Grußwort des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Prof. Dr. Bernd Fabritius

Zur Gedenkfeier des Vorstandes des DFDR zum Beginn der Deportation von Rumäniendeutschen in die Sowjetunion vor 75 Jahren

„Alexander Tietz“-Zentrum Reschitza, 24. Januar 2020

Dr. Bernd B. Fabritius bei den Veranstaltungen in Reschitza. Foto: DFBB

Es ist für mich eine besondere Ehre und ein persönliches Anliegen, heute anlässlich der Gedenkfeier für die in die Sowjetunion deportierten Rumäniendeutschen als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten ein Grußwort halten zu dürfen.

Ich überbringe Ihnen die besten Wünsche der Bundesregierung, insbesondere von unserer Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und unserem Bundesinnenminister Herrn Horst Seehofer.

Wir müssen Sorge dafür tragen, dass wir angesichts der kollektiven Ungerechtigkeit und Gruppenverfolgung nicht vergessen, dass es alles Einzelschicksale sind, die sich hinter diesen oft nüchtern anmutenden Zahlen verbergen.

Auch mein Opa war eines dieser Einzelschicksale in der „Masse von Reparationsleistungen durch Menschen“. So erinnere ich ausdrücklich auch an die Bedeutung, die es für jede einzelne Familie, jeden einzelnen Freund, jede einzelne Dorfgemeinschaft hatte, wenn geliebter oder geschätzter Mensch und ganze Generationen einfach weggerissen werden!

Hinzu kommt, dass damals gerade erst ein Krieg überlebt worden war; die Freude , den Krieg überlebt zu haben, wich dem Schrecken der Deportation.

Die Verordnung des „Hohen Sowjetischen Kommandement“ von 16. und 17. Januar 1945 sah vor, dass Männer zwischen 17 und 45 Jahren sowie Frauen zwischen 18 und 30 Jahren aus der deutschen Zivilbevölkerung zur Deportation bestimmt seien. Zur Sollerfüllung - was für ein zynisches Wort! - wurden in ca. 10 % der Fälle auch jüngere und ältere Landsleute verschleppt. Die ältesten Verschleppten waren 55 Jahre alt, die jüngste bekannte Verschleppte war ein 13 Jahre altes Mädchen. Etwas mehr als die Hälfte der Deportierten waren Frauen und Mädchen. Eine Menschheitsschande, für die es keine Rechtfertigung gibt.

In Viehwaggons wurden viele von Ihnen in mehrwöchigen Transporten bei Kälte, primitivsten hygienischen Verhältnissen und mangelnder Versorgung in weit entlegene Gebiete verschleppt, meist in die Ukraine, aber auch nach Sibirien, in den Ural oder andere Weiten der Sowjetunion.

Die Verschleppten wurden auf 85 Lager verteilt. Dort arbeitete jeder Dritte im Bergbau, jeder Vierte im Bauwesen, die Übrigen in der Industrie, Landwirtschaft oder Lagerverwaltung. Die wenigsten erhielten Arbeit in ihren Berufen zugeteilt.

Die Arbeitslager vor Ort waren wie die ganze Region von der Kriegszerstörung gezeichnet und in keiner Weise geeignet, den vielen ankommenden Menschen ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen.

Die Kommunikation mit der Heimat war auf ein Minimum begrenzt: die Verschleppten durften höchst selten und nicht mehr als 25 Wörter, nach vorgeschriebenem Muster, an die Verwandten schreiben, zu Hause wusste niemand: Lebt er noch? Kommt sie wieder?

Was für ein körperlich und geistig entmenschlichtes Leben!

Nach einer jahrelangen Existenz unter den genannten Bedingungen und nachdem in den Vorjahren ausschließlich Kranke und Arbeitsunfähige die Arbeitslager verlassen durften und in die DDR oder nach Rumänien gebrachte wurden, wurden in den Jahren 1948 und 1949 auch die so lange überlebenden Zwangsarbeiter nach Hause geschickt. Mein Opa kam im Dezember 1949 wieder in Hermannstadt an. Verlaust, er wog als Mann im besten Alter noch 48 kg.

