genügt, um alles zurechtzurücken?  Das Kinderbuch „Cosmin“ von Karin Gündisch macht vor, wie es gehen kann: Im Nachspann wird deutlich, dass der Hauptheld ein Romajunge ist, dort erzählt sie die Geschichte der Roma. Man ist offen dafür, weil man mit Cosmin mitfühlt. Freilich, die Autorin hat sich durch ausgiebige Recherche um möglichst viel Authenzität der Figur bemüht. Mit den heutigen Mitteln – Internet, Reisen – leicht möglich; zu Karl Mays Zeiten ein Riesenaufwand. 

Was ist Identität, was Maske oder Schauspiel?

Was ist Maske oder Schauspiel – was ist authentisch, wenn es um Identität geht? Sind die rumänischen Schüler und Schülerinnen, die unser deutsches Schulwesen hierzulande dominieren, verkleidet, wenn sie in sächsischer oder schwäbischer Tracht in deutschen Volkstanzgruppen auftreten? Oder dürfen sie das, weil es ein Element der Kultur ist, die man ihnen näherbringt? Das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien begrüßt inzwischen das Interesse der Mehrheitsbevölkerung an seiner Infrastruktur, seiner Kultur und seinen Kulturdenkmälern, denn ohne Rumänen könnte man diese nicht erhalten.

Ähnliches kann man bei anderen Minderheiten beobachten. In der griechischen Tanzgruppe in Sulina sind die meisten Tänzer Lipowaner und Ukrainer, erzählte deren Leiterin, selbst ethnische Russin. In der Dobrudscha gibt es längst keine „echten“ Deutschen mehr, sie wurden 1944 „Heim ins Reich“ geschickt, und doch pflegt in Oituz ein kleines Grüppchen Tschangos die deutsche Kultur mit Freude weiter. Initiiert wurde dies von zwei Leuten, deren deutsche Großväter nach Russland deportiert wurden und nach ihrer Rückkehr keine Deutschen mehr vorfanden, sondern die an ihrer Stelle angesiedelten Tschangos. In Drobeta Turnu Severin sind viele rumänische Schüler Mitglieder der griechischen Tanzgruppe und lernen sogar Griechisch, einfach so, aus Freude und Faszination. Nur wenige können tatsächlich einen griechischen Vorfahren „vorweisen“. Und überhaupt: Im 21. Jahrhundert darf ethnisches Zugehörigkeitsgefühl keine Frage von Abstammung mehr sein! 

Identität ist mehr als Herkunft, das weiß ich auch aus eigener Erfahrung: Die Jahre in Rumänien haben mich geprägt, gehören zu meiner Vita. Umso erstaunter war ich, als ein junger Zipser schockiert reagierte, weil ich eine echte rumänische Ie-Trachtenbluse besitze. Ich sei doch Deutsche, das sei an mir Verkleidung, Tracht sei Ausdruck von Identität, empörte er sich. Diese Betrachtung löste seltsame Gefühle in mir aus. Ohne mich als je als „Rumänin“ ausgeben zu wollen, scheint mir das Tragen von Ie-Blusen (die echten, nicht die chinesische Massenware) natürlich. Mit einem bayrischen Dirndl würde ich mich verkleidet fühlen – vielleicht, weil dort Tracht keine Rolle in meinem Alltag spielte.

Was ist kulturelle Identität für Menschen, die wichtige Lebenabschnitte in einem anderen Kulturkreis verbringen? In einer Talentshow gab einmal ein kleines rumänisches Mädchen, das mit den Eltern bis vor Kurzem in China gelebt hatte, ein traditionelles chinesisches Lied zum Besten –  kulturelle Aneignung oder Teil ihrer Identität? Immerhin verbrachte sie prägende Jahre dort. Dies wirft die Frage auf: Was ist „die eigene Kultur“ in einer Zeit, in der der Mensch nicht mehr in dem Dorf wohnen bleibt, in dem er geboren ist, oft nicht mal in dem Land? Und welche Kultur darf man dann auch nach außen tragen?

Moralische Fragen und kommerzielle Rechte

Als Weißer bei öffentlichen Auftritten Dreadlocks zu tragen oder im Schauspiel einen Schwarzen zu mimen („Blackfacing“), gilt inzwischen als politisch inkorrekt. Zum einen, weil es sich um Anleihen unterdrückter oder diskriminierter Völker handelt, wie Greg Tate kritisiert. Zum anderen gibt es Diskussionen um das Urheberrecht. Doch wie weit darf dies gehen? Sollte man, kann man für die Kommerzialisierung von Ethno-Design Authenzität verlangen? Keine Ie-Blusen oder Dirndlkleider aus China? Doch wie will man den Nachweis für ein „kulturelles Urheberrecht“ erbringen? Oder sollen Geschmack und Gewissen des Kunden entscheiden? 

