Die Burg bei Sokolar

In jener Zeit war Maria Theresia Kaiserin. Sie hatte im Gemeindeland von Sokolar eine Burg, und eine andere stand an der Donau, darin saß ihre Schwester. Die Burg von Sokolar hatten die Soldaten erbaut. Sie nahmen dazu die Steine aus dem Bachbett. Sie bildeten vom Bach bis hinauf eine Kette und reichten die Steine von Hand zu Hand. Und das ist ein garstiger Platz: nichts als Felsen und Gestrüpp.Es war unter den Soldaten ein Vater und dessen Sohn, aber sie kannten einander nicht. Der Vater stand oben, der Sohn um eine Stelle tiefer. Der Vater empfing die Steine vom Sohn. Da fragte der Vater den Sohn, wie er im Dorfe hieße und wem er gehöre.

"Hast du Eltern?"

Da sagte der Sohn:

"Ich wurde geboren , als mein Vater zum Militär aushob. Er ließ das Weib im Haus und das Kind in der Wiege und ist seither nicht mehr zu Hause gewesen."

"Und wer ist deine Mutter?"

Siehe, da entdeckte er, dass es sein Sohn ist.

Da überkam den Mann eine große Bitterkeit darüber, dass er sdo lange nicht mehr zu Hause gewesen, dass er einen erwachsenen Sohn hatte, den er noch nicht gesehen und nicht gekannt hatte, und dass dieser nun auch schon Soldfat geworden und zu demselben jammervollen Leben bestimmt war wie selbst.Un er erhob den Stein, den ihm der Sohn heraufgereciht hatte und erschlug mit dem Stein den eigenen Sohn.

"Ich habe ihn getötet, denn er soll lieber tot sein, als dass er sich quäle, wie ich mich gequält habe."So hat er später vor den Richtern ausgesagt.

Es war damals große Not und Knechtschaft, es gab keine Gerechtigkeit.Der Militärdienst dauerte lebenslänglich und es war kein Entkommen davon.

Von Ion Chișereu,75 (1956) einem Saskaer Bauern und Hirten, der seine Szallasch in der romantischen Nera-Schlucht hatte, beim Ziegenhüten am Fuß der Sokolaer Burg in rumänischer Sprache erzählt. Das uralte tragische Motiv des altdeutschen Hildebrandsliedes- der Vater tötet den Sohn-  (es kommt auch im Altpersischen bei Firdusi vor: Rustem und Zohrab) ist hier ins Soziale gewendet und zur fürchterlichen Anklage gegen die feudale Gesellschaftsordnung gestaltet. Ein Satz klingt fast wörtlich an das Hildebrandslied an: Er ließ die Frau im Hause , den Sohn in der Wiege ("kraft in bure, bamunwachsan"). Es handelt sich um eine echte Sage, von der auch anderswo Spuren auftauchen. Sie scheint in den Grenzdörfern des südlichen Banats kursiert zu haben.

 

Die List der Maria Theresia

Die Kaiserin Maria Theresia wurde in der Burg von Sokolar von den Türken belagert. Die Türken waren viel zahlreicher als die Besatzung der Burg. Deshalb beschloss Maria Theresia aus der Burg zu fliehen. Sie wendete eine List an. Sie ließ den Pferden die Hufeisen verkehrt auf die Hufe schlagen und verließ zur Nachtzeit mitsamt ihren Soldaten heimlich die Burg. Ein altes Mütterchen allein blieb in der Festung.Die machte im Burghof Feuer und ließ eine mächtige Rauchsäule aus den Mauern der Burg aufsteigen. Als die Türken am Morgen die Spuren der Pferde sahen, die vom Tal zur Burg hinauf zu gehen schienen, glaubten sie die Burg hätte Verstärkung erhalten, und als sie die Rauchsäule gewahrten, meinten sie, es würde dort für eine starke Militärmacht das Mahl gekocht. Sie wagten es nicht mehr die Festung anzugreifen und zogen ab.

Von der Burg von Sokolar ging Maria Theresia, nach Beendigung des KRieges, nach Rom in Italien.

Saskaer Überlieferung. Maria Theresia war natürlich nie in Sokolar. Aber Kaiser Sigismund weilte hier bis zwei Wochen lang anlässlich des Feldzuges gegen die Türken im Jahre 1428. Hier sei eine Bemerkung , die allgemein für alle Sagen gilt. Bei dem volkstümlichen Erzähler bezeichnet der Name Maria Theresia die graue, legendäre Vorzeit. Eichen, die drei-, vierhundert Jahre alt sind, heißen im Volksmund die Eichen der Maria Theresia; jede Burg ist eine Burg der Maria Theresia;die Römerstraße, die sich von der Unteren Donau gegen Lugosch zieht, ist ihr Weg; sämtliche alte Münzen, ob römisch oder türkisch, sind ihr Geld. Hie und da wird Maria Theresia mit der Gestalt der Gospoda Irina identifiziert, die aber auf keine byzantinische Kaiserin dieses Namens zurückgeht (wie der Historiker Pesty Frigyes mutmaßt) sondern auf eine Gestalt der serbischen Volksepik, die "Prokleta Jerina". Es ist vielleicht kein Zufall, dass die sagenhafte Vorzeit mit dem Namen einer weiblichen Gestalt, einer Mutter, einer Herrscherin bezeichnet wird.

Auszug aus "Oravița: Viziuni - Orawitza: Visionen" (Hrsg. Gheorghe Jurnma, Josef Erwin Țigla)