„Ein neues Augenpaar“

Dokumentarfilm-Werkstatt prägt Jugendliche

Die Werkstatt von vergangener Woche wurde mit der Unterstützung des Multikulturellen Zentrums der Transilvania-Universität durchgeführt.

„Ich bin viel aufmerksamer geworden auf alles, was um mich herum geschieht. Ich habe gelernt, den Menschen in die Augen zu schauen, sie sogar anzusprechen“, erklärt Orlando Darie, XII.-Klässler am Technischen Kolleg „Mircea Cristea“ aus Kronstadt. Fünf Tage lang hat er an einer Dokumentarfilm-Werkstatt teilgenommen, die in der Zinnenstadt vom 23. bis 27. September organisiert wurde. Eingeleitet wurde diese vom Verein One World Romania, der seit 13 Jahren das landesweit einzige Festival für Dokumentarfilm und Menschenrechte in Bukarest und anderen Städten veranstaltet. Eine lokale Auflage fand im vorigen Herbst in Kronstadt statt. Weitere fünf Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren waren mit Orlando beim Workshop dabei. Einige sind Schüler am Technischen Kolleg, andere am „Andrei Şaguna“-Nationalkolleg. Eine Teilnehmerin hat dieses Jahr die Bakkalaureatsprüfung abgelegt und wird in Großbritannien Filmregie studieren. Anhand praktischer Übungen konnten sie die theoretischen Informationen die Schnittmeister Drago{ Apetri und Regisseur Andrei Inizian ihnen beibrachten ausprobieren und detailliert besprechen. Das geschah anhand vorgeschriebener Übungen, die jeder Jugendliche einzeln oder in einer Zweier-Gruppe täglich fotografisch oder videografisch zu bewältigen hatten.

Geduld und Fokus

In der heutigen digitalen Welt, in der überall stille oder bewegte Bilder, schrille und ungewohnte Töne die Sinne dauernd reizen und die Geschwindigkeit zum modernen Lebensstil gehört, wird die Aufmerksamkeit ständig unterbrochen. Doch gerade das haben die Teenager von ihren Tutoren gelernt: konzentriert und geduldig zu sein, wenn sie einen Film machen möchten. Denn nur so können sie wahrnehmen, was in ihrer Umwelt passiert, was sie umgibt, so können sie ein interessantes Thema finden, an dem sie wohl schon etliche Male vorbeigelaufen sind, es aber nicht beachtet haben. Auch Banales kann zum Thema werden, lernten die Schüler. So machten sie sich auf und spielten Regisseur in der Altstadt. Der Zentralpark, der Alte Marktplatz, die Postwiese – alle verbergen Geschichten. Man muss sie aber wahrnehmen und aus einem interessanten Blickwinkel betrachten. Das haben die jungen Leute geschafft. So wurden eine Oma, die mit ihre Enkelsohn spaziert, ein Verkäufer oder auch ein Bettler zu Hauptfiguren von zweiminütigen (Übungs-)Dokumentationen. Ein erster Schritt, um tatsächlich zu verstehen, was dieses Genre bedeutet. Die Produkte wurden gemeinsam gesichtet und besprochen – eine äußerst hilfreiche Übung wie die Teilnehmer bemerkten. Denn anhand konstruktiver Kritik sowie Beispielen aus renommierten Filmen wurde klar, wie die eigene Absicht im audio-visuellen Material am besten zum Ausdruck gebracht werden kann. „Die Tutoren haben uns immer wieder auf die Auswirkung unserer Arbeit auf die Zuschauer aufmerksam gemacht“, sagt die 19-jährige Paula Gal. Sie war schon immer an Kunst, Film, Regie interessiert und hat im Lyzeum als Volontärin viel Erfahrung in diesen Bereichen gesammelt. Beim OWR-Workshop wollte und konnte sie ihre Kenntnisse festigen und ihre Perspektive erweitern. „Ich habe ein neues Augenpaar bekommen, mit dem ich alles anders sehe, habe eine kritische Sicht entwickelt, die mir beim Deuten der Filme dienen wird”, erklärt sie.

Gefühle wecken

Die Kamera auf die Menschen zu richten, ihnen Fragen zu stellen und sie aussprechen lassen, war auch eines der Hauptthemen die angegangen wurde. Menschen öffnen sich, viele von ihnen haben es nötig sich auszusprechen und sind erleichtert, wenn ihnen jemand zuhört. Das weckt Gefühle im Filmemacher, dann auch im Zuschauer. Und das ist ein bedeutender Faktor, der ein wertvolles künstlerisches Produkt ausmacht. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf, werden sich die Sechs in Zukunft wohl anders an ihre Hauptfiguren herantrauen, Filme gründlicher analysieren und vielleicht sogar die Welt tiefgründiger aufnehmen. 

Auch die Tutoren haben den Perspektivwechsel geschätzt. Die Begeisterung, die die Teilnehmer mit sich brachten, war eine Bereicherung für sie. „Es ist faszinierend, zu sehen wie offen und begeistert diese Jugendlichen sind, wie sehr sie der Dokumentarfilm interessiert. Es ist der Enthusiasmus der Beginner, der mit der Zeit verblasst“, verrät Andrei Inizian. Apetri genießt die frische Herangehensweise der Teens, die er bei jeder Werkstatt empfindet, und nimmt Teile davon in seine Arbeit mit.