Zur Repatriierung 1956 angemeldet

ADZ-Interview mit dem Theologen, Historiker und Politiker Prof. Dr. Dr. h.c. Paul Philippi (I)

Herzliche Glückwünsche zum 90. Geburtstag: Dr. Hans Klein gratuliert Dr. Paul Philippi.

Am 21. November wurde der Theologe, Historiker und Politiker Prof. Dr. Dr. h.c. Paul Philippi 90 Jahre alt. Am 23. November fand im Spiegelsaal des Forumshauses in Hermannstadt/Sibiu eine Geburtstagsfeier für Dr. Philippi statt. Im Vorfeld hatte er gebeten, keine Laudationes auf ihn zu sprechen, sondern Vorträge aus seinen Betätigungsbereichen zu halten. In seinen Dankesworten blickte Dr. Philippi auf die 90 Jahre seines Lebens zurück und sprach dabei einige der umstrittensten Punkte in seiner Biografie an. Näheres dazu erfragte Dr. Paul Philippi ADZ-Redakteurin Hannelore Baier in dem folgenden Interview, dessen Teil 2 in der morgigen Ausgabe erscheint.  

Sie haben sich zum 90. Geburtstag gewünscht, dass keine Laudationes gesprochen werden. Warum das?

Weil ich das peinlich finde, ständig gelobt zu werden, sobald man ein bestimmtes Alter erreicht hat. Ich hab Eitelkeiten bei Männern nicht gerne.

In Ihrer Dankesrede haben Sie einige der schmerzvollen Einschnitte und Momente in Ihrem Leben angesprochen, zum Beispiel, dass Sie Untersturmführer der Waffen-SS waren. In Ihrer Biografie wird angegeben, Sie seien bei der Wehrmacht gewesen. Warum sagen Sie jetzt, dass Sie eigentlich bei der Waffen-SS waren?

Ich weiß nicht, von welcher Biografie Sie sprechen. Meines Wissens  habe ich nie gesagt, dass ich bei der Wehrmacht war. Wenn es von anderen so gesagt wird, dann geschieht das wahrscheinlich darum, weil die Waffen-SS schlecht beleumdet ist und man mich, sowie die anderen aus meiner Generation, die dorthin geraten sind, schonen will. Das halte ich für verständlich, aber nicht für nötig. Dass wir alle, Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben, 1943 in die Waffen-SS eingezogen wurden, ist öffentlich bekannt, braucht also nicht versteckt zu werden. Ich habe es aber auch nie an die große Glocke gehängt. Wenn man mich freilich über meine Biografie befragt, muss ich es auch sagen, denn es gehört zu meinem Leben: Das habe auch ich durchgemacht – warum und wieso, darüber kann ich lang und breit erzählen, es liegt mir aber nicht daran, es auszubreiten. Ein Grund mehr, sich Laudationes zu verbitten.

Wir Nachgeborenen wissen nicht, wie es damals war, deshalb die Frage: Wie muss man sich die damalige Entscheidung vorstellen?

Es gab damals eigentlich gar keine „Entscheidung“. Wir sind vorher – wie das von uns erwartet wurde – in unserer deutschen Jugendorganisation gewesen: So wie unsere älteren Brüder im Coetus waren, wie unsere Bauernburschen selbstverständlich in der Bruderschaft waren, so gehörten wir zur DJ, der „Deutschen Jugend“. So sind wir auch in die Musterungslokale der Kommissionen hineingeraten, in denen man uns für die Waffen-SS rekrutierte. Wir sind damals als Generation, ohne gefragt zu werden, wie selbstverständlich mitgegangen. „Entschieden“ haben sich nur die wenigen Ausnahmen, die nicht mitgingen, um einen Sonderweg zu gehen. Das waren einerseits Söhne von Menschen mit Beziehungen. Ich denke z. B. an einige Kronstädter, die es durch ihre Beziehungen zum deutschen Generalkonsul erreicht haben, dass ihre Söhne ins Heer – aber eben auch zur deutschen Wehrmacht – einrücken konnten. Andere hatten die Segelflieger-Prüfung C gemacht und haben es dadurch erreicht, dass sie zur deutschen Luftwaffe kamen. In der Terminologie des rumänisch-deutschen Staatsvertrages wurden wir in die „Armata Germană SS“ überstellt. Im Selbstverständnis unserer Leute gingen wir nicht „zur SS“, sondern einfach „zu den Deutschen“.

