Zeit, sich (wieder) „Coco“ anzuschauen

Mexikanischer Feiertag im Mittelpunkt von Animationsfilm

Typische Verkleidung zum „Dia de los Muertos“ Foto: Nan Palmero/ flickr.com

Die Geschichte spielt sich irgendwo in Mexiko ab: Der zwölfjährige Miguel glaubt, ein Fluch würde über seiner Familie lasten, nachdem – so die Berichte der Angehörigen – sein Ur-Urgroßvater fortging und nie wieder zurückkam. Dessen Frau, seine Ur-Urgroßmutter Imelda, musste allein für ihre Tochter Coco sorgen. Coco ist Miguels Urgroßmutter, die in ihrem Stuhl vor sich hin dämmert und mit niemandem ein Wort spricht.

Miguels Familie scheint aus diesem Grund die Musik zu hassen – der Junge selbst fühlt sich aber besonders zu diesem Kunstbereich hingezogen. Er ist ein großer Fan von Ernesto de la Cruz und hat für den verstorbenen mexikanischen Musiker im Dachgeschoss seines Hauses sogar einen Schrein eingerichtet und Fotos von seinem Idol aufgestellt. Miguel selbst hat anhand einiger Videos von Ernesto de la Cruz das Gitarre-Spielen als Autodidakt erlernt.
Die gesamte Familie von Miguel ist mit der Herstellung von Schuhen beschäftigt – er ist oft als Schuhputzer in der gesamten Stadt unterwegs, um zum Familieneinkommen beizutragen. Seine Mutter möchte aber nicht, dass er in der Stadt Kontakt zu den Musikern, zu den sogenannten „Mariachi“ hat, sondern seine Familie ehrt und deren Wünsche beachtet.

Der Übergang in das Totenreich

Es ist die „Dia de los Muertos“ in Mexiko, das Fest, an dem Familie und Freunde zusammenkommen, um gemeinsam der Verstorbenen zu gedenken. Als Miguel auf dem Familienaltar ein Foto von seiner Ur-Urgroßmutter Imelda mit der kleinen Coco betrachtet, entdeckt er darauf die Gitarre seines größten Idols Ernesto de la Cruz und glaubt, dieser sei sein Ur-Urgroßvater. Er gesteht seiner Familie, dass er Musiker werden möchte; daraufhin wird sein Versteck entdeckt und seine Großmutter zerstört seine selbstgebaute Gitarre, woraufhin Miguel von zu Hause wegläuft. Um an einem bevorstehenden Talentwettbewerb teilnehmen zu können, geht Miguel auf den Friedhof und betritt das Mausoleum von Ernesto de la Cruz, um sich dessen Gitarre auszuleihen. Doch nachdem er darauf einen Akkord spielt, geschieht etwas Unerwartetes und völlig Ungewöhnliches: Miguel kann plötzlich die Verstorbenen sehen und mit ihnen sprechen, dagegen können ihn die Lebenden nicht mehr sehen.

Zusammen mit einigen seiner verstorbenen Verwandten wandert er über die Blumenbrücke in das Reich der Toten, wo sich viele darauf vorbereiten, bis zum Sonnenaufgang wieder in die Welt der Lebenden zu gehen, um zu sehen, wie es ihren Liebsten geht. Die einzige Bedingung: Nur jene Toten können in die lebendige Welt wandern, für die ein Foto auf dem Familienaltar aufgestellt worden ist. In der Welt der Toten möchte Miguel seinen vermeintlichen Ur-Urgroßvater Ernesto de la Cruz kennenlernen, um sich seinen Segen einzuholen. Doch dort entpuppt sich Ernesto de la Cruz als ein völlig anderer und eine abenteuerliche Reise beginnt, aus der Miguel schließlich wieder in die Welt der Lebenden hinüber wandert. Er schafft es mit Hilfe eines Liedes seine Urgroßmutter Coco dazu zu bringen, sich an ihren Vater zu erinnern, den eigentlichen Urheber der beliebten mexikanischen Songs, und die Familie von seiner großen Liebe zur Musik zu überzeugen.

