Lob der Detailkenntnis

„Der Pope, sollte er sich waschen oder in ein Badehaus gehen, kann an jenem Tage keine Liturgie zelebrieren, und auch nach der Liturgie ist es ihm verboten, sich zu waschen. Und auch der Gläubige, wenn er sich waschen sollte oder ein Bad aufsuchte, müssen ihm die göttlichen Messgaben verwehrt werden.“ So lautet die Vorschrift 96 für Popen im 18. Jahrhundert, gültig bis weit ins 19. Jahrhundert hinein, festgeschrieben in den Kanons („glava“) der orthodoxen Kirche, als ritualisches Verbot von Wasser und Seife. Nachzulesen in einem neuen faszinierenden Buch der Forscherin Dr. Constan]a Vintila-Ghitulescu (CVG), die am Bukarester Geschichtsinstitut „Nicolae Iorga“ arbeitet[1] und systematisch die Geschichte des kleinen Mannes in den Donaufürstentümern erforscht und in Büchern[2] und in einer permanenten Rubrik in Andrei Plesus „Dilema Veche“ festhält.

Empfehlenswert sind ihre Bücher dank ihrer gründlichen Schulung nach Muster der französischen Historiker der Geschichte des kleinen Mannes (Jaques LeGoff, Fernand Braudel, Alain Corbin, Georges Vigarello usw) – sie hat zu seinem solchen Thema ihren Doktor in Paris gemacht – und weil sie systematisch und mit außergewöhnlicher Sach- und Detailkenntnis die uns weisgemachte Behauptung widerlegt, es gäbe über die Zeitspanne der Phanariotenherrschaft keine Dokumente. Keine Dokumente hieß es wohl, um ein gefälschtes Geschichtsbild zu retten – diese Erkenntnis kommt dem interessierten Laien erst jetzt, nachdem er auch bei anderen jungen Historikern nachlesen kann, worüber es angeblich „keine Dokumente“ gibt, jene des „Grupul de Reflexie asupra Istoriei Politice si Sociale“, dem auch die Autorin nahesteht.

Die Quellen der Gegenwart von Konsum und Freude im 18.-19. Jh. bestehen für diese Forscher in Quittungen, Erbschafts-, Preis- und Zolllisten, Bestellzetteln, Mitgiftaufstellungen und Testamenten, Ausgaben- und Abrechnungslisten, Korrespondenzen, Memoiren,  populärwissenschaften medizinischen Büchern, Kochrezepten usw. Aus ihrem enormen Detail- und Faktenwissen formen die Forscherin und ihre Freunde ein Bild der Vergangenheit Süd- und Ostrumäniens, das dem von den Koryphäen des heroisierenden rumänischen offiziellen Geschichtsbilds zwar nicht programmatisch widerspricht, aber durch jede einzelne Aussage das zusammengeschusterte Geschichtsbild infragestellt. Ob es sich um das Hygiene- und Umweltbewusstsein handelt, um Dreck („murdalâc“), Ungeziefer und Gestank in den Häusern und auf den Straßen von Bukarest und Jassy, um die Sauberkeit der Kleidung und um Höflichkeitskultur oder zwischenmenschlichen Umgang,  um die Wirkung herrschaftlicher Order - sehr viel von dem, was diese Art Geschichtsschreibung an die Öffentlichkeit zerrt, weckt Bezüge zum Heute.

Außerdem: Ich habe aus dem jüngsten Buch von CVG, mitgenommen als Urlaubslektüre, mehr und kurzweiliger gelernt über „alte rumänische Literatur“ (Ienachita Vacarescu, Dinicu Golescu, Anton Pann, Dimitrie Tichindeal, Damaschin Bojinca usw.) als in vier stinklangweiligen Hochschuljahren.

 


[1] CVG: „Patima si desfatare. Despre lucrurile marunte ale vie]ii cotidiene în societatea românesca. 1750-1860“, Humanitas (Serie „Istorie, Societate&Civiliza]ie), 2015

[2] „În salvari si în islic. Biserica, sexualitate, casatorie si divort în Tara românesca a secolului al XVIII-lea”; “EvghenitI, ciocoi, mojici. Despre obrazele primei modernitatI românesti, 1750-1860”