Das Ende der eigenständigen Stadtrepublik Kronstadt (I)

Bürgeraufstand (1688) und Stadtbrand (1689) / Von Thomas Şindilariu als Einleitung zur Chronik von Marcus Fronius

Der Große Stadtbrand vom 21. April 1689, vor genau 325 Jahren, ist als eine der größten Einschnitte in der Geschichte von Kronstadt einzuordnen. Die näheren Umstände aber auch der größere politische Kontext machen es unmöglich, den Stadtbrand gleich einer Naturkatastrophe, etwa einem Erdbeben, aufzufassen. Zu widersprüchlich ist die Quellenlage zu vielsagend das Schweigen der Quellen zu zentralen Punkten des Brandgeschehens, zur Vor- und Nachgeschichte des Brandes, als dass man ihn als zufällige Tragödie in der Stadtgeschichte auffassen und einordnen könnte. Anders ausgedrückt, Zeitpunkt und Ausmaß des Brandes, der ca. 80 Prozent der befestigten Inneren Stadt aber auch Teile der Oberen Vorstadt erfasste, machten ihn zum heiklen Politikum – ein Tatbestand, der gleichermaßen die zeitgenössische Chronistik wie auch die Geschichtsschreibung beeinflusst hat. Eingehende Bearbeitungen der Thematik liegen v. a. von Friedrich Philippi (1878), Maja Philippi (1984 und 1996) und Gernot Nussbächer (2005) vor.

Der politische Stellenwert des Brandgeschehens erwächst aus der Tatsache, dass er Teil des Kriegsgeschehens war. Das Vorgefallene würde heute unter dem Oberbegriff „Kollateralschaden“ diskutiert werden. Geprägt im Kosovo-Krieg, um die angeblich versehentliche Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad durch die NATO zu verharmlosen, wurde der Begriff von der Gesellschaft für Deutsche Sprache 1999 zum Unwort des Jahres erklärt. Er eignet sich für die Kronstädter Brandkatastrophe auch deswegen so gut, da er als Wortungeheuer die heiklen Fragen nach Schuld, Vergeltung, Loyalität und Beschützung, tatsächlicher wie vermeintlicher, nicht beantworten kann. All diese Momente prägen den in deutscher Übersetzung hier neuerlich veröffentlichten Bericht des damals dreißigjährigen Privatlehrers, Marcus Fronius (Kronstädter Stadtpfarrer 1703-1713). Hinzu kommt sein Bemühen, das Geschehene theologisch zu verarbeiten und einem seelsorgerlichen Nutzen zuzuführen.

Fest in der Tradition der lutherischen Orthodoxie Wittenberger Prägung stehend, interpretierte Fronius die rational nicht fassbaren Vorgänge als gerechte Strafe Gottes, selbst wenn ihm die Beziehung von Ursache und Wirkung in vielen tragischen Einzelschicksalen nicht erkennbar waren, um für die Überwindung der Situation die Bereitschaft zu ehrlicher Buße zu empfehlen. Damit stehen in einer frühen Form die zentralen Themen der Theologie von Marcus Fronius vor uns. Gerade an der Frage der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit hinsichtlich der Buße aber auch allgemein ist das auf soziale Disziplinierung ausgerichtete Wirken von Fronius als Kronstädter Stadtpfarrer festzumachen. Tadel und Kritik an allen sozialen Schichten, aber auch ganz dezidiert an der Stadtobrigkeit, der Fronius einen ganz wesentlichen Anteil der Schuld an der katastrophalen Lage der Stadt an der Wende zum 18. Jahrhundert gibt, ist überaus häufig in den überlieferten Predigten von Marcus Fronius zu finden. Grundlage seines Kalküls war es, dass nur im Falle eines neuerlichen Schulterschlusses zwischen der Stadtobrigkeit und den Mittel- und Unterschichten eine Rückbesinnung auf die gemeinsamen althergebrachten bürgerlichen und mithin ständischen Tugenden möglich sei, auf deren Grundlage allein der Wiederaufbau der Stadt zu bewerkstelligen sei. Der Wille zu konfessionellem und sittlichem Beharren zieht sich denn auch wie ein roter Faden durch die Formensprache des Wiederaufbaus der nunmehr Schwarzen Kirche und ist beredtes Zeugnis für den Erfolg des Wirkens der Generation von Marcus Fronius und der folgenden.