„Coco – Lebendiger als das Leben“ heißt der Zeichentrickfilm der Pixar Animation Studios aus dem Jahr 2017, den sich junge wie auch ältere Menschen unbedingt ansehen sollten. Gerade in dieser Woche ist „Coco“ sehr aktuell, denn die von Wald Disney Pictures he-rausgebrachte Animation thematisiert den „Tag der Toten - Dia de los Muertos“, einen Feiertag, dem im Mexiko alljährlich sehr große Bedeutung zugemessen wird. 2018 wurde „Coco“ bei den Golden Globes als bester Animationsfilm ausgezeichnet, im Rahmen der Oscar-Verleihung im selben Jahr erhielt „Coco“ ebenfalls diese Auszeichnung. Außerdem wurde das Lied „Remember Me“ als bester Filmsong prämiert.

Der Tod als Teil des Lebens gefeiert

Der „Dia de los Muertos“ ist einer der wichtigsten Feiertage in Mexiko. Die Vorbereitungen darauf beginnen schon Mitte Oktober, gefeiert wird am Vorabend von Allerheiligen (31. Oktober) bis zum Gedächtnistag Allerseelen am 2. November. 2003 ernannte die UNESCO das Brauchtum zum Tag der Toten zum Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit. 2008 wurde dieses sogar in die „Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit“ aufgenommen. Je nach Region wird dieser Tag in Mexiko auf unterschiedliche Art und Weise gefeiert. Es ist ein einzigartiges kulturelles Fest, bei dem in Vermischung mit dem christlichen Glauben Bräuche aus dem vorspanischen Mexiko gefeiert werden.

So werden beispielsweise um die „Dias de Muertos“ die Geschäfte und Straßen mit „Calaveras“ geziert – Skelette aus Pappmasche, Gips oder Zucker. Da der Tag der Toten in Mexiko keine Trauerveranstaltung ist, werden die Straßen mit Blumen als Symbol der Vergänglichkeit geschmückt. Skelette und Schädel stehen in den Schaufenstern, Totenschädel aus Zucker oder Schokolade, die Namen der Toten auf ihren Stirnen tragen, werden zum Verkauf angeboten. Traditionell ist auch das „Pan de Muerto“, das Brot der Toten, ein süßes Brot mit Anissamen, das mit Knochen und Schädeln verziert ist. Die sogenannten „Ofrendas“, die Totenaltäre oder Gabentische, die in den Wohnungen oder auch an öffentlichen Plätzen aufgestellt werden, bilden den Mittelpunkt der Feierlichkeiten. Darauf stehen persönliche Erinnerungsgegenstände, Fotos von den Verstorbenen, Kerzen, Blumen, Speisen und Getränke. Da am „Dia de los Muertos“ angeblich die Toten aus dem Totenreich in das Reich der Lebenden zurückkehren, gelten diese Gaben als Stärkung für die Verstorbenen, die zurückgekehrt sind.

Lockerer Umgang mit dem Tod

Volkstümliche Feste werden am „Dia de los Muertos“ organisiert. An den Toren werden Laternen aufgehängt, die Türen werden mit Kerzen, Blumen und Todessymbolen aller Art geschmückt. Die orangenfarbene „Cempasuchil“, auch als „Blume der Toten“ bezeichnet, wird zusammen mit Ringelblumen und gelben Chrysanthemen als Blumenteppich vom Haus bis zum Friedhof ausgelegt, damit die Toten den Weg zum Familienfest finden. In der Nacht zu Allerheiligen wird die Ankunft der verstorbenen Kinder, der sogenannten „Angelitos“ (Engelchen), erwartet. Am 2. November findet dann der Abschied von den Verstorbenen auf den Friedhöfen statt, wo musiziert, gegessen, getrunken und getanzt wird. Um Mitternacht sollen dann die Verstorbenen ins Jenseits zurückkehren, um im nächsten Jahr am „Dia de los Muertos“ wieder gemeinsam mit den Lebenden feiern zu können. Der lockere Umgang der Mexikaner mit dem Tod mag den Europäern etwas befremdlich erscheinen, er gehört aber zur mexikanischen Kultur.

Denn schließlich ist das, was auf dem ersten Blick recht makaber erscheint, nichts mehr als ein traditionelles Familienfest in Mexiko. Und gerade in diesen Tagen ist es an der Zeit, sich wieder „Coco“ anzuschauen, um sich mit einer anderen Kultur vertraut zu machen und das offene Verhältnis der Mexikaner zum Tod kennenzulernen. Beklagt wird heutzutage, dass das amerikanische „Halloween“ immer mehr Einfluss auf das traditionelle „Dia de los Muertos“ nimmt und vor allem die Jugend in Mexiko die Hintergründe der beiden Feste nicht mehr kennt.