Sehnsucht nach Übervätern

„Dieser Lucian Boia soll sich schämen, solcherlei Blashemien seines Volkes veröffentlicht zu haben!“ Der Satz der Unverbesserlichen dröhnt in den Ohren und erinnert an alle Widersprüche, die wie Huntingtons Clash of Civilisations dieses Volk spalten. Die Unverbesserlichen müssen nicht mal Ultranationalisten sein. Es sind Opfer von Selbstdefinitionen des rumänischen Volkes, die aus der Entstehungszeit des Nationalstaats stammen – das 19. Jahrhundert (aber bei den Rumänien gab es parallel das Erwecken des Nationalbewusstseins im Vielvölkerstaat Kakanien und die nationale Ernüchterung der Siebenbürger, Banater, Bukowiner und Nordwestrumänen, als sie mit ihren Brüdern aus den Donaufürstentümern vereint wurden) – und Potenzierungen durch den Nationalkommunismus der Ceauşescu-Ära.

Um in diesem Spiegel zu schauen, muss man sich zuerst den euphorisch kreischenden Ex-Dissidenten Mircea Dinescu mit weit aufgerissenen Augen im  Fernsehen des Dezember 1989 vergegenwärtigen, der, das Victory-Zeichen Churchills in die Kameras reckend, brüllt: „Brüder, wir haben gesiegt!“ Dann den Ausnahmeschauspieler Ion Caramitru in der postrevolutionären provisorischen Führung, der Dinescu vor laufender Kamera mahnt: „Mircea, tu so, als ob du arbeiten würdest!“

Von jener Euphorie und von dieser Mahnung geht viel vom postrevolutionären Dilemma der Gegenwartsbürger Rumäniens aus (auch die bis heute unbeantworteten Fragen: „War es nun oder war`s keine Revolution?!“/“A fost sau n-a fost revoluţie!?“ und „21.-22. – wer schoß auf uns?!“/“21-22 – Cine a tras în noi?!“). Aber auch die offen vom damaligen Präsidenten Ion Iliescu unterstützten Rüpelknüppeleien der Schiltalkumpel auf Bukarester Intellektuelle und klassische Rechtsparteien und die präsidial diktierten Verzögerungen der dringenden wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen (Iliescu: „Marktwirtschaft? Flausen!“).

Denkt man die Bewusstseinssituation weiter, kommt spontan die unkritische Bewunderung des Abendlands ins Gedächtnis und die totale Verachtung des eigenen Lands: „Bei uns, wie bei niemand sonst!“/“Ca la noi la nimeni!“, aber auch das in der Endphase der Saufgelage in der Dorf- und (Vor)Stadtkneipe übliche „Wenn`s uns am schlechtesten geht, soll`s uns sein wie jetzt!“/“Când ne-o fi mai rău, să ne fie ca acum!“ Denn „Wie bei uns, so bei niemand sonst!“/“La noi ca la nimeni!“. Von daher das resignierte „Bei uns geht das nicht!“ Davon abgeleiteten Formeln werden angewandt, wenn es um die gescheiterte EU- und Schengen-Integration, ums Abrufen der EU-Unterstützungen, um die (finanziell-wirtschaftliche, nicht technische!) Unfähigkeit zum Autobahnbau oder die fehlende Vorhersagbarkeit der Rechts- und Wirtschaftsgesetze geht.

Von dem bis zur Ablehung EU-Europas – die EU-Skepsis steuert auf Tiefpunkte zu – zum neuen Trotznationalismus und einer sachten Neuzuwendung zu östlichen Übervätern ist nur noch ein Schritt.

Die Sehnsucht nach Übervätern ist Rumänien nie abhanden gekommen.