Huntigton redivivus

Die Agenda Saloniki von 2003 ist vergessen. Es ging um die EU-Integration des Westlichen Balkans. 2014 sollte ein Bezugsdatum werden: 100 Jahre nach dem Attentat von Sarajevo – in der internationalen Politik und Gegenwartsgeschichte der Ausgangspunkt allen Übels des 20. Jahrhunderts – sollte, vielleicht, die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen vieler (wenn nicht aller...) Balkanstaaten verkündet werden. Endgültiger Schlusspunkt des vergangenen Jahrhunderts und greifbarer Neubeginn der Neuzeit.

Keine Frage: das Integrationsprojekt war von Anfang an diskutabel, aber die EU hat schon Schwierigeres geschafft. Die Beitrittsperspektive ließ Serbien die bittere Pille Kosovo fast schon hinunterschlucken. Die Kroaten haben entschlossene Korrptionsbekämpfung betrieben (sogar einen Ex-Premierminister verhaftet) und trotz knöchernem Nationalismus Kriegsverbrecher ausgeliefert. Die Kroaten haben mit Serbien und Slovenien Grenzstreitigkeiten geregelt. Mazedonien hat der Beitrittsperspektive zuliebe das brüchige innnere Gleichgewicht gewahrt und seine Frustrationen gegenüber Griechenland und dessen internationaler Blockadepolitik gedämpft. Selbst Albanien hat eine Perspektive bekommen. Die rumänisch-ungarische Aussöhnung ist vorangetrieben worden. Die Lage der Türken in Bulgarien hat sich normalisiert.

Manchmal können allein schon Perspektiven zukunftsfördernde Politik begünstigen. Man denke an die Bravheit Rumäniens in der Vorbeitrittszeit, als die EU-Peitsche nur ein bisschen über den Köpfen der Politiker knallen musste und schon fanden sie flugs die europäischsten Lösungen in der Innenpolitik.

Griechenland, 1981 aus klar politischen Erwägungen und ohne vorbereitet zu sein in die EU aufgenommen - dahinter stand der nicht unbeträchtliche US-Druck – ist nun zum EU-Wackelfaktor und Euro-Rausschmisskandidaten geworden. Es hat bloß 30 Jahre gebraucht, um sich an seinen Finanzen so zu überfressen, dass die Regierung nur noch unter Brüsseler (oder direkt unter Berliner und Pariser?) Aufsicht regieren darf. Die Griechen kochen vor Haß über gegen den sie gängelnden Westen  – ob da die fundamentalistische Orthodoxie vom Berg Athos ganz unschuldig ist? – historische Klischees werden aufgewärmt, es geht zurück bis zum Großen Schisma von 1054.

Westeuropa fragt sich (über 30 Jahre zu spät), ob der Kapitalismus und die protestantische Ethik mit der Orthodoxie und dem Byzantinismus kompatibel sind und ob die „Verwestlichung“ Griechenlands, die kaum acht Jahre nach dem Ende des Obristenregimes begann, nicht gescheitert ist. Samuel Huntington mit seinem Bruch der Zivilisationen wird entmottet, nachdem jahrelang das zusammenwachsende Europa als Gegenargument hochgelobt wurde.

Das Scheitern des Griechenlandexperiments der EU zertrümmert die europäischen Perspektiven des Balkans. Und öffnet der Türkei, Rußland und dem arabischen Raum (auch China?) das Scheunentor zu Europa. Im Sezessionskrieg Jugoslawiens saßen noch in Dayton und Rambouillet die Schiedsrichter. Wo nisten sich die Kommenden ein?