Dramatikerin und nun auch Theaterwissenschaftlerin

Elise Wilk verteidigte mit Erfolg ihre diesbezügliche Dissertation

Unseren Lesern ist Elise Wilk längst nicht nur als Journalistin, sondern auch als Dramatikerin bekannt. Doch dass sie sich auch als Theaterwissenschaftlerin ausbildete und diesbezüglich noch vor der Jahreswende ihre Dissertation an der Theateruniversität von Neumarkt/Tg. Mureș mit Erfolg verteidigte, ist vielleicht nur den Eingeweihten bekannt. In der Zwischenzeit wurde ihr Doktortitel auch amtlich bestätigt. Stücke schreiben ist ihr zweiter Beruf, nachdem sie Journalistik in Klausenburg studiert hat und seit 2015 unserer Wochenschrift seit deren Bestehen als 4. Redaktionsleiterin vorsteht.  2008 erhielt sie für ihr erstes Stück „Es geschah an einem Donnerstag” den rumänischen Dramatikerpreis „dramAcum”. Seitdem werden ihre Stücke sowohl in Rumänien als auch im Ausland inszeniert, mehrfach preisgekrönt und wurden bisher in 12 Sprachen übersetzt. Unter Redaktionskollegen führten wir folgendes Gespräch mit Elise Wilk (39).


Wie bist Du zum Journalismus und Theater gekommen, da bekanntlich deine Eltern beide Vertreter der exakten Wissenschaft, Mathematiklehrer sind?

Obwohl ich mit mathematischen Begriffen aufgewachsen bin, entdeckte ich die Leidenschaft für Literatur dank den Audio-kassetten und Kinderbücher, die mir mein Onkel in den 80er Jahren aus Deutschland schickte. Mit acht Jahren schrieb ich dann während einer Nacht einen Roman über Außerirdische in deutscher Sprache. Am nächsten Morgen wusste ich, dass ich einmal Schriftstellerin sein werde. Dramatik habe ich im Lyzeum entdeckt, als ich in der von Ada Teutsch geleiteten Theatergruppe mitspielte. Damals habe ich das ganze Stück „Die Physiker” von Friedrich Dürrenmatt auswendig gelernt, so fasziniert war ich davon. 

Viele Jahre danach sollte ich am selben Theater, wo die Physiker uraufgeführt wurden, dem Schauspielhaus Zürich, der Premiere eines eigenen Stücks beiwohnen. Das hatte ich als Jugendliche nicht zu träumen gewagt. 

Obwohl ich nie ein Fan der exakten Wissenschaften war, hat Mathematik gute Spuren in mir hinterlassen und mir viel geholfen, ohne dass ich es wusste. 
Struktur und Aufbau eines Stückes haben meiner Meinung nach mit exakten Wissenschaften zu tun. Struktur ist das, was mich am meisten interessiert. Keine Geschichte ist neu, alle wurden schon erzählt. Die Art und Weise, wie eine Geschichte erzählt wird, ist jetzt wichtig. Deshalb beginne ich immer mit der Struktur, wenn ich ein Stück schreibe, ich zeichne sie auf ein Blatt Papier. Ein Theaterstück ist ein Haus, der Dramatiker ist ein Architekt. 

Bisher hast Du als Autorin zahlreiche Theaterstücke verfasst, die auch in Buchform in mehreren Ausgaben erschienen sind. Du schreibst diese in rumänischer Sprache, um dann in Übersetzungen landesweit und im Ausland aufgeführt zu werden. Welches ist der diesbezügliche Grund und auf wieviele Theaterstücke blickst Du als Autorin bisher zurück?

Es ist wichtiger, dass ein Theaterstück aufgeführt wird, als dass es veröffentlicht wird. Leute lesen kein Theater, sie wollen es sehen. Doch bin ich der Meinung, dass man die Stücke auch veröffentlichen sollte – damit etwas bleibt. Theateraufführungen sind sterblich, Bücher sind unsterblich. Einige meiner Stücke wurden bisher in Rumänien, Deutschland, Bulgarien, Italien, Griechenland, den USA, zukünftig auch in Spanien und Frankreich veröffentlicht. Doch viel wichtiger ist, dass alle meine bisherigen Theaterstücke aufgeführt wurden – das ist ein Glück. Bisher sind es 17 (3 davon sind kurze Stücke).  Ich schreibe in rumänischer Sprache, weil ich in Rumänien lebe und hauptsächlich mit rumänischen Theatern zusammenarbeite, für die ich meistens Stücke im Auftrag schreibe. Auch die Regisseure, also die ersten, die die Stücke zu lesen bekommen, sind meistens rumänisch.

