Grenzüberschreitungen – Internationale Tagung in Jassy

„Gregor von Rezzori auf der Suche nach einer größeren Heimat“

Vom 2. bis zum 5. Mai fand eine hochkarätige Fachtagung in der „Alexandru Ioan Cuza Universität“ in Jassy statt, an der eine Vielzahl namhafter kulturwissenschaftlicher Referenten und Referentinnen teilnahmen. Organisiert vom Germanistik-Lehrstuhl der Universität ‚Al. I. Cuza’, in Zusammenarbeit mit der Universität Toulouse, dem Deutschen Kulturzentrum Jassy, der Österreich-Bibliothek Jassy  sowie dem Institut Français Jassy, stand im Mittelpunkt dieser internationalen Tagung der Schriftsteller, Journalist, Rundfunkreporter, Zeichner, Drehbuchautor und „Bürger Europas“ Gregor von Rezzori d’Arezzo.

Das Ziel war die Neubewertung eines Schriftstellers, den die Germanistik zu seinen Lebzeiten  nicht allzu ernst genommen hat, ihn als Autor von Unterhaltungsliteratur abtat. Allerdings, er bezeichnete sich ja selbst als ein „Literat des 19. Jahrhunderts“  (siehe sein Spätwerk „Greisengemurmel“, erschienen 1994). 

In seiner Eröffnungsrede erwähnte Professor Andrei Corbea – Hoisie,  dass eine Veröffentlichung der Tagungsbeiträge vorgesehen ist. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn diese Publikation zügig vorbereitet würde, im Blick auf den 100. Geburtstag Rezzoris, im Mai 2014!

Kennt der interessierte Leser die Biografie Rezzoris? Dr. Mariana Lăzărescu bot durch ihren Beitrag „Leis seufzend hebt sich unsere Brust  – Rezzoris Kronstädter Jahre“ den Teilnehmern einen Einblick in seine Jugendjahre. Seine Familie stammt aus Sizilien, kam im 18. Jahrhundert über Norditalien nach Wien; geboren wurde er 1914 in Czernowitz, eine Stätte literarischen Schaffens. Nachdem sich seine Eltern 1922 trennten, kam er als Achtjähriger nach Kronstadt/Braşov, wo er drei Jahre seiner Jugendzeit verbrachte! Da sein Vater Viktor Glondys kannte, den späteren Bischof der Siebenbürger Sachsen, wohnte er dort und freundete sich mit dessen Sohn Kurt an. Diese erste Freundschaft seiner jungen Jahre ist für ihn eine Bereicherung! Die Jahre prägten ihn, er lernt Pünktlichkeit aber auch „Franzosenhass“, er gewinnt Selbstvertrauen aber auch Distanz zu Eltern und Schwester. Zwar schreibt er begeistert über die „idyllische Landschaft“, fühlt sich aber dennoch in  Kronstadt nicht zuhause.

Ein weiterer Beitrag beleuchtet Rezzoris Beziehung zu seiner Mutter: Dr. Elisabeth Berger sprach über „. . .menschenfressende Fürsorglichkeit – die Mutter bei Gregor von Rezzori und Elias Canetti“. In seinen Porträtstudien zu einer Autobiografie „Blumen im Schnee“ (erschienen 1989) beschreibt er das „Überheblichkeitsgefühl – seiner Mutter – einer überlegenden Zivilisation anzugehören“. Rezzori stößt sich am aristokratischen Dünkel der Eltern, entwickelt jedoch gegenüber der Mutter Beschützerinstinkt, wohl bedingt durch die Abwesenheit des Vaters von dem er meint, dass dieser sich nicht für ihn interessiert habe. Dennoch kommt es zur Entfremdung mit der Mutter, was schließlich zum Bruch führt. Berger kommt zu dem Fazit, dass wohl daher Rezzoris Frauenfiguren immer leicht verächtlich beschrieben werden. Zur Genderfrage wäre bei Rezzori viel zu sagen!

In Wien beendet er das Gymnasium und beginnt ein Bergbaustudium  – ohne Abschluss, danach studierte er Medizin und Architektur, ebenfalls ohne Abschluss. In seinem Alterswerk „Mir auf der Spur“, (erschienen 1997), bezeichnet er sich als „ein perfekt verbummelter Student“ ! Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Bukarest, 1929 – 1933, beginnt er ein Kunststudium in Wien, welches er mit ordentlichem Abschluss beendet. Seine schriftstellerische Tätigkeit beginnt in Berlin, wo er sich 1938 niederlässt.  
Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitet er als Journalist, Rundfunkredakteur für den NWDR.

