Tradition stellt auch Hygienevorschriften in den Schatten

Josefstädter Marktplatz zwischen Moderne und Überlebenskunst

Südfrüchte verkauft auf dem Josefstädter Markt so gut wie keiner. Der Absatz für teure Produkte fehlt auf jeden Fall. Einheimische Produkte lassen sich gerade noch verkaufen.

„Plaatz, Plaaatz da!“, fast gellend kommt der Schrei aus der Kehle des Mannes, der mit einem vollbeladenen Karren Kartoffeln transportiert. Dabei steht ihm eigentlich niemand im Weg, als es in leichter Neigung abwärts geht. Eine kleine Wasserlache erinnert, dass möglicherweise etwas für die Bodenhygiene getan wurde, dann ist der eiserne Karren mit Deichsel in der Halle. In diffuses Licht getaucht ist kurz von sechs Uhr an diesem Morgen im August die Halle des Josefstädter Marktplatzes, die meisten eng beieinander stehenden Tische auf dem „Iosefin“ sind bereits belegt. Im Klartext heißt das, dass vom Vortag übrig gebliebene Ware auf den Tischen liegt, über Nacht mit Decken zugedeckt. „Das Abdecken tut der Ware bei der Hitze doch gar nicht gut“, versuche ich es fachmännisch. „Gegen Diebstahl schon“, kommt lächelnd die Antwort von meinem Gegenüber, der abwechselnd aus zwei Halbliterflaschen mit brauner Flüssigkeit trinkt. Und bestimmt ist das nicht zweimal Kaffee. Ich selbst falle mit meiner Schlenderei nicht auf, weil zu dieser frühen Stunde kaum jemand überhaupt etwas kauft. Die, die sich zwischen den engen Tischen durchschlängeln, sind eher Neugierige, die aus Gewohnheit „mal vorbeischauen“.

 

Billigjob Gemüsebauer

 

Rote Tomaten, von denen nur ein paar auf ein Kilo gehen, poliert und mit Preisschildchen versehen, stellt die Frau aus Parneava im Verwaltungskreis Arad vor sich auf. „Seit 30 Jahren komme ich immer hierher, nach Temeswar und auf den `Iosefin´“, im alten Stadtviertel der Josefstadt. Am Geldbündel, das sie unter der Schürze hervornimmt und noch einmal durchzählt, zu urteilen, sind das ihre Einnahmen aus den vergangenen Tagen. „Mit Tropfberieselung haben wir die Ernte erzielen können“, sagt sie und zeigt stolz auf ihre Ware. Doch insgesamt ist der Absatz eher dürftig: „Die Leute haben kein Geld“. Und dieser Marktplatz gehört unweigerlich zu den bekanntesten weit und breit, denn früher, als auf dem Dorf ein Autokauf wie ein kleines Dorffest aussah, kamen die Bauern mit ihrer Ware am Temeswarer Nordbahnhof an, und bis zum Marktplatz in der Josefstadt sind es weniger als zehn Minuten Fußweg. „Zwischen vier und fünf Uhr begann früher das Treiben auf den Gemüsemärkten und damals konntest du alles verkaufen, was du hingebracht hast“, sagt eine Frau und setzt fort: „heute geht gar nichts mehr“. Derzeit ist um sechs Uhr so gut wie gar nichts los auf dem „Platz“, wie ihn liebevoll die alteingesessenen Temeswarer nennen. Und eben diese Alteingesessenen sind auch die Hauptkunden. Sie denken noch traditionell, und auch wirtschaftlich, denn die Ware ist hier um einiges billiger als im Supermarkt. Und der Kaffee und die „Pleskavi]a“ auch: also zusammen vier Lei, was drei Straßen weiter nicht einmal für ein „Tässchen Kaffee“ reicht.