Ein einziges Stück habe ich direkt auf Deutsch verfasst, für die deutsche Abteilung des Hermannstädter Gong-Theaters. Es wäre merkwürdig gewesen, es auf Rumänisch zu schreiben. Dann gab es noch kurze Auftragsstücke für Theater aus Österreich, die ich natürlich auch in deutscher Sprache geschrieben habe. 
Ich lebe nicht in Deutschland, deshalb finde ich es normal, dass ich nicht auf Deutsch schreibe und es ist mir lieber, dass ein anderer die Stücke übersetzt. Meine Stücke werden von einem tollen Übersetzer-Duo ins Deutsche übersetzt – Ciprian Marinescu und Frank Weigand. Die beiden haben kürzlich für ihre Übersetzung meines Stückes „Verschwinden” eine Auszeichnung erhalten. 

Umgekehrt übersetze ich Theaterstücke aus dem Deutschen ins Rumänische. Es waren bisher Stücke zeitgenössischer deutscher und österreichischer Autoren, die an verschiedenen Theatern in Rumänien aufgeführt wurden. In diesem Jahr werde ich aber zum ersten Mal ein Stück von Bertolt Brecht ins Rumänische übersetzen. 

Die Kronstädter Bühne hat bisher noch keines deiner Theaterstücke inszeniert. Hingegen an anderen Theatern im Lande wie auch im Ausland. New York, Oslo, Berlin, Florenz, Zürich, Paris, Athen – um nur einige zu nennen. Allerdings konnte in Kronstadt, in deinem Geburtsort ein Stück in ungarischer Sprache mit deutscher Untertitelung, aufgeführt vom Ungarischen Theater aus Neumarkt gesehen werden. Gibt es eine Erklärung dafür?

Ja, gerade vor Ausbruch der Corona-Pandemie, im März 2020, konnte man das Stück „Verschwinden“ auf Ungarisch in der Redoute sehen. Es ist mein Lieblingsstück und liegt mir besonders nahe, weil es in ihm um den Exodus der Siebenbürger Sachsen geht. Wir sind damit auf Rumänien-Tournee gegangen. Die Tournee musste leider wegen Corona abgesagt werden, doch ich habe mich gefreut, dass man es noch schaffen konnte, das Stück in meiner Heimatstadt zu zeigen. 

2019 war ein anderes Stück von mir als Gastspiel in die Redoute gekommen,und zwar aus Deutschland, eine Produktion des Theaters am Schlachthof Neuss- „Die mittlere Lebenserwartung der Waschmaschinen”. Dass dieses Gastspiel stattfinden konnte, habe ich dem Deutschen Kulturzentrum in Kronstadt zu verdanken. 
In vielen Städten Rumäniens stehen (oder besser gesagt: standen, vor Corona) sogar zwei oder drei meiner Stücke auf dem Spielplan der Theater. Es gibt wenige Städte, wo sie bisher nicht inszeniert wurden, darunter auch Kronstadt. Ich werde auch konstant in Schulen eingeladen, kürzlich nach Bukarest, Neumarkt oder Hermannstadt, um mich mit den Schülern über meine Tätigkeit zu unterhalten. Jedoch war ich niemals in einer Kronstädter Schule. Die Erklärung ist einfach – das Theater aus Kronstadt spielt überhaupt keine zeitgenössische rumänische Dramatik, diese wird einfach ignoriert. 

Es ist frustrierend zu sehen, wie Dramatiker zum Beispiel in Deutschland gefördert werden und wie viele Preise, Auszeichnungen und Residenzen es gibt – es gibt mehr Preise als Schriftsteller. In Rumänien gibt es in dieser Hinsicht fast nichts. Doch manche Theater haben angefangen, rumänische Dramatiker zu fördern, ihnen Aufträge zu geben. Es ist vielleicht traurig, dass andere Theater an mir interessiert sind und das Theater in meiner Heimatstadt nicht. Jedoch frage ich mich manchmal, ob ich mir wirklich wünsche, hier aufgeführt zu werden. Die Intendanz aus Kronstadt hat überhaupt keine Vision und keine Strategie, das Theater ist veraltert, kümmert sich nicht um sein Publikum und ist rumänienweit leider seit langer Zeit nicht mehr relevant. Es ist nicht normal, dass Kulturliebhaber aus Kronstadt nach Sankt Georgen fahren müssen, um gutes Theater zu sehen. Es ist nicht normal, dass diese Institution so weit weg von allem ist, was in Europa passiert. Das müsste in einer Stadt wie Kronstadt anders sein. Man hat gehofft, dass die neue Stadtverwaltung etwas für das Theater tut. Doch man muss noch warten. 