Ende 1949 wurden die Arbeitslager für Deutsche in der Sowjetunion aufgelöst.

Ein besonders hartes Schicksal hatten ca. 200 Deportierte, die erst zwischen 1950 und 1952 nach Hause entlassen wurden.

Tausende Deportierte überlebten Transport, Anstrengung der Zwangsarbeit und menschenunwürdige Lebensbedingungen nicht. Ihnen sind wir es in besonderer Weise schuldig, die Erinnerung an das damals Geschehene wach zu halten und aus der Geschichte zu lernen.

Nicht unerwähnt sollten wir lassen, dass viele aus der Zwangsarbeit Heimgekehrte nach ihrer Rückkehr ein anderes Rumänien vorfanden. Sie mussten nicht nur das Erlebte verarbeiten, sondern sich auch in einer politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich - oft auch familiären - ganz neuen Umgebung zurechtfinden.

Meine Damen und Herren, der damalige englische Premierminister Winston Churchill - der sicherlich in vielen Dingen auf der richtigen Seite der Geschichte stand - fragte angesichts der Berichte: „Warum so viel Aufhebens um die russische Deportation von Siebenbürgern und anderen in Rumänien?“. Genauso gut hätte er fragen können: „Warum so viel Aufhebens um Menschen?“ Aber die Briten ließen damals die Sowjets gewähren. Auf der Konferenz von Jalta wurde dafür der Begriff „Reparation durch Leistungen“ erfunden. Ein zynischer Begriff für Sklaverei auf Zeit.

75 Jahre ist es nun her, dass mit Beginn im Januar 1945 Rumäniendeutsche in die Sowjetunion verschleppt wurden. 75 Jahre - das ist nach unserem heutigen Ermessen ein Menschenleben.

Die überlebenden Zeitzeugen sind hochbetagt und bald wird es nicht mehr möglich sein, zu fragen: „Wie war es damals wirklich?“ Fragen wir sie, solange sie da sind. Es liegt bald an uns, den nachkommenden Generationen, diese Zeitzeugenschaft in die Zukunft zu tragen. Wir sollten dafür Sorge tragen, dass in Büchern und Zeitschriften, in Wissenschaft und Kultur, in digitalen Medien und im Fernsehen das Zeugnis der Zeitzeugen fortbesteht.

Sehr geehrte Damen und Herren, den Umgang des Nachkriegsrumäniens mit seinen Deutschen, bis zur Wende, habe ich hier noch nicht einmal erwähnt. Doch möchte ich zugleich auch einen Blick nach vorne richten: Spätestens nach der politischen Wende 1989 / 1991, als sie dieses durften, haben die Deutschen aktiv an der Gestaltung des modernen rumänischen Staates mitgewirkt, sich auf kommunaler und nationaler Ebene eingebracht - nicht nur für ihre eigenen Leute, sondern für alle Menschen in Rumänien. Nach Enteignung und Verschleppung, nach Auflösung der Schulen und Strukturen - wer hätte gedacht, dass ein Deutscher viermal zum Bürgermeister von Hermannstadt und anschließend zweimal zum Staatspräsidenten von Rumänien gewählt wird?

Die Deutschen haben ihre Hand ausgestreckt, um - ohne Schlussstrich unter die Vergangenheit aber mit zukunftsorientiertem Blick nach vorne - ihren Anteil zu einem gelungenen Gemeinwesen beizutragen, wie sie dieses, Jahrhunderte vorher schon getan hatten.

Ich denke, wir haben allen Grund, uns dieser positiven Entwicklung zu erfreuen und weiterhin gemeinsam daran zu arbeiten, dass sich die Zukunft Rumäniens und seiner Deutschen auch weiterhin gedeihlich entwickelt und der Fortbestand dieses wunderbaren zivilisatorischen und kulturellen Erbes in Europa - den Deutschen in Rumänien - gesichert wird! Die Unterstützung der Bundesregierung ist ihnen dabei nach wie vor sicher.