Auch die berühmten Karl-May-Spiele, die es in Deutschland bereits vor dem Zweiten Weltkrieg gab und die bis heute an verschiedenen Orten im ganzen Land, meist auf Freilichtbühnen, aufgeführt werden, stehen vor diesem Hintergrund inzwischen unter Beschuss. Während langjährige Darsteller an dem beliebten Brauchtum unbedingt festhalten wollen, hinterfragen andere ihre Rollen als „Indianer“ mit Fransenkleid und Federschmuck. Müssten die Kostüme authentischer sein – oder eben gerade nicht? Dürfen heutzutage Weiße auf der Bühne noch Indigene spielen? Vermittelt das Spektakel an sich nicht ein groteskes Klischee über Amerikas Ureinwohner? Oder ist das alles längst „deutsche Kultur“ geworden, Karl May war schließlich Deutscher? Im sechsteiligen Podcast „Winnetou ist kein Apache“ des Senders MDR geht Ben Hänchen, selbst langjähriger Mitwirkender der Karl-May-Spiele Bischofswerda, der Frage nach, ob und wie man heutzutage Karl-May-Festspiele noch zeitgemäß aufführen kann (www.ardaudiothek.de/sendung/winnetou-ist-kein-apache/10577467/).

Darin wird auch die Frage aufgegriffen, was amerikanische Ureinwohner von den Karl-May-Spielen halten: Vor allem jüngere Generationen fühlten sich beleidigt, wenn sich Deutsche als Indianer verkleiden, erklärt Jay Navare, der diesen erst vermitteln musste, dass die Deutschen sie damit eigentlich ehren wollten. Gestört habe man sich aber auch an falschen Stammesbegriffen, von denen viele abwertend seien.  Die „Apachen“ selbst nennen sich nicht so, „Apache“ bedeute so viel wie „Feind“ und sei deren Begriff für ein anderes indigenes Volk. Bedenklich sei auch, wenn im Schauspiel ein heiliges Ritual nachgestellt würde, oder wenn man sich das Gesicht anmalt, meint Navare. 

Kulturelle Anleihe, Identität und Minderheiten 

Wie stehen wir als deutsche Minderheit in Rumänien zu diesem Thema? Wie sehen dies andere Minderheiten? Drei Gespräche mit völlig verschiedenen Personen sollen dies beleuchten helfen: Ursula Philippi, Siebenbürger Sächsin, Musikerin und ehemalige Organistin von Hermannstadt/Sibiu; Meto Nowak, Sorbe in Deutschland und Referent des Landesbeauftragten für die sorbische Minderheit in Brandenburg und die Sängerin Zeyla Tomlyn, bürgerlich Petra Acker, Siebenbürger Sächsin aus Kronstadt/Brașov, die sich selbst an fremden Kulturen inspiriert.

Ursula Philippi: „Es kann nicht sein, dass das nur einem gehört!“

Ursula Philippi bekennt, mit dem Thema erst konfrontiert worden zu sein, seit sie wieder in Tartlau/Prejmer im Haus ihrer Kindheit lebt. „Als Musiker hat man Musik gemacht und die Folklore des anderen mit Wonne gespielt und gesungen. Ethnie oder Hautfarbe waren da kein Thema. Aber hier auf dem Dorf ist das anders, hier gibt es noch alte sächsische Gemeinschaften, die kulturelle Anleihe ablehnen.“ Auf dem Dorf habe jeder seinen Friedhof: den evangelischen, den rumänischen, und man würde dort noch sagen: „Was sucht der in meiner Kirche?“ Sie selbst bedauert das. „Es gibt Hardliner, noch und noch. Und nicht nur unter den Siebenbürger Sachsen!“ Tartlau liegt nahe am Siedlungsraum der ungarischen Minderheit, durch ihre touristischen Orgelführungen hat sie auch dort Einblicke. Sie selbst sei aber so nicht aufgewachsen, betont sie. „Ein Großvater ist aus Schwaben eingewandert, eine Großmutter war ungarisch – meine Eltern haben das so nicht gepflegt“. „Ich hätte mich hier gern integriert“, sagt Ursula Philippi über ihre Rückkehr nach Tartlau, „aber nicht um diesen Preis.“

„Es ist eine böse Entwicklung mit der Diskussion um kulturelle Aneignung“, fährt sie fort. „Sprache, Musik, Kirchen und Altertümer – es kann nicht sein, dass das nur einem gehört.“ Dennoch findet sie wichtig, den historischen Hintergrund zu kennen. Als Beispiel nennt sie den Eintrag eines Rumänen aus dem Süden in das Gästebuch der Tartlauer Kirche. „Der schreibt da, ist es nicht großartig, welche Denkmäler unsere Vorfahren gebaut haben? Aber die evangelische Kirchenburg hat nicht dem Popescu sein Opa gebaut!“

