Die tieferen Schichten der Menschlichkeit

Vor vierzig Jahren starb Franz Karl Franchy in Wien

Bis dahin hat Franz Karl Franchy – ebenfalls vierzig Jahre hindurch – als freitätig schaffender Schriftsteller in Österreich Beachtung finden können. Er hat eine Reihe wertvoller Werke geschaffen und ist dafür mit Literaturpreisen und Würdigungen bedacht worden.

Zahlreiche Literaten wie Karl Kurt Klein, Harald Krasser, Hans Wühr, Hermann R. Leber, Hans Bergel, Ludwig Zoltner u. a. gehen auf das dramatische, aber auch auf das epische Werk des Dichters ein.
Über die einheimische Presse habe auch ich mich in bescheidenem Rahmen um sein Bekanntwerden in unseren Breiten bemüht. Es geschah aufgrund meines flüchtigen Briefverkehrs mit F. K. Franchy und des längeren Briefwechsels mit dessen Bruder, des verdienstvollen Bezirksanwalts von Bistritz, Viktor Franchy. Meine Aufsätze erschienen im Neuen Weg, in der Karpatenrundschau und in der Hermannstädter Zeitung, zuletzt in dem 1992 bei Kriterion erschienenen Band „Die rumäniendeutsche Literatur in den Jahren 1918 bis 1944“, herausgegeben von Joachim Wittstock und Stefan Sienerth.

Ich nehme auch diesmal die Gelegenheit wahr – jetzt unter anderen Voraussetzungen –, das Augenmerk, besonders auf Franchys Heimat bezogenes Werk zu lenken.

Es handelt sich genauer gesagt um die Erzählung „Die Mafta“ und um die Romane „Maurus und sein Turm“ und „Abel schlägt Kain“. Ich würde es zur Ehrenpflicht unserer Verlage rechnen, wenn sie sich dieser seelischen Landschaftsbilder annehmen wollten, in denen liebenswerte, gefällige Menschen gezeichnet werden, die uns je liebenswürdiger erscheinen, je mehr wir Einblick erhalten in die tieferen Schichten ihrer Menschlichkeit. Und ich meine, es wäre an der Zeit, diese Werke auch ins Rumänische zu übertragen, allen voran den Roman „Abel schlägt Kain“. Was uns vor der Wende hinderlich erschien, sollte jetzt nicht mehr von Belang sein.

Dass wir damit einem Wunsch F. K. Franchys entgegenkommen, geht aus einem Brief hervor, den er am 2. Mai 1966 an den damaligen Vorsitzer des Schriftstellerverbandes, Zaharia Stancu, gerichtet hatte. (siehe Kasten)
In der Erzählung „Die Mafta“ wird das Schicksal einer opfer- und arbeitswilligen Frau geschildert. Sie wird in ein Gewirr von Enttäuschungen und unverschuldeten Notlagen eingesponnen, aus dem sie sich nach und nach befreit, schließlich durch Dienen und Opfern bereichert hervorgeht. Am nächsten verwandt ist Mafta der Fefeleaga von Ion Agârbiceanu und der Tatarin von O. W. Cisek.

„Maurus und sein Turm“ ist das literarische Denkmal des Bistritzer Turms. Der Roman trägt autobiografische Züge. Durch eine betrügerische Unterschlagung, die der Geschäftsführer begeht, werden die Eltern des Maurus um ihr Vermögen gebracht. Die Familie erleidet eine anscheinende nicht wieder gut zu machende Einbuße. Statt nun den Bildungsweg der Begüterten einzuschlagen, sieht sich Maurus genötigt, bei einem Uhrmacher in die Lehre zu gehen. Fortan sieht er sich dem Standesdünkel und der Voreingenommenheit seiner Umwelt ausgesetzt,  und er erlebt bittere Enttäuschungen, aber auch wohlmeinende Hilfe, durch die er zu sich selbst findet, sich gesellschaftlich verwirklicht und schließlich die einst erlittene Einbuße verschmerzt.