Es haben sich dennoch einige entzogen und die wurden dann als Drückeberger angeschwärzt...

... und zum Teil waren sie es auch, muss ich sagen. Ich denke da z. B. an einen jungen Mann, der mit mir im gleichen Haus wohnte, der sich der Rekrutierung entzog, doch nicht etwa, weil er etwas gegen die Waffen-SS oder den Nationalsozialismus hatte, sondern weil er sich schlicht vorm Kriegsdienst drücken wollte. Das wollten wir – die meisten von uns – nicht.
Dass es auch Verweigerer aus Überzeugung gab, will ich damit nicht bestreiten. Es waren leider verschwindend wenige, die über das damalige Deutschland mehr wussten und auch persönlich so stark waren, sich dem Trend zu verweigern. Aber dass man Verweigerer beschimpft hat und ihnen die Häuser beschmiert hat, zeigt eigentlich die verzweifelte Seite der Waffen-SS-Rekrutierung: „Was?, du gehst nicht mit? und unser Hanzi muss gehen!“

Ich selbst habe da insofern eine kleine Sonderbiografie, als ich noch im November 1942 ein Gesuch an die Deutsche Volksgruppenführung gerichtet hatte – ich war ja nach dem Bakkalaureat im sogenannten Völkischen Dienstjahr (das war die vom Staat genehmigte Sonderform des „Lucru pentru folos obştesc“) und unterstand insofern der Volksgruppenführung – und forderte, entlassen zu werden, um ins rumänische Heer einzutreten. Das auf uns zurollende Geschehen um die Waffen-SS herum war mir aus verschiedenen Gründen nicht ganz geheuer, u. a. auch, weil mein Vater meinte, es ist nicht gut, wenn wir rumänischen Staatsbürger in einem anderen Land unseren Kriegsdienst leisten. Aber mit den anderen zusammen in den Krieg zu ziehen, das hielt ich für meine Pflicht.

Wo waren Sie im Einsatz und wie lange?

Ich war nur kurz im Fronteinsatz. Ich kam von der Rekrutenschule durch eine eigenartige Entwicklung auf die Unteroffiziersschule: Ich war zum Leiter des „Singens“ in der Rekrutenkompanie avanciert. Meine Kronstädter Kompaniekameraden hatten „verraten“, dass ich im Völkischen Dienstjahr an der Honterusschule Musik unterrichtet hatte. Bei einem Singwettbewerb haben wir dann den ersten Preis ersungen – übrigens mit einem sächsischen Lied. Als dann zwei Leute unserer Züge auf die Unteroffiziersschule kommandiert wurden, hat man auch mich ausgewählt, wahrscheinlich weil wir die Preisträger geworden waren. Von der Unteroffiziersschule wieder hatte ich mich an die Front gemeldet – denn das war meiner Meinung nach richtig und wichtig – aber da sagte man mir, lieber Freund, aus diesem Lehrgang können Sie jetzt nicht ausscheiden.

Sie können entweder den Lehrgang wiederholen (ich war lange im Lazarett gelegen) oder zur Offiziersschule weitergehen. So bin ich auf die Offiziersschule gekommen, von der Offiziersschule zum Zugführerlehrgang, vom Zugführerlehrgang ins Ausbildungsbataillon zurück und von dort wurden wir, vier neue sächsische Untersturmführer, für Spezialausbildungen (Nachrichtendienst, Schießausbildung etc.) eingeteilt und durften als solche längerfristig nicht versetzt werden, sodass ich erst 1945 an die Front kam. Dann allerdings sehr hart. Wir gingen mit einer Einheit von 1450 Mann an die Front und waren nach zwei Wochen nur noch 450.

Wo waren diese Unteroffiziers- und Offiziersschule?

Die Unteroffiziersschule war in Hallein in Österreich, die Offiziersschule in Braunschweig. Die ist über unseren Köpfen zerbombt worden, sodass wir von dort ins heutige Polen verlegt wurden. Von dort kamen wir nach Böhmen auf die Zugführerschule und dann zurück nach Graz.