Du hast Dich der Forschung der Theaterwissenschaften gewidmet und mit Erfolg deine Dissertation verteidigt. Welches ist deren Inhalt und Titel, und wie verlief diese?

Der Titel meiner Doktorarbeit ist „Theater für junges Publikum in Rumänien” und es handelt sich um die erste Forschung, die in unserem Land zu diesem Thema unternommen wurde. Dabei geht es um Aufführungen, die in erster Reihe dem Publikum zwischen 14 und 18 Jahre gewidmet sind und die immer zusammen mit einem theaterpädagogischen Angebot kommen. Dabei geht es um die Vertiefung dessen, was man im Theatersaal gesehen hat – durch Publikumsdiskussionen, durch Besuche hinter die Kulissen, durch Besprechung des Theaterstückes im Rahmen des Schulunterrichts, durch Materialmappen usw. So kommt man näher an das Thema heran. Dabei geht es hauptsächlich darum, dass das junge Publikum mehr als nur zuschauen sollte. Junge Leute sollten einbezogen werden und sich im Theater wie zu Hause fühlen. Leider gibt es kaum derartige Programme an den rumänischen Theatern. Doch einige wunderbare Initiativen beweisen, dass man durch diese Herangehensweise an das junge Publikum nur zu gewinnen hat. Beim Theater der Jugend in Piatra Neam], aber auch in der freien Theaterszene – das beste Beispiel ist Centrul Educational Replika aus Bukarest – gibt es gute Strategien, durch welche ein  junges Publikum gewonnen wird. Und immer geht es auch um die Investition in junge Theaterschaffende – Regisseure, Dramatiker und Bühnenbildner am Anfang ihrer Karriere. Hier werden Stücke inszeniert zu Themen, die junge Menschen heute bewegen: Mobbing in der Schule, Drogenprobleme, Kinder, deren Eltern im Ausland arbeiten, Teenagermütter usw. 

In meiner Doktorarbeit konnte ich auch viel aus der Praxis berichten – als Autorin mehrerer Stücke, die über Jugendliche handeln, habe ich mit Theatern aus dem Ausland zusammengearbeitet und konnte dort immer viel lernen. 

Meine Doktorarbeit werde ich hoffentlich bis Ende des Jahres auch veröffentlichen und wünsche mir, dass sie von Theaterintendanten gelesen wird, die sich Strategien der Publikumsentwicklung vornehmen. Leider gibt es in Rumänien noch wenig Vision in dieser Hinsicht. Wenn man als Kind und Teenager ins Theater geht, wird man das sicherlich auch als Erwachsener tun. Junge Leute müssten aber nicht wie „das Publikum von morgen” behandelt werden, sondern wie ein Publikum von heute, das jedoch spezieller und anspruchsvoller ist als die Erwachsenen. Das Theater fürs junge Publikum sollte also wie das Theater für Erwachsene gemacht werden, nur besser. Ich kann nur hoffen, dass meine Forschung weitergeführt wird. 

Du reist sehr viel und gerne. Nicht nur zu Premieren deinerAufführungen im Ausland, sondern auch als wissbegierige Journalistin, was man dann aus deinen Reportagen entnehmen kann. Findest Du dabei Themen auch als Autorin deiner Theaterstücke?

Ich würde sagen, das Reisen inspiriert mich, es ist sozusagen ein Boost für die Kreativität. Meine Themen finde ich nicht unbedingt auf Reisen. Ich glaube aber, dass Reisen Neugierde weckt, die man als Journalist und als Theaterautor braucht. 

Woran arbeitest Du als Dramatikerin gegenwärtig?

Ich schreibe zusammen mit den ungarischen Dramatikern  Csaba Szekely und Reka Dalnoky ein Theaterstück zum Thema #metoo, es ist ein Auftrag des ungarischen Theaters Yorick Studio aus Neumarkt. Wir schreiben das Stück zusammen, weil es gut ist, dieses schwierige Thema aus verschiedenen Perspektiven zu behandeln. Es ist schwerer, ein Theaterstück in Zusammenarbeit zu schreiben, aber es macht Spaß. Wir haben uns einige Male getroffen, persönlich in Neumarkt aber auch oft auf Zoom und jetzt sind unsere Szenen quasi fertig, wir müssen nur daran arbeiten, ein Ganzes daraus zu machen. Die Premiere wird im September sein, Regie wird Aba Sebestyen  führen, mit dem ich öfters zusammengearbeitet habe. 