Mit Fleiß und Ausdauer holt er in der Fremde, in die er ausgewichen war, all das wieder ein, was ihm daheim vorenthalten wurde. Er legt die Dissertation ab und wird zum Dr. phil. promoviert. Der Zufall stellt ihm den Verursacher seines Unglücks in den Weg, der nun aus ehrlicher Reue zu seinem Wohltäter wird. Das Erbe, das er ihm vermacht, setzt Maurus dafür ein, dass in seiner Heimatstadt eine Universität für begabte, mittellose Jugendliche gegründet werde.

Wie sehr der Grund und Boden zum Maß aller Dinge, zu einem Fetisch der Sucht nach Wert und Würde werden kann, wie sehr er in ein Spektrum der Gefährlichkeit, sogar des Todes zu drängen vermag, wird in dem Roman „Abel schlägt Kain“ dargelegt. Zwei Brüder, Ion und Dumitru, geraten aneinander und immer mehr auseinander, weil sie sich auf verschiedenen Ebenen landwirtschaftlicher Betätigung bewegen. Ion ist Ackerbauer, Dumitru ein Hirte. im Verlauf der Handlung kommt es zu einer feinsinnigen Umkehr der biblischen Sage von den beiden Gegenbrüdern Kain und Abel, indem die Tugenden und Leidenschaften der beiden aufgefächert werden und schließ-lich der Charakterfestere in stiller Größe Bewährtere den Kampf vom sittlichen Gehalt her für sich entscheidet. Und das ist Dumitru-Abel, der Hirte. Was Lucian Blaga in seinem Aufsatz zur rumänischen Volksseele „Über den Mioritischen Raum“ ausgesprochen hat, könnte an diesem Verhalten des Dumitru gemessen und nachgezeichnet werden.

Ion, der ältere Bruder, ist von einer wahnwitzigen Vermögensgier besessen. Er verlässt die nordsiebenbürgische Hügellandschaft (Măgura), geht wie der verlorene Sohn in die gefährliche Welt der Ebene hinab, verschleudert mit seinem Hab und Gut auch seinen guten Ruf, das ererbte Ansehen und zerbricht schließlich an den Enttäuschungen und Ernüchterungen, die das Leben dem Stürmer und Dränger nicht erspart. Dumitru hingegen verzichtet auf jede  Art der Herausforderung des Schicksals.

Er bleibt dem Hirtenwesen treu. Der Berg und die Alm prägen seine Ehrlichkeit. Er bleibt dort, wo „Eid und Ehre“ (Felix Dahn) noch gelten. Franchy schreibt diese Familiensaga aus eigener Anschauung ähnlich wie Liviu Rebreanu, der seinen „Ion“ in Târlişiua ebenfalls aus nächster Nähe betrachten sollte. Das Schicksal des einen und des anderen Ion ereignet sich im Abstand von etwa zwanzig  Kilometern Luftlinie. Mit Ion und Dumitru hat Franchy zwei weitere ansprechende Gestalten neben den Lebensbildern eines O. W. Cisek, Erwin Neustädter, Otto Alscher, oder Erwin Wittstock gezeichnet.

In der Zeit nach der Wende, in der die rumänische Gesellschaft nach Selbstfindung trachtet, könnte ein solches Werk seine erzieherische Botschaft nicht verfehlen. Franchy lässt den Leser und Mitdeuter teilnehmen an jener Suche nach den Ritualen der Ordnung und Einordnung. Es ist das Lebensmodell des Hirten, das dem Lebensmodell der Ebene, in dem nur Über- und Unterordnung gilt, vorzuziehen wäre. Wo immer leiblich-seelische Existenznot auftaucht, besteht auch der Ruf zur Einordnung. Wenn aber in eine neue Ordnung kein sittliches Erbe herübergerettet wird, macht sich das selbst gezimmerte Chaos selbstständig und begräbt den Lebenssüchtigen unter den Trümmern der eingestürzten Irrtümer. Die Friedhöfe sind voll solcher, die nicht genug vom Leben hatten.

Franz Karl Franchy ist am 21.September 1896 in Bistritz geboren, seit 1921 ist er österreichischer Staatsbürger. Er starb am 20. Februar 1972 in Wien. Seine Urne wurde am 20. Juni 1972 in die Bistritzer Heimaterde eingesenkt. Sein Geburtshaus trägt seit zwei Jahren eine Gedenktafel in den Sprachen Deutsch und Rumänisch.