Doch was war geschehen? Die 1683 fehlgeschlagene zweite Belagerung von Wien durch türkische Heeresverbände leitete die langwierige kriegerische Zurückdrängung der Osmanen aus dem historischen Ungarn, zu dem auch Siebenbürgen gehörte, ein. Der seit dem Untergang des mittelalterlichen Königreichs Ungarn in der Schlacht von Mohatsch 1526 währende osmanisch-habsburgische Konflikt um den Donau-Karpatenraum war bis zum Ende des 17. Jahrhunderts weder zu einer Entscheidung, noch zu einem Friedensschluss gelangt. Allenfalls zeitlich begrenzte Waffenstillstände, wie jener für die Zeit 1663-1683, waren in diesem Konflikt üblich. Siebenbürgen hatte um die Mitte des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Versuche der Errichtung einer dauerhaften habsburgischen Herrschaft in Siebenbürgen erlebt und in keiner guten Erinnerung behalten. Die logistischen Probleme dieser Versuche waren enorm, hinzu kam das gegenüber den Verfassungsprinzipien des Fürstentums Siebenbürgen – die auf einem ständisch-nationalen und konfessionellen Ausgleich ruhten – rücksichtslose, auf absolutistische Herrschaftserrichtung zentrierte arrogante wie überaus kostspielige Auftreten der habsburgischen Macht.

Die wenig ausgesprochene Hoffnung im protestantisch dominierten Fürstentum Siebenbürgen war daher, dass dieser neuerliche Versuch der habsburgischen Herrschaftserrichtung in der zweiten Hälfte der 1680er Jahre, gemäß der bisherigen Erfahrungen, möglichst bald und möglichst ohne Veränderungen des status quo ante wieder vorbei gehen möge. Entscheidenden Anteil an diesem Wunschdenken hatte die Kenntnis vom überaus brutalen Vorgehen der habsburgischen Macht gegen die Protestanten in Oberungarn, der heutigen Slowakei. Namentlich der 1687-88 als Kommandierender kaiserlicher General von Siebenbürgen fungierende Graf Antonio Caraffa hatte sich in antiprotestantischen Exzessen den Ruf außergewöhnlicher Grausamkeit zugelegt. Das von ihm angestiftete sogenannte „Blutgericht“ von Eperiesch übersteigt die Vorstellungskraft selbst moderner Horrorfilme und kann allenfalls mit den Perversitäten in den Folterkellern totalitärer Regime verglichen werden. Das wusste und fürchtete man in Siebenbürgen. Doch Furcht allein erklärt das unterwürfige Ver-halten der siebenbürgischen                       ständischen Gesellschaft nicht.

Das absolutistische Staatswesen unterscheidet sich vom ständischen Organisationsprinzip vor allem in der Wehrverfassung. Militärisch war ein Ständestaat, wie es Siebenbürgen bisher gewesen war, auf der Grundlage des ständischen Aufgebots organisiert. Das heißt, dass nach einem auf bestehenden Rechtstiteln aufgebauten Verteilungsschlüssel jede Ortschaft im Kriegsfall eine bestimmte Anzahl von Bewaffneten und klar definierte Leistungen zu erbringen hatte. Auch wenn die Praxis hiervon je nach Gefahrenlage teils erheblich abwich, so war dieses Prinzip in Siebenbürgen bisher allgemein anerkannt und von niemand in Frage gestellt worden. Für eine Stadt wie Kronstadt bedeutete dies, dass die militärische mit der zivilen Gesellschaft identisch war – drohte Gefahr, griffen die Bürger zu den Waffen, die Modernisierung der städtischen Befestigungsanlagen, um mit der militärtechnischen Entwicklung, vor allem mit der wachsenden Feuerkraft der Artillerie Schritt halten zu können, war ein Fixpunkt in der Orientierung des städtischen Gemeinwesens und hatte dies über Jahrhunderte hinweg geistig rege und aktiv gehalten.

(Fortsetzung folgt)