An welcher Front waren Sie im Einsatz?

An der Ostfront.

Von dort sind Sie auch in Gefangenschaft geraten?

Am 6. Mai 1945 bekamen wir einen Rückzugsbefehl. Als wir an dem Punkt ankamen, an den wir uns hatten zurückziehen sollen, hörten wir im Radio, dass die Kapitulation ausgesprochen worden ist. Da haben wir versucht, mit dem Bataillon, mit dem wir gekämpft hatten, so schnell wie möglich nach Westen zu gelangen, was uns auf abenteuerliche Weise auch gelungen ist. Wir sind an die Demarkationslinie zwischen Russen und Amerikanern gelangt, wo die Brücke über die Enns inzwischen gesperrt war – die Amerikaner wollten keinen mehr zu sich hinüberlassen. Viele Offiziere haben sich dort – so sagte man uns – erschossen, weil sie nicht in russische Gefangenschaft geraten wollten. Ein Banater und ich – unser Bataillon hatte sich inzwischen aufgelöst – sind dann an der Enns entlang marschiert, bis wir, von Zivilisten geführt, durch eine Furt des Flusses gewatet sind und so zu den Amerikanern gelangten.

Wie lang waren Sie in Gefangenschaft?


30 Monate.

Warum kamen Sie nicht nach der Entlassung aus der Gefangenschaft nach Rumänien zurück?

Hier müsste ich jetzt die Geschichte von meinem Heltauer Kameraden Willi Morres einschalten, mit dem wir uns am 6. Mai 1945 vorgenommen hatten, uns nach Rumänien durchzuschlagen. Aber das führt zu weit. – Ich bin Ende Oktober 1947 entlassen worden. Da gab es keine Rückwanderungsmöglichkeit. Ich habe dann einfach das Studium begonnen und dann die erste geöffnete Türe genutzt – das war nach 1956 – um nach Ostberlin zu fahren, zur rumänischen Gesandtschaft, um mich zur Repatriierung anzumelden. Ich erhielt nie eine Antwort. Ich war dann 1958 erstmals zu Besuch in Rumänien und seither fast jedes Jahr.

Bereits Anfang der 1950er Jahre hatte ich Bischof Müller in Berlin getroffen und ihm gesagt, ich bin jeder Zeit bereit zurückzukommen. Bischof Müller sagte mir, wir brauchen dich, junger Mann, können dich aber noch nicht rufen. Sei geduldig, warte. Diese Aussage wiederholte er dann Jahr für Jahr. Als er dann gestorben war und Albert Klein Bischof wurde, sagte dieser mir bei seiner Einsetzung, bei der ich dabei war, er habe in Bukarest gleich gebeten, mich zurückrufen zu dürfen. Im Dezember 1969 rief er mich dann in Heidelberg an, ich möge einen Brief an die Rückwanderungsstelle in der Strada Cristian Tell Nr. 29 in Bukarest schreiben, dass ich bereit sei, in Hermannstadt als Gast zu dozieren. Das schrieb ich auch, allerdings mit einem Zusatz, den ich, wie Bischof Klein später meinte, nicht hätte schreiben sollen, und zwar: Ich müsse, wenn ich denn käme, auch dafür sorgen, dass meine Familie versorgt würde. Auf dieses Schreiben kam keine Antwort. Erst im Jahre 1978, als Ludwig Binder als Professor in Pension ging, konnte Bischof Klein mich als Gast rufen. Der Weg bis zur definitiven Rückkehr-Erlaubnis war aber noch lang und kompliziert.

Hatten Sie in Deutschland nicht erfahren, dass in Rumänien 1955 das Dekret erlassen worden war, das den ehemaligen rumänischen Staatsbürgern die Rückkehr erlaubte? Aufgrund dieses Dekrets sind einige Sachsen und Schwaben in den Jahre 1956-57 zurückgekommen.

Doch, deswegen war ich auch nach Ostberlin gefahren – damals konnte man ja noch frei hinfahren – um meine Repatriierung zu beantragen. Ich hatte die Repatriierung beantragt, aber in Berlin auch gesagt, ich möchte meine Habilitation – an der ich damals schrieb – vorher noch abschließen.