Zuerst die Gotik, dann Sebastian Hann, und noch immer Symbolik

Architektin Heidrun König referierte reich zu Abendmahlskelchen

Der 300 Jahre alte und heute in Hermannstadt sichergestellte Abendmahlskelch der evangelischen Kirche von Leschkirch. Foto: Klaus Philippi

Hermannstadt – Nicht nur wohltuend, sondern auch spannend kann es sein, beim Abendmahl während des Gottesdiensts in einer Gemeinde der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) den von Person zu Person gereichten Kelch noch genauer zu genießen. Denn mit etwas Glück kommt dabei ein handgeschmiedetes Stück Geschirr sehr alten Datums zur Verwendung, das vielleicht sogar der Hermannstädter Kunstwerkstatt Sebastian Hanns (1644-1713) entstammt. Der wohlhabende Silber- und Goldschmied aus dem gegenreformatorischen Nordungarn seiner Zeit und der heutigen Slowakei erhielt in Hermannstadt und Region Arbeit, die ihm zu Berühmtheit verhalf. Heidrun König, Museumsleiterin der Kultur- und Begegnungsstätte „Friedrich Teutsch“ der EKR, hatte Montag, am 20. März, als Vortragende in Hermannstadt/Sibiu eine denkbar aufschlussreiche Erklärung für den exzellenten Ruf von Protestant Sebastian Hann im sächsischen Siebenbürgen parat. Kein anderes Gotteshaus als die gotische Liebfrauenkirche von Trier habe schon im 13. Jahrhundert den architektonischen „Sechspass“ geprägt, der binnen kürzester Zeit auch Richtmaß beim Schmieden von Kelchen und Gießen von Taufbecken werden sollte. Die Zahl Sechs nämlich ist heilig, ganz gleich, ob man die Eins, Zwei und Drei miteinander addiert oder multipliziert. Was auf einer Sechs steht, kann also nur gesund fußen.

Geselle und Nachfolger von Sebastian Hann in Hermannstadt war Johann Christoph Schwarz, dem der Aufstieg zum Meister bereits außerhalb Siebenbürgens bestätigt worden war. In Transsylvanien aber musste er seine Meisterprüfung nachholen, wozu Architektin Heidrun König nicht mehr sagen konnte, als dass „es hier so üblich war“.

Unverkennbar, dass der Sechspass im Fuß der Abendmahlskelche von Johann Christoph Schwarz sowie jüngerer Jahrhunderte nicht mehr ebenso stark wie an jenen von Sebastian Hann ausgearbeitet erscheint. Der 1723 handgefertigte Kelch von Leschkirch/Nocrich (siehe Foto), den auch der spätere Baron und Gouverneur Samuel von Brukenthal an den Mund führte, bekräftigt das Abschwächen der Gewohnheit, den Sechspass maximal zu betonen. Dennoch lässt er sich überall dort, wo er vor sehr langer Zeit einmal das heilige Maß war, eindeutig wiedererkennen. Kunsthistoriker Dr. Frank-Thomas Ziegler, Pressesprecher der Honterusgemeinde Kronstadt/Brașov und Vortragshörer von Heidrun König in Hermannstadt, gab den Tipp, der „Anspielung auf den Kelch“ besonders bei evangelischen Taufbecken aus vorreformatorischer Epoche nachzuspüren, worauf Theologin Dorothea Binder zwecks symbolisch näherer Erläuterung schlicht und ergreifend die neutestamentarische „Taufe in den Tod“ zitierte.

Der einschlägige Forschungsfokus unter den Siebenbürger Sachsen liege auf der Gotik, so Dr. Ziegler, weswegen Objekte des 16. und 17. Jahrhunderts im Schatten stünden, und Königs Vortrag „Vasa Sacra. Abendmahlsgefäße im Zeitalter der Konfessionalisierung“ unbedingt Würdigung verdiene. Auch an die vor einigen Jahren im Brukenthalmuseum veranstaltete Ausstellung von Artefakten der Danziger Goldschmiedekunst erinnerte Dr. Ziegler im Teutsch-Haus, was den Zuhörenden Dr. Alexandru Sonoc und Dr. Daniela Dâmboiu vom Kuratoren-Team des großen Nachbarn sehr gefallen haben dürfte.

Kurz vor Ende ihrer Ausführung schließlich lüftete Heidrun König das Geheimnis des Vortragsplakat-Motivs, wofür sie eine Christus-Medaille des 17. Jahrhunderts gewählt hatte, die seit Gedenken in die Boden-Rückseite eines Hermannstädter evangelischen Kelchs eingedrückt ist. Alles hat seine tiefere Bedeutung, wenn man nur danach sucht. Keine Frage außerdem, dass „es schon damals ein vereintes Europa gab.“ Siebenbürgen wurde oft Wahlheimat von Zugereisten. Bei aller Aufdeckung von Wissen aber hat die „terra incognita“ nichts von ihrem Reiz verloren. Noch nie war es einfach, das „theatrum mundi“ vollends bis in seine letzten Kulissen hinein zu begreifen.