 

Marktgetummel beginnt heute später

 

Nur zögerlich werden um sechs Uhr die Verkaufsbuden geöffnet, Einkehr ist zu dieser frühen Stunde nur in einem Café gestattet. Punkt sechs Uhr die Kaffeestube am Marktplatz – die pünktlich geöffnet hat, denn die Kunden sind da und die Konkurrenz aus den Kiosks schläft noch. Eine missmutige Bedienung sitzt hinter dem Tresen, mit einer Mine, die ein Verzicht auf Trinkgeld fast voraussagt, schenkt sie den Kaffee ein – ein  Glück, dass sie Übung darin hat, denn ihr Blick ist vorwiegend auf den Nachrichtensprecher im Fernsehen gerichtet. Der Kaffee übertrifft bei weitem meine Erwartungen in Sachen Geschmack; das kleine Trinkgeld ist für die Bedienung fast wie Sommerschlussverkauf im April. Freundlicher als zuvor wird der Blick jedoch nicht. „50 Bani Trinkgeld“, staunt der Gast neben mir, „bei dem Preis von 2,50 Lei pro Tasse sind das ja 20 Prozent“, rechnet er geübt bei seinem Job als Gemüsehändler. Das auffallendste am gesamten Lokal ist das Hinweisschildchen auf einem Tisch, mit dem sich Betreiber und Bedienung das Recht vornehmen, die Kunden auszuwählen, die an dem Tisch Platz nehmen dürfen.

 

Schleppender Absatz

 

Marktplätze haben nun mal ihre ureigene Art zu funktionieren und trotzdem ist ein Wandel nicht von der Hand zu weisen. Die Konkurrenz durch die Supermärkte macht sich gerade bei einem auf traditionelle Kundschaft bauenden Marktplatz, wie jenem in der Temeswarer Josefstadt, auf Schritt und Tritt bemerkbar. Die Dürre drückt dem Wandel ihren zusätzlichen Stempel auf – manch Bauer wird an den Rand des Ruins gedrängt. „Wer keine Möglichkeit zur Bewässerung hatte, musste wegen ausfallenden Regens mit erheblichen Ernteeinbrüchen rechnen“, sagt ein Bauer. Die zusätzlich in diesem Jahr entstandenen Kosten kann er jedoch nicht auf den Kunden abwälzen: „Wir verkaufen zum gleichen Preis wie im vergangenen Jahr“, sagt er. Und dieser Preis liegt unter dem, was im Supermarkt das Kilo kostet, ganz egal, ob es nun Kartoffeln, Möhren oder Tomaten sind. Der Käufer spart manchmal nur 20-30 Bani pro Kilogramm, andermal ist es ein Leu oder mehr... „Nicht unbedingt des Geldes, sondern der Tradition wegen“ kauft die zirka 55 Jahre alte gut gekleidete M²rioara auf dem Josefstädter Markt ein. „Ich fürchte, es geht was verloren, wenn der Markt eines Tages nicht mehr da steht, oder wenn er umgebaut wird“. Die eng bei einander stehenden Tische, die Käsehändler, die bis zur Begabrücke reichenden Tische mit Melonen, all dies sieht sie eines Tages verschwinden. Dabei wird Käse in der gleichen Halle verkauft wie staubiges Gemüse, die Stücke werden mit der Hand direkt angefasst, dann der Stuhl zurechtgerückt, und dann kommt wieder der Käse dran. Einer der wenigen Schwarzhändler, die den Mut bis auf den Markt haben, wird vom Melonenverkäufer gewarnt, als die Polizeistreife vorbeifährt. Auch so kann Solidarität auf dem Bauernmarkt aussehen.

Es ist später Nachmittag. Die Bauarbeiter am künftigen Gebäude der Josefstädter Markthalle haben wieder Mal Pause: Vielleicht nicht unverhofft, dass die angegebene Bauzeit von einem Jahr verflossen ist und auch die auf zwei Jahre festgesetzte Baugenehmigung im September erneuert werden muss. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sieht es nach Trödelmarkt aus – illegal natürlich. Da harren noch die Verkäufer von Unterwäsche, Bürsten und kleinen Bohrmaschinen, nach einer Absatzgenehmigung fragt hier – so die Aussagen – niemand. Die Schwarzhändler vertreiben noch immer ihre Zigaretten, diskret aber kontinuierlich. An Kunden fehlt es nicht. Nur drüben in der Halle, türmen sich noch immer Kartoffeln, Tomaten, Melonen. Der eiserne, vom Zahn der Zeit mitgenommene Karren rattert erneut durch die Gegend. Einziger Unterschied. Es geht nun in entgegengesetzte Richtung, zum Abtransport der unverkaufen Ware. „Plaatz, Plaaatz“!