Ob es in Tartlau jemanden stören würde, wenn ich als eingewanderte Deutsche eine sächsische Trachtenbluse trüge, will ich wissen. „Auf dem Dorf gilt das bei manchen schon noch als Symbol, dass du zu dieser Ethnie gehörst“, sagt Philippi. „Ja, es leben noch Leute, die so denken.“ Trotzdem sei nicht bei allen der Horizont so eng, auch nicht unter der älteren Bevölkerung. „Meine Oma hatte dieses Vorurteil nicht. Sie hat sich immer als Siebenbürgerin gesehen, nicht als Sächsin, die sie war. Sie sprach Rumänisch und Ungarisch und sagte immer, ein richtiger Siebenbürger sollte alle drei Landessprachen können.“

Meto Nowak: „Nichts bleibt so, wie es vor 500 Jahren war“

Wie würden es die Wenden und Sorben, slawische Minderheiten in Deutschland, sehen, wenn ihre Trachten, Lieder oder Symbole von anderen verwendet würden? „Das kommt immer auf den Kontext an“, meint Meto Nowak. „Bei dörflichen Brauchtumsfesten wird nicht gefragt, bist du Deutscher oder Sorbe? Und wenn jemand eine Tracht anhat, weiß man nicht, ob er sich nur als Sorbe betrachtet oder tatsächlich sorbische Vorfahren hat. Alle im Dorf dürfen mitmachen.“ Auch Zugezogene, die sich einfach mit der Region identifizieren. „In der Niederlausitz sind viele Identitäten im Fluss, viele wissen selber nicht, wie wendisch oder sorbisch sie sind, deshalb gibt es auch keinen Sittenwächter.  Mir fiele keiner ein, der den machen könnte.“

Schwierig werde es nur, wenn die Dinge für den Kommerz instrumentalisiert werden, meint Nowak und nennt als Beispiel den Tourismus. „Man zieht sich die Tracht an, ohne etwas über die Sorben zu wissen, nur um eine Spreewaldgurke zu servieren.“ Dann störe es auch, wenn das Tuch falsch gesteckt sei.  Außerdem sei es ein Unterschied, ob man sich sorbische Trachten, die nur zum Feiern gedacht sind, aneignet, oder auch jene, die der Religionspflege vorbehalten sind. „In der katholischen sorbischen Region ist Tracht mit der Kirche eng verbunden. Bei uns in der Niederlausitz werden Trachten nur zum Feiern und Tanzen getragen, das ist ein ganz anderes Ambiente.“ 

Ein weiterer Stein des Anstoßes ist grobe Ignoranz: „In einigen Dörfern gibt es eine Figur, eine Art Christkind, die in spezieller Tracht von Haus zu Haus geht, um Menschen zu segnen. Die durfte früher die Dorfgrenzen nicht verlassen. Ein Freilichtmuseum hat vor einigen Jahren so eine Figur wild zusammengestoppelt, bloß für Touristen. Da hätte man die Sorben fragen sollen. Das sind Grenzbereiche, wo manchmal Linien überschritten werden.“

Andererseits verändern sich auch Bräuche und Traditionen: „Bei uns im Spreewald wurden die Hauben immer größer, weil das die Touristen so toll fanden. In Reiseführern wird darauf hingewiesen, wo man zum Kirchgang noch Hauben trägt und wo sie am größten sind.“ Freilich gibt es über solche Veränderungen auch Diskussionen, vor allem zwischen den Generationen. „Viele Bräuche sind bei uns mit Pferden, aber heutzutage reiten eher Mädchen. Da stellt sich dann die Frage, ob Mädchen mitmachen dürfen bei Bräuchen, die früher  Jungen vorbehalten waren, oder ob man, weil heute nur noch wenige reiten können, statt dem Pferd auch ein Fahrrad hernehmen könne.“ Das seien jedoch „Modernisierungssachen, die zu einer lebendigen Kultur gehören“, findet Nowak. „Nichts bleibt so, wie es vor 500 Jahren war.“

Er verweist auf einen weiteren interessanten Aspekt: Bei Minderheiten gilt eine Assimilation in Richtung Mehrheit als ganz normal, der umgekehrte Prozess aber löst Skepsis aus: „Da hört man dann, bist du überhaupt ein richtiger Sorbe? Obwohl der soziale Prozess – ich interessiere mich für eine Gruppe, werde aufgenommen, habe Freunde und Familie, es wird Teil meiner Identität – ja in alle Richtungen der gleiche ist.“ 

Zur Winnetou-Diskussion meint Nowak: „Ich bin mir der Vielfalt der sorbischen Geschichte bewusst und würde mich nicht angegriffen fühlen, wenn jemand einen anderen Zugang dazu hätte. Aber ich bin ein urban geprägter Mensch.“ In der sorbischen Community würden das nicht alle so sehen. „Vor diesem Hintergrund würde ich auch anderen ethnischen Gruppen nicht absprechen, wenn sie sich von einer Romanfigur tief getroffen fühlen, weil sie so gar nicht der Realität entspricht, auch wenn es eine positiv gemeinte Figur ist und ich im Fasching auch gern als Cowboy oder Indianer gegangen bin.“ 

„Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Diskussion in die richtige Richtung geht, wenn es um Fiktion geht“, fügt er nachdenklich an.

Zeyla Tomlyn: Kulturelle Anleihe ist essenziell

Einen ganz anderen Ansatz zu diesem Thema hat die Sängerin Zeyla Tomlyn. Sich Kulturelemente anderer anzueignen hält sie sogar für essenziell.  Sie inspiriert sich gern an anderen Kulturen, in ihrer Musik spielten afrikanische Einflüsse bisher eine große Rolle. Eine Zeit lang trug sie Dreadlocks. „Der afrikanische Einfluss kam sehr natürlich“, sagt die Sängerin. „Seit ich 2013 zum ersten Mal bewusst afrikanische Musik gehört habe, hat es einfach geklickt, als ob ich die Information schon immer intus gehabt hätte und mich einfach nur daran erinnert habe. Kritik habe ich diesbezüglich noch nicht gehört, ich glaube, das ist ein Beweis, dass meine Beziehung zu diesen Rhythmen und Melodien sehr natürlich ist.” 

Auch die Kulturen zu mischen ist für sie kein Widerspruch. Letztes Jahr hat sie ein siebenbürgisches Volkslied  aus dem Jahr 1516, „Et sâs e klî wält vijelchen“,  in Afro-Jazz verwandelt. Das „Kleine Wilde Vögelein“ war die erste Single des Albums „Afro Funk Party“ ihrer damaligen Gruppe „Petra Acker & the Band“, die mit Unterstützung der Deutschen Botschaft in Bukarest herauskam. 

In ihrem neuesten Video „Pantam Dance & Zeyla Tomlyn - Până când nu te iubeam“  interpretiert sie ein rumänisches Lied mit dezenten Ethno-Elementen aus verschiedenen Kulturen. Afrika ist nicht mehr so deutlich zu erkennen und die Dreadlocks sind auf einmal ab. Hatte sie deswegen, wie Ronja Maltzahn, Kritik einstecken müssen? Die Afro-Frisur sei damals ebenfalls fast von selbst gekommen, erläutert Zeyla. „Eine spontane Idee, die sich von heute auf morgen verwirklicht hat. Es fühlte sich einfach richtig an.“ Kritik habe sie deswegen nie erfahren, auch nicht bei Auftritten außer Landes, „nur sehr lustige Fragen in Rumänien, etwa, wie wäscht du deine Haare? Oder: Sind die überhaupt echt?” Die Entscheidung zum Abschneiden kam mit dem neuen Namen. „Mir war auf einmal bewusst geworden, dass die Frisur einen wichtigen Beitrag in meiner Entwicklung hatte, aber ab einem bestimmten Zeitpunkt auch ein Hindernis war.“ 

Ist das neue Stück eine beabsichtigte Distanzierung vom Afro-Jazz? „Ich schöpfe meine Inspiration aus der Diversität”, erklärt Zeyla Tomlyn, deren Publikum  inzwischen auch international ist. „Ich liebe Formen, Farben, Essenzen, Gerüche, Klänge, Rhythmen, die in den verschiedensten Kulturen wiederzufinden sind. Die Erde ist ein phantastischer Ort, die Vielfalt gigantisch. Und heutzutage ist die Fusion der Dinge gang und gäbe, weshalb also nicht Elemente der Kulturen mischen?“

Allerdings solle man sich schon darüber bewusst sein, wenn man etwas anleiht, betont auch sie. „Generell glaube ich, dass es im Leben darum geht, sich kreativ zu entfalten, zu wachsen, das passiert in meinem Fall sehr viel durch die Erforschung der verschiedenen Kulturen. Von daher finde ich kulturelle Anleihe essenziell, solange man sich, wie gesagt, darüber bewusst ist, woher die Inspiration kommt. Das ist, finde ich, auf jeden Fall ein Zeichen von Respekt.“