Schulabbruch mündet in Perspektivlosigkeit

Alternative sind Hausaufgabenhilfe und warme Mahlzeit

Mit viel Geduld und mit den Fingern als Rechenhilfsmittel – so verläuft der Nachmittagsjob von Ioana Petrea (im Bild).
Foto: der Verfasser

Cristi ist in der zweiten Klasse, Emil ein Jahr älter. Zusammen mit weiteren zehn Schülern sitzen sie in der Küche des Sozialzentrums in Bencecu de Jos, einem eingemeindeten Dorf der Gemeinde Bruckenau/ Pișchia. Für die meisten ist Kopfrechnen nur mit Hilfe der zehn Finger möglich, lesen und schreiben sind ein mühsames Unterfangen. Sie gehören mit denen, die die Statistiken trauriger Pisa-Studien für Rumäniens Kinder nach oben treiben. Der frühe Verzicht auf Bildung liegt in Rumänien vor allem bei Kindern vom Lande recht hoch. 16 Prozent sind es landesweit. Solche Statistiken werden von einer vor kurzem veröffentlichten Studie nur noch weiter ins Negative gedrückt: 42 Prozent der 15-Jährigen in Rumänien können zwar lesen, aber verstehen  den Text gar nicht oder nur mangelhaft, hieß es zuletzt beim rumänischen Bildungsminister Mircea Dumitru.

Vor allem Romakinder haben es schwer: „Ihnen kann zu Hause oft niemand bei den Hausaufgaben helfen, denn die Eltern haben in vielen Fällen selbst nie die Schule besucht“, sagt Augustin Iuga. Er vermeidet zwar das Wort „Roma“, mit „Gemeinschaft“ lässt er jedoch erkennen, um wen es sich dabei vorwiegend handelt.

Eine Sozialeinrichtung mit Tagesstätte, einem kleinem Kinderheim und eine Hausaufgabenhilfe führt er in Becencu de Jos, etwa 25 Kilometer von Temswar entfernt. Die Hilfsarbeiter, die er derzeit im Hof des Sozialzentrums beschäftigt, sind ebenfalls meist ohne Schulbildung, „deshalb finden sie keinen Job in einer Fabrik“, weiß Iuga. Um vorzubeugen, dass viele andere Kinder in eine solche Situation geraten, hat er des Sozialzentrum eingerichtet. Die Kommunikation mit den Eltern der Kinder sei „schwierig, weil sie sich nicht Rechenschaft geben, dass Schulbildung wichtig ist.

Ioana Petrea hat erst vor wenigen Monaten ihr Germanistik-Studium in Temeswar abgeschlossen. Vormittags unterrichtet sie deutsch an einem Kindergarten in der Kreishauptstadt, nachmittags muss sie Alleskönnerin in der Hausaufgabenhilfe in Bencecu de Jos sein. „Es gibt Kinder, die sind zehn Jahre alt und haben noch nie die Schule besucht“, beschreibt sie einen triste Realität des Jahres 2016. Zwischendurch muss sie auf der gesamten Bandbreite vorgehen. Mathematik üben, Schreibübungen überwachen und den ein oder anderen zum Mitmachen ereifern – denn es gibt schon mal einen, der an einem Tag gar nichts machen will. „Spielen wolle er“, sagt er mürrisch.

„Ohne Ausbildung bleiben die Kinder im Teufelskreis der Armut“. Auch der Staat sei stärker gefordert, um den Schulabbruch vorzubeugen, sagt Mechtild Gollnick, von Hilfe für Kinder. Projekte wie dieses, in dem sozialschwache Kinder über schulische Bildung auch eine Perspektive für den Arbeitsmarkt und für ein geregeltes Leben erhalten, unterstützt die Deutsche, die in Temeswar heimisch geworden ist, besonders gerne. „Die Eltern selbst haben keine Hoffnung, dass sich im Leben der Kinder mal was ändern könnte, wenn diese die Schule besuchen“, sagt die Frau, die einst als Oberstudienrätin über das Lehrerentsendeprogramm nach Temeswar kam, um dann vor Ort zu bleiben und sich sozialen Projekten zu widmen. Das Kinderheim und die Hausaufgabenhilfe für lern- und sozialschwache Kinder in Bececu de Jos ist nur eines von vielen Projekten, die Mechtild Gollnick in den letzten Jahren unterstützt hat und auch weiter aus Geldern westeuropäischer Sponsoren fördert.

Während Mechtild Gollnick mit dem Heimleiter spricht, das mitgebrachte Obst auspackt, und weitere Unterstützung zusagt, kommen zwei Mädchen der 8. Klasse aus der Dorfschule in die Einrichtung. „Manchmal schauen auch die Schüler aus höheren Klassen vorbei, denn nicht alle kommen mit den Hausaufgaben zurecht“, spricht Pädagogin Ioana Petrea aus ihrer kurzen, jedoch vielsagenden Erfahrung. Aber zunächst bedienen sich die beiden Mädchen ersteinmal an Herd und Küchentisch, denn nicht wenige kommen in solche Zentren, „weil es auch eine warme Mahlzeit oder ein Butterbrot gibt“, weiß Mechtild Gollnick.