Erinnerung für Ältere, Lehre für Jüngere

Zu: „Der Schwarze Kirche Prozess 1957/58. Erlebnisberichte und Dokumentation“ (Herausgegeben von Karl-Heinz Brenndörfer und Thomas Şindilaru im Auftrag von Studium Transilvanicum)

Die Zeit 1957/58 war für die meisten der in Kronstadt lebenden Sachsen ein Schreckensjahr. Nachdem 1950 die Letzten in die damalige Sowjetunion Deportierten nach Hause gekommen waren, schien sich, vor allem als auf dem Lande auch die Häuser mit den Gärten an ihre alten Besitzer zurückgegeben worden waren, das Leben in engen Grenzen zu normalisieren.

Dazu trug vor allem auch die sich zaghaft anbahnende  Entstalinisierung bei. Dann, nachdem die ungarische Revolution im Oktober 1956 von den russischen Panzern niedergewalzt worden war, fingen die roten Machthaber auch in Rumänien wieder an, die Bevölkerung mit politischen Prozessen einzuschüchtern und zu terrorisieren. In Kronstadt begannen die Verhaftungen der Sachsen im Dezember 1957 und setzten sich bis tief in das Jahr 1958 fort.

Es waren zwei Zielgruppen, die es mit „verbrecherischen“ Tätigkeiten zu verbinden galt. Das eine waren Jugendliche, die sich trafen um über die Zukunft zu diskutieren, das andere Mitarbeiter der Honterusgemeinde mit dem Stadtpfarrer, Dr. Konrad Möckel.  

Das gab dann den Vorwand für den sogenannten „Schwarze Kirche“-Prozess, in dem heute unglaubliche Strafen, die von der Todesstrafe über lebenslängliche bis zu 6 Jahren Zwangsarbeit gingen, ausgesprochen wurden. Später wurden die zum Tode Verurteilten zu lebenslanger Zwangsarbeit „begnadigt“. Erst 1964 wurden die Letzten aus der Haft oder dem Zwangsaufenthalt entlassen. Dieses kurz zur Erinnerung.

Was für Gefühle hatten wir, die Freunde, Bekannten, Studienkollegen der Verhafteten? Täglich erfuhren wir, dass nun der oder der abgeholt worden war. Es konnte jeden treffen,  der an den Jugendstunden des Stadtpfarrers Dr. Konrad Möckel teilgenommen hatte, in irgend einer Kulturgruppe mitgemacht hatte oder auch nur ein Bekannter des einen oder andern der Verhafteten war. Man fühlte sich nirgends sicher. Wer im Betrieb zu der Personalabteilung, die damals mit den „cadre“ (die Abteilung für politische Überwachung, die es in jedem Betrieb gab und die direkt der Securitate unterstellt war) vereinigt war, gerufen wurde, dachte zuerst daran, dass die Reihe nun an ihn gekommen sei.

Auf dem Weg zur und von der Arbeit konnte man mitgenommen werden. Erst 1959 wurde es langsam ruhiger, obwohl noch bis 1960 Verhaftungen vorkamen, allerdings nun auch von vielen Nichtdeutschen. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie im Traktorenwerk eine Reihe Mitarbeiter der technischen Dienste verhaftet wurden, denen ähnliche Delikte vorgeworfen wurden. Auch diese kamen erst nach 1964 frei.

Die Erinnerung an diese Zeit steht plötzlich wieder ganz frisch vor dem inneren Auge, wenn man die Berichte, die in diesem Band zusammengefasst sind, liest. Denn die Berichte der Betroffenen nach ihrer Freilassung waren sehr spärlich, sie durften, unter Androhung von drakonischen Strafen, über ihre Leidenszeit nicht sprechen. Auch dass die meisten relativ bald das Land verlassen konnten, trug dazu bei, dass wenig über die Zeit in den Gefängnissen bekannt wurde.

Nach der Wende von 1989 wurden verschiedentlich Berichte veröffentlicht, Symposien veranstaltet, Gesprächsrunden organisiert, auch Bücher veröffentlicht. Aber diese waren meistens eng begrenzt. In dem vorliegenden Band kann man die authentischen Berichte  eines Großteils der Betroffenen, von ihnen selbst verfasst, lesen. Dafür ist den Herausgebern zu danken.

Es wäre wünschenswert, wenn auch Berichte über den  „Skt. Annensee“ und über den Prozess der Schriftsteller in ähnlicher Form erscheinen würden. Das würde viel zu dem Verstehen der damaligen Repressionspolitik des sozialistischen Systems sowjetischer Prägung, das ja den Menschen die Befreiung von jedwelcher Ausbeutung und Unterdrückung bringen sollte, beitragen. Jeder Versuch selbständig zu denken war gefährlich, konnte im wahrsten Sinne des Wortes tödlich sein.

Den Herausgebern ist es gelungen, einen guten Querschnitt zu finden, ohne sich in Längen zu verlieren. Auch die Einleitung von Corneliu Pintilescu trägt zu dem Verständnis  der Gründe und Ursachen dieses Prozesses bei.Es wäre hilfreich gewesen, auch den Zusammenhang zu andern, nicht national bedingten Prozessen der Zeit aufzudecken. Das Regime ging ja nicht nur gegen unsere Minderheit so rabiat vor, sondern auch gegen andere Gruppen, die als gefährlich eingestuft wurden.

Man darf nicht vergessen, dass der bewaffnete Widerstand in den Fogarascher Bergen damals noch nicht gebrochen war, so dass gegen Legionäre, Mitglieder der historischen Parteien, Kapitalisten, religiöse Gemeinschaften wie Katholiken, Mitglieder der mit Rom uniertem Kirche (griechisch – katholische Kirche), religiöse Sekten, ständig neue Prozesse geführt wurden. Dazu kamen die Saboteure in den Werken, denen die verfehlte Planwirtschaft der Partei angelastet wurde und allgemein alle diejenige, die es wagten, sich mehr oder weniger offen gegen die neue Wertordnung zu stellen.

Durch diese Zusammenhänge verliert der „Schwarze Kirche“ Prozess nichts an Grausamkeit, er zeigt, dass keine Gruppe, keine Minderheit von den Repressalien verschont wurde.  

Die in dem Archiv der Honterusgemeinde aufbewahrten Unterlagen zu diesem Prozess, zeigen, dass sich die Gemeinde ihrer Verantwortung gegenüber dieser Opfer der Willkür und Gewalt bewusst ist und die Erinnerung daran wach halten will. Auch dafür sei gedankt.

Es ist ein Buch, das verdient von vielen gelesen zu werden. Für die Älteren ist es eine Erinnerung an eine traurige Zeit, vielleicht ein Wiedererinnern von fast in Vergessenheit geratenen Ereignissen. Für die Jungen ist es ein Lehre, was ein totalitäres Regime bedeutet, welche menschenverachtende Haltung die allmächtigen „Organe“ der Staatsgewalt des totalitären Staates besaßen. Und es war nicht eine Erscheinung die typisch für Rumänien war.

Wenn man „Der Archipel GULAG“ von Solschenizyn liest, erkennt man, dass die hiesigen Schergen nur von ihren großen Vorbildern wie Lenin, Dserschinski, Trotzki, Stalin, Berija, um nur die wichtigsten zu nennen, gelernt haben.

Leider kommen diese Dinge zu schnell in Vergessenheit, deshalb brauchen wir immer wieder diese Mahnungen. Auch dafür unsern Dank den Herausgebern.