Ebenfalls habe ich angefangen, an einem Auftragsstück für das Theater in Großwardein zu schreiben, es wird Themen behandeln, die Jugendliche interessieren. Eine Psychologin hat Schüler zwischen 14 und 18 Jahren zu mehreren Themen befragt und mir 60 ihrer Antworten geschickt. Diese sollen mich für das Stück inspirieren. Auch als Übersetzerin habe ich zur Zeit einen schwierigen Auftrag: ich übersetze „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe” von Bertolt Brecht. Es wurde noch nie ins Rumänische übersetzt. 

Für uns alle war und ist die Pandemie etwas erstmaliges in unserer Tätigkeit. Es ist nicht einfach Journalismus unter Einschränkungen, zumTeil von daheim zu betreiben. Wie sieht das nun auch die Dramatikerin?

Während des Lockdowns im Frühjahr 2020 hatte ich überhaupt keine Inspiration und habe mich gefreut, dass ich kein Stück schreiben musste. Ich hatte schon vor Corona vor, ab April 2020 an mehreren Tagen der Woche Home-Office für die Zeitung zu betreiben, damit ich meine Doktorarbeit fertig schreiben kann und hatte auch mehrere Regisseure informiert, dass ich keine Zeit habe, an Theaterstücken zu arbeiten. Dann kam der Lockdown. Es hätte, abgesehen von der Arbeit an der Dissertation, ein spannendes Jahr werden sollen: mit Veranstaltungen unter anderen in Wien, Istanbul, Berlin, Athen und Rom. Viele von ihnen wurden online versetzt – ich habe vier Schreibworkshops auf Zoom geleitet und nahm ebenfalls auf Zoom an Publikumsgesprächen nach Online-Vorstellungen teil. Leider fand auch die Verteidigung meiner Doktorarbeit auf Zoom statt. Das hätte ich mir nicht gewünscht. Andere Projekte, an denen ich arbeiten sollte, wurden komplett gestrichen, manche wurden aufgeschoben. Normalerweise gab es pro Jahr etwa 10 neue Inszenierungen meiner Stücke, 2020 sind es nur zwei gewesen, trotzdem habe ich mich sehr gefreut. Die Premieren fanden im September statt, einem Monat in dem es schien, dass es wieder bergauf geht und die Theater geöffnet wurden. Jetzt sind fast alle Theater wieder geschlossen, für manche Veranstaltungen wurde seit einem Jahr nicht mehr geprobt, man weiß nicht, was in der nächsten Saison noch auf dem Spielplan stehen wird. Ich wurde auch gefragt, ob ich demnächst nicht ein Pandemie-Stück schreiben werde. Ich habe geantwortet: Auf keinen Fall! Meiner Meinung nach ist es zu früh dafür, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Man muss noch verarbeiten, was man gerade durchmacht. Komischerweise habe ich aber im August ein kurzes Stück geschrieben, dessen Handlung während des Lockdowns stattfindet. Es war ein Auftrag des österreichischen Theaters „Wiener Wortstätten“. Die Geschichte, die mir eingefallen ist, findet während der Corona-Pandemie statt, weil ich mich eben seit so vielen Monaten mit diesem Thema beschäftigt habe – es war dauernd in den Fernsehnachtrichten, in den Gesprächen mit Freunden und Familie, im Internet. 

In dieser ungewissen Zeit gibt es natürlich weniger Projekte als früher. Ich freue mich aber, dass es auch in Deutschland ein paar Events geben wird. Mein Stück  „Verschwinden” wird demnächst in deutscher Übersetzung bei „Deutschlandradio Kultur” zu hören sein (auch im Internet, die Premiere hätte am 11. Mai stattfinden sollen, aber wegen Corona konnte man nicht in größeren Gruppen zusammensitzen und die Regisseurin hat dann beschlossen, die Produktion auf den August zu verlegen). Eine Lesung desselben Stücks findet am 29. August am Deutschen Nationaltheater Weimar statt. Unter der Voraussetzung natürlich, dass die Corona-Einschränkungen bis dahin gelockert werden. 

Auch unter Kollegen dankt man abschließend für ein Interview.