Die Stimmen, die man hört

Band über rumänische Straßenproteste vorgestellt

Cosmin Pojoranu bei der Vorstellung des Bandes im „HOF“-Cafe

Die Ausstellung mit Fotos von den Protesten kann bis Sonntag, den 6. August, besichtigt werden.
Fotos: die Verfasserin

Facebook und Smartphone – das sind die Instrumente, die zum Veranstalten einer Straßendemonstration heutzutage beitragen und sie spontan möglich machen. Kein Anführer ist nötig. Anführer ist das Bewusstsein. Der Drang der Rumänen, ihren Unmut gemeinsam zu zeigen, ist in den letzten Jahren gestiegen. Seit 2012 protestieren immer mehr Menschen öffentlich und es sieht so aus, als würden ihre Stimmen gehört. Proteste haben Minister gestürzt, die Regierung gestürzt, Gesetzesprojekte zurückgezogen. Sie sind zu Massenbewegungen geworden, in denen die Teilnehmer das Gefühl von Zugehörigkeit und Gemeinschaft entwickelt haben. Abgesehen von den Gewerkschaftsprotesten waren es meist junge Leute, Bewohner von Großstädten, die sich auf die Straße trauten. Es folgten auch Eltern mit Kindern. Erst in den letzten Jahren machen sich auch viele ältere Personen bemerkbar. Das erfahren wir aus einer ausführlichen soziologischen Studie und über 260 professionellen Fotografien, die im Band „Protest“ zusammengefasst sind, der am Freitag, dem 28. Juli, im Kronstädter Cafe „HOF“ vorgestellt wurde.

Die Studie von Daniel Sandu und das visuelle Material im Band zeigen die Evolution der Straßenproteste aus Rumänien seit dem Beitritt zur Europäischen Union. Wenn sich im Jahr 2007 rund 3000 Protestler im ganzen Land gegen die Suspendierung von Traian Băsescu äußerten, so sind es heuer knappe 500.000 Leute, die in mehreren Groß- und Kleinstädten in In- und Ausland gegen die umstrittene Eilverordnung Nr. 13 friedlich demonstrierten.
 

2012- das entscheidende Jahr für die Straßenproteste

„Ohne Unterstützung seitens der Bevölkerung waren die Proteste vor 2012 politisch relativ unwirksam“ erklärt die Studie. Erst die vorgesehenen Änderungen im neuen Gesundheitsgesetz haben die Menschen persönlich angesprochen, sodass über 13.000 Demonstranten in Bukarest und weiteren 51 Städten ihre Meinung laut äußerten. Die Zivilgesellschaft ist erwacht. Anfangs kam es zu heftigen Zusammenstößen, mit der Zeit waren die Demonstranten bestrebt, gewaltlos zu protestieren. Als Premierminister Emil Boc infolge der Proteste zurücktritt, erkennt die Straße ihre Macht im Entscheidungsprozess des Staates. Es folgen große Aufstände gegen Roşia-Montană und das Anti-Fracking, die allein in Bukarest knapp 15.000 Protestler zu aktiven Zivilbürgern machte. Das Gesetzesprojekt wurde zurückgezogen. Das ermutigte 2014 die Rumänen im Land sowie in Europa und den Vereinigten Staaten zu einer Massenbewegung, die die Regierung stürzte.

Es sieht nun so aus, als sei das Protestieren gegen Ungerechtigkeit und Disfunktionalität absolut normal und dass die Politiker die Meinung der Bürger beachten, besonders nach dem Zusammenkommen der Leute anläßlich der Colectiv-Tragödie, oder nach den Protesten für den Rückzug der umstrittenen Eilverordnung Nr. 13, die Anfang des Jahres 500.000 Menschen ärgerte. Die Eilverordnung Nr. 13 strebte Änderungen des Strafgesetzbuches vor und eine Gesetzesinitiative zur Begnadigung angeklagter Amtsträger wegen Amtsmissbrauch.
„Der Kronstädter Arbeiteraufstand 1987, Auslöser des Sturzes der Diktatur, ist der Grund, warum wir den Band ausgerechnet hier vorstellen“, sagte Cosmin Pojoranu von Funky Citizens, einer Nichtregierungsorganisation, die sich für Zivilrechte einsetzt und das „Protest“-Projekt unterstützt. Der Band kommt frisch aus der Druckerei und soll als Dokument für die kommenden Generationen dastehen, erklären die Herausgeber von Documentaria, einer Plattform für Dokumentarfotografie.

Der Band ist zweisprachig, Rumänisch und Englisch, und bietet Smart-phone-Besitzern die Chance mit „A“ (von App) beschriftete Fotos und kurze Videos von den Protesten mithilfe einer kostenlosen App auf dem Smartphone-Bildschirm anzusehen. Die Fotoalben können online auf documentaria.ro für den Preis von 110 Lei bestellt werden.