Im Nachtprogramm erzählt er mit überschäumender Fabulierkunst erstmals aus seiner Anekdotensammlung die sogenannten „Maghrebinischen Geschichten“. Viele dieser Geschichten waren bereits in der Bukowina bekannt, und nicht von ihm! Wie konnten diese tolldreisten Anekdoten, die im Balkan jeder kannte, im Westen Furore machen, ja verzaubern? Rezzori machte aus den „Maghrebinischen Geschichten“  (erschienen 1953) eine einheitliche Struktur -  in deutscher Sprache -  und begründete seinen Welterfolg als Schriftsteller. Mit seiner Landschaft „Maghrebinien“ das Land der Diebe, Schlawiner und Profiteure  – wird er stets assoziiert, denn seine Geschichten zeugen von schwarzem Humor. Für Rezzori beginnt der Balkan in Czernowitz, obwohl seine „Geschichten“ mehr von Bukarest als von Czernowitz erzählen: Von Toleranz und Gelassenheit der Seele!

Marie Lehmann sprach in ihrem Beitrag über „Das Bild des Nürnberger Prozesses in Der Tod meines Bruders Abel (erschienen 1976) und Mir auf der Spur“ . Rezzori erlebte den 2. Weltkrieg ja in Berlin, und berichtet für den NWDR vom Nürnberger  Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, der vom November 1945 bis Oktober 1946 stattfand. Für ihn war der Prozess ernüchternd, da seiner Meinung nach viel Heuchelei dabei war, und auf „Phrasen aufgebaut“ .

Grigore Marcu bot in seinem Referat „Rezzori – poeta doctus“, auf der Grundlage des 1958 erschienenen Romans  Ein Hermelin in Tschernopol, eine Interpretation nach Schlagwörtern, d.h. für ihn ist der „Hermelin“ eine Fundgrube von Gedankengängen, von versteckten Andeutungen und Hinweisen: aus der Baukunst (Gaudi); bildenden Kunst (M.Grunewald, H. Bosch); Dichtung (E.M.Arndt „Gott der Eisen wachsen ließ“; Kriegsschauplätze (1917/1918); Sternstunde (Astronomie); Tanzkunst („die ganze Hüpferei kann mir gestohlen bleiben. . .“). Diese Interpretation macht Lust auf eine erneute Lektüre des „Hermelin“!

Großen Beifall fand auch der Beitrag von Jacques Lajarrige, Universität Toulouse: „Mit Nabokov und Rezzori auf Erkundungsreise nach Amerika: Ein Fremder in Lolitaland“ (erschienen 1993). Beide sind Entwurzelte, beide begannen in Berlin zu schreiben. Bevor Nabokov in englisch zu schreiben begann, hatte er bereits 9 Romane und 55 Erzählungen auf russisch verfasst; die Fremde war sein Leitmotiv. Aus den Vereinigten Staaten machte er ein Land mit Geschichte, mit dem er sich identifizieren konnte,  mehr als mit Europa!

Rezzori ging Ende der 80er Jahre mit zwei jungen Amerikanern auf Entdeckungsreise in die USA, um für sich  das „mythische Lolitaland“ zu entdecken: Lolita versus Hubert Humbert, Neue gegen Alte Welt! Für den anfänglichen Skandal um „Lolita“ interessierte sich Rezzori  nicht, hatte er doch an der 1959 erschienenen deutschen Übersetzung mitgearbeitet. In seinem Essay „Lolitaland“ macht er sich ironische und wehmütige Gedanken über die Alte und die Neue Welt. Lesenswert!

Erwähnt werden muss, dass im Verlauf der Tagung sowohl die Rose Ausländer–Ausstellung „Mutterland Wort“ eröffnet wurde, als auch die Fotoausstellung „Rezzori zu Hause“.

Aus der Fülle der Beiträge, 33 (!) in zweieinhalb Tagen, eine Auswahl zu treffen ist nicht leicht gewesen! Gratulation den Veranstaltern, die durch diese Tagung Gregor von Rezzori neu bewertet haben, um ihn vor dem Vergessen